Sachte legte Dominic seine Arme um den schlaffen Körper des Mädchens und trug sie so zu dem schwarzen Wagen, der bereits auf ihn wartete. Mit Hilfe eines Stofffetzens versuchte er die Blutung zu stoppen. Vergeblich.
«Fahren Sie in das nächstgelegene Krankenhaus», befahl Dominic seinem Chauffeur und drückte den Stoff fester auf die Wunde. Sie durfte jetzt nicht sterben. Nicht, nachdem er sie verschont hatte.
-Ashlyn-
Meine Lieder waren schwer, nur mühsam gelang es mir, sie zu öffnen. Der Raum in dem ich mich befand war dunkel. Sofort richtete ich mich auf -und bereute es im selben Moment wieder. Mir war schwindelig und übel, der Kopf dröhnte, selbst meine Ohren schienen zu pochen.
Verwirrt starrte ich auf das Bild, das an der sonst kahlen Wand hing. Es war mir nicht vertraut. Auch das Bett, in dem ich sass, fühlte sich alles andere als bekannt an.
Langsam drehte ich den Kopf nach rechts. Ein Fenster. Der Ausblick zeigte eine belebte Strasse und imposante Gebäude. Auch dieser Ausblick war mir fremd.
«Wie geht's dir?», fragte mich da eine tiefe Stimme. Überrascht drehte ich mich um. Zu meiner Rechten sass Dominic und rieb sich verschlafen die Augen. Nur wage konnte ich mich an das Geschehene erinnern.
«Du hast mir ins Bein geschossen. Zwei Mal», flüsterte ich, weil ich zu mehr nicht imstande war. Dominic rieb sich den Nacken und schaute mich dabei unglücklich an. «Warum bin ich nicht tot?» Ich fasste an mein linkes Bein und spürte einen Verband. Wir mussten uns noch immer in Shanghai befinden.
«Du solltest nicht für deine Eltern büssen müssen. Ausserdem sind sie ja bereits tot. Enrico war es, der sie umgebracht hat.» Wie feinfühlig, dachte ich grimmig und liess mich wieder in das Bett fallen. Ich starrte auf die Decke und versuchte Dominic's aufmerksamen Blick zu ignorieren. «Wir sollten neu anfangen, Ashlyn Elisabeth Stalin». Als ich auf seine Worte nicht reagierte, verliess er stummschweigend den Raum. Ein Neuanfang wollte er also. Eine zweite Chance. Dominic Rosso gab normalerweise keine zweiten Chancen, genauso wenig wie ich.
-Dominic-
Ich verliess Ly- Ashlyn's Raum und stiess beinahe mit einem hochgewachsenen Mann meines Alters zusammen. Misstrauisch musterte er mich. Er gehörte eindeutig nicht in die Krankenhausszene.
Reflexartig griff er in seine Jackentasche, doch ich war schneller und stiess ihn grob an die Wand. «Wer bist du?», fragte ich mit gedämpfter Stimme um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Erfolglos versuchte er, sich von mir loszureissen. Meine Frage ignorierte er dabei.
«Wer hat dich geschickt?», versuchte ich es ein weiteres Mal und zückte meine Waffe. Als er diese in seiner Magengrube spürte, rissen der Fremde erschrocken seine Augen auf. Er konnte unmöglich einer von Enrico's Leuten sein, dafür wirkte er zu langsam, zu ängstlich und viel zu unerfahren.
Durchdringlich musterte ich ihn und musste geschockt feststellen, wie unheimlich vertraut mir seine grauen Augen doch waren. «Tyler Stalin?», fragte ich ungläubig und war für einen Moment völlig perplex.
Auch er schien sichtlich verwirrt darüber und betrachtete mich verdutzt. Er war Tyler Stalin.
Zögernd liess ich von ihm ab. Erleichtert atmete Tyler auf und beäugte mich dann misstrauisch. «Wo ist sie?», fragte er schliesslich. Überrascht zog ich eine Braue hoch.
«Eine ziemlich grosse Klappe hast du», stellte ich belustigt fest. Er war mir weit aus unterlegen- und trotzdem hatte er den Mut, so mit mir zu sprechen.
«Wo ist sie?», wiederholte er seine Frage mit Nachdruck. Bevor ich antworten konnte schwang die Tür hinter mir auf.
Sowohl Tyler's, als auch mein Blick fiel sofort auf das Mädchen, welches sich mühsam am Türrahmen abstützte.
Ich beobachtete, wie sich Lyn's Gesichtsausdruck veränderte; zuerst überrascht, dann erfreut und zu guter Letzt geschockt.
Als Tyler an mir vorbeistürmte hielt ich ihn nicht auf. Stattdessen sah ich zu, wie dieser die zerbrechliche Lyn in eine Umarmung zog, welche diese sofort erwiderte.
Viel zu lange standen sie fest umschlungen auf dem Gang. Die Situation war mir alles andere als angenehm. Völlig überfordert versuchte ich, den nächsten Schritt vorher zu sehen. Es gelang mir nicht. Ich hatte keine Ahnung, wie Ashlyn Stalin's Geschichte fortfahren würde.
«Nic! Dominic!», völlig ausser Atem rannte Jax auf uns zu und lenkte selbst die Aufmerksamkeit der beiden wieder vereinten Geschwister auf sich. Stirnrunzelnd und mit fragendem Blick schaute ich ihn an. Er musste hier hoch gerannt sein. Weshalb hatte er es so eilig?
«Was ist los?», fragte ich und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie sich Tyler von der Umarmung löste und sich mir näherte.
Noch bevor Jax es tun konnte, antwortete Tyler: »Enrico Romanow ist hier, hab ich recht?» Eifrig nickend bestätigte Jax Tyler's Vermutung. Weshalb wusste Tyler bescheid? Hatte er ihn etwa hier her geführt? Würde er tatsächlich seine Schwester, das eigene Fleisch und Blut, hintergehen? Immerhin war sie das letzte Stück Familie, dass ihm übrig geblieben war.
"Ich werde das erledigen", presste Tyler mit angespanntem Kiefer hervor.
"Nein!", erklang es zeitgleich von Lyn und mir, denn wir wussten beide; Wenn Tyler auf Enrico stossen würde, würde es Tote geben - und Enrico wäre bestimmt keiner von ihnen.
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Blurred Lines
Teen FictionEin Jahr ist es her, seit Ashlyn mit Tyler geflüchtet war. Sechs Monate suchte sie bereits nach der Rosso Familie. Und jetzt hatte sie ihn endlich gefunden: Dominic Rosso. Der Sohn der mächtigsten Mafia Europas. Nur er konnte sie vor ihren Verfolge...