𝔼𝕝𝕗. "𝕀 𝕥𝕙𝕠𝕦𝕘𝕙𝕥 𝕪𝕠𝕦 𝕨𝕖𝕣𝕖 𝕕𝕖𝕒𝕕!"

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Stille. Kein Wunder, es war schliesslich auch schon kurz vor Mitternacht als wir in die dunkle Gasse einbogen. Vor zwei Stunden sassen wir noch in Dominic's Privatjet und jetzt? Jetzt musste ich, ob ich es nun wollte oder nicht, Chen Young's Hinrichtung miterleben.

«Jax hat ihn ausfindig gemacht. Er ist in diesem Pub», Dominic's Worte waren eine Aufforderung an den Mann neben ihm, Gabriel. Ich konnte nur erahnen, dass Jax der blauhaarige Typ war, den ich seit der Landung nicht mehr wiedergesehen hatte.

Wortlos verschwand Gabriel in das kleine Gebäude. Eine Viertelstunde wartete ich schweigend mit Dominic. Mein Hals war trocken, die Handflächen feucht vor Nervosität. Ich hatte angst. Nicht vor Chen's Ermordung, nein. Ich hatte angst vor dem, was er wusste.

Eine Tür schwang auf. Dominic lehnte sich zu mir hinunter und flüsterte bedrohlich: »Du bleibst genau hier stehen!» Anschliessend drückte er mit den Worten, «Falls er dich angreifen will», eine Pistole in die Hand. Besorgt schaute ich ihm nach, als er sich weiter in den Schatten stellte und so kaum noch zu sehen war. Auch mein Gesicht war nur schwach erkennbar und wurde lediglich durch das Licht des Mondes bestrahlt.

Angespannt stand ich da und wartete. Die Waffe versteckte ich hinter meinem Rücken. Langsame Schritte, begleitet von einem leisen Klacksen, näherten sich. Chen Young war bereits etwas in die Jahre gekommen, aber brauchte er wirklich einen Gehstock? Ich bezweifelte es.

Die Schritte verstummten und vor der Gasse, etwa fünf Meter von mir entfernt, stand ein Mann. Er trug einen Hut, der Gehstock war nicht zu sehen.

Er sprach, doch ich verstand nicht. Abrupt verstummte er und wechselte vom Chinesischen ins Englische. «Elizabeth? Is that you?» Ich zog scharf die Luft ein. Meine Gedanken wanderten sofort zu Dominic, der die Worte mit Sicherheit nicht überhören konnte. «Elizabeth Stalin?», wiederholte er. Er kannte sie. Er war definitiv Chen Young. Scheisse.

Chen machte einige Schritte auf mich zu. Wieder hörte ich das leise Klacksen. «I thought you were dead!» Zitternd atmete ich die Luft aus, die ich unbewusst angehalten hatte. Bald sind wir es beide. Ich öffnete meinen Mund, ob ich ihn vor Dominic warnen- oder den Namen Stalin verleugnen wollte wusste ich in diesem Moment selbst nicht, doch zum Reden kam ich ohnehin nicht mehr.

«You're not Elizabeth. A-Are- are you- you're Ashl-«, setzte er an und nahm mir so die Entscheidung. Die dritte Wahl. Ohne zu zögern schlug ich ihm die Pistole über den Kopf.

Mit Nachdruck sackte der alte Mann zu Boden und prallte unsanft auf. Die Waffe fiel mir aus der Hand und ich schaute ausdruckslos auf ihn nieder. Sein rechtes Bein war gegen ein Holzstock ersetzt worden. Das musste das Klacksen verursacht haben. Nun machte alles Sinn.

Noch bevor ich in Betracht ziehen konnte zu flüchten, spürte ich, wie sich Dominic hinter mir aufbaute. «Ich dachte eigentlich, du würdest ihn töten», sagte dieser nur trocken. Dann nahm er die Pistole auf und zielte damit auf den reglosen Mann. «Dein Vater hat ihm zur Strafe bereits das Bein genommen», sagte ich, als würde es Chen Young vor dem Tode bewahren. Ich bekam keine Antwort. Stattdessen spürte ich, wie sich Dominic's Arm neben mir anspannte.

Ich drehte mich weg und stiess dabei unsanft gegen seine harte Brust. Mir war nicht bewusst, wie nah er mir war. Ich konnte ihm nicht entfliehen und das wusste er.

Der Laute Knall liess mich zusammenfahren. Chen Young war tot. Es war ein Todesschuss und auch mein Todesschuss würde durch dieselbe Pistole abgefeuert werden. Dann drehte Dominic mich grob zu sich, sodass ich gezwungen war, in sein kaltes Gesicht zu blicken.

«Wer bist du wirklich?», seine Miene verriet nichts, auch seine Stimme klang ruhig und gefasst.

Ich lief rückwärts. Eins... zwei... drei Schritte, dann spürte ich die Mauer hinter meinem Rücken. «Du wirst mich ohnehin töten. Da gib ich dir doch nicht die Genugtuung und gebe klein bei». Ich spielte die mutige Heldin, zu der ich als Mädchen so gerne aufgeschaut hatte, die ich so gerne gewesen wäre, doch in Wirklichkeit hätte ich schreien, weinen und um mein Leben betteln wollen. Ich war noch nicht bereit zu sterben. Die Wahrheit war, ich hatte Angst vor dem Tod. Furchtbare Angst.

Ein lauter Schuss. Ich kniff die Augen zusammen, spürte aber keinen Schmerz. Die Kugel traf die Wand neben meinem Kopf. Zitternd und voller Furcht starrte ich ihn an.

«Ich kann dich mit einem Schuss töten», knurrte Dominic wütend, «Allerdings könnte ich dich auch leiden lassen».

Er zielte auf meinen Schenkel und drückte ab. Ein stechender Schmerz durchfuhr mich und ich sackte schreiend zu Boden. Durch einen Schleier aus Tränen sah ich zu ihm auf.

Ich dachte in diesem Moment nur an eine Person; Tyler. Denn überall wo mein Name auftauchte, war auch Tylers. Und bestand auch nur die geringste Chance, dass er noch lebte, so würde ich ihn bestimmt nicht verraten. Seit unserer Geburt galt ihm meine Loyalität und mir die Seine.

Ein weiterer Schuss der mich nur knapp verfehlte. Ich schaute ihm fest in die Augen. «Ich hatte nicht gelogen, als ich meinte, dass ich die Fehler meiner Eltern ausbaden muss. Ich bin nicht schuld am Tod deiner Eltern».

Erneut drückte Dominic ab und verfehlte mich nur knapp. «Du wirst verbluten», sagte er trocken.

«Meine Eltern sind auch tot», war ein schrecklicher Versuch, seine Empathie zu gewinnen und ein noch viel schlimmerer Fehler. Ich hatte mich versprochen. Es war das fehlende Puzzleteil. Ich hatte Dominic's Vermutung bestätigt.

«Bist du die Tochter von Elizabeth und Adam Stalin?» fragte er schreiend. Natürlich wusste er die Antwort bereits, er wollte sie nur noch von mir hören. Er wollte, dass ich mich ihm beuge.

Ein weiterer Schuss in mein ohnehin schon verwundetes Bein liess mich aufwimmern.

«Bitte-«, nun sass ich doch bettelnd und weinend vor ihm. Dominic Rosso nahm mir auch meine letzte Würde. «Sie sind tot. Du kannst meinen Eltern doch gar keine Qualen hinzufügen indem du mich tötest. Dominic bitte». Das letzte, das ich sah, war das viele Blut, dass sich auf meinem linken Bein ausbreitete. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich roch den metallenen Geruch meines Blutes und hörte, wie eine Waffe geladen wurde, dann gaben auch meine anderen Sinne nach.

-Dominic-

Ich schloss meinen Augen und atmete tief durch. Der Lauf meiner Pistole war noch immer auf das Mädchen gerichtet. Ich wusste von Anfang an, dass sie etwas verbarg und obwohl ich es hasste, angelogen zu werden, kam ich nicht drum rum; Ich hatte etwas für sie übrig. Lyn, wie sie sich damals nannte, war mutig und raffiniert. Sie steckte ihre Nase nicht in meine Angelegenheiten - und tat sie es doch, so war es nur, um meine Mutter zu rächen... Die Mutter, die von den Eltern dieses Mädchens ermordet wurde.

Auch wenn das zusammengekauerte Mädchen alles andere als ungewöhnlich war, konnte ich es nicht töten. Ich wollte nicht zusehen, wie das Leben aus ihr entwich und ihr Körper in sich zusammensackt. Ich wollte den Leblosen Körper nicht wegbringen und an einem abgelegenem Ort verbrennen müssen. Aber das war nun mal der Preis, den man zahlt, wenn man respektiert werden wollte.

«Fuck. Was ist denn hier passiert?» Reflexartig drehte ich mich um und zielte auf den jungen Mann vor mir. Jax.

«Sie ist die Tochter der Stalin's.», erklärte ich dann.

«Den Auftragskillern?« leise pfiff Jax durch die Zähne.

Geschickt drehte ich die Waffe, sodass der Griff nun auf Jax zeigte. «Bring sie um», befahl ich dann auf Jax' zögernden Blick hin. Dieser runzelte die Stirn und rümpfte die Nase. Das hatte auch Lyn damals auf der Kücheninsel getan, als ich ihr den Apfel anbot, schoss es mir bitter durch den Kopf.

«Das ist deine Rache nicht meine», meinte er dann abwehrend. Er hatte mir noch nie einen Befehl verweigert.

Widerwillig drehte ich mich wieder dem bewusstlosen Mädchen zu. Als ich die Waffe anhob zitterte diese in meiner Hand. Ich schloss die Augen. Töten konnte man blind. Ich musste nicht sehen, wie sich die Kugel in ihren Kopf bohrte.

Bevor ich schoss, legte Jax eine Hand auf den Lauf der Waffe. «Du musst das nicht tun», sagte dieser. Ich öffnete die Augen und schluckte schwer, nickte und zielte erneut. Ich spürte, wie meine Tränen meine Wangen benetzten. Nach einem letzten ruhigen Atemzug drückte ich schliesslich ab. «Bring Chen Youngs Leiche weg. Ich kümmere mich um den Rest.», sagte ich dann mit angespannter Stimme.

Blurred LinesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt