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P R O L O G

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Sechzehn Jahre zuvor...

»Stella, mein Schatz, sieh mich an... du musst jetzt ganz genau aufpassen und deinem alten Herrn zuhören, ja?«

Ich verstehe das nicht. Wieso ist Dad so... komisch? Ich spüre, dass etwas nicht stimmt.

In der Schule sagen die anderen Kinder immer zu mir, dass ich dumm bin. Aber das stimmt nicht! Wenn ich dumm wäre, würde ich jetzt anfangen zu weinen und nach meiner Mami schreien. Aber die ist in der Arbeit und hat Nachtschicht. Das heißt, sie schläft ganz viel, wenn es hell ist und nachts arbeitet sie.

Wenn ich schreien würde, könnte sie mich gar nicht hören.

»Dad? Was ist los?«, frage ich leise, weil Dad vorher auch sehr leise gesprochen hat. Ich möchte keinen Ärger kriegen. Und ich möchte nicht, dass mein Dad Ärger kriegt. Er sieht aus, als hätte er schon genug davon.

Ich habe ganz, ganz dolle Angst, weil mein Dad so blass und unruhig aussieht. Und wieso schaut er die ganze Zeit zur Eingangstür?

Ich verstehe das nicht!

Plötzlich höre ich ein lautes Rumpeln an der Tür und ich schnappe nach Luft.

Jetzt packt er mich an den Schultern mit seinen schwieligen Händen und ich versuche, nicht zusammenzuzucken, obwohl es bisschen wehtut. Seine schwarzen Augen, die so aussehen wie meine, sind ganz groß und er schaut mich so ernst an.

»Stella, wir spielen jetzt ein Spiel, in Ordnung? Setz dich unter die Spüle in den Schrank und sei ganz leise. Mach keinen Mucks! Du darfst dich nicht bewegen und keine Geräusche machen. Und du darfst auf gar keinen Fall da rauskommen, egal, was du hörst, okay? Schaffst du das, mein Mädchen?«

Hastig nicke ich, sodass die Zöpfe, die mir Mom in der Früh geflochten hat, vor dem Gesicht herumfliegen. Dad scheint dieses Spiel wirklich wichtig zu sein, darum werde ich mein Bestes geben.

Irgendwie weiß ich, dass das kein Spiel ist. Aber Dad scheint das wirklich sehr wichtig zu sein...

Plötzlich reißt er mich in seine Arme, und drückt mich an sich, ganz kurz bloß. Als er mich wieder loslässt, sieht er so traurig aus, dass ich versuche, ihn zu trösten: »Es wird sicher alles gut, Dad.«

Leider hat das wohl nicht geholfen. Das Lächeln, das er mir schenkt, ist trotzdem traurig. Er nickt und streicht mir über den Kopf. »Natürlich wird es das, mein Sternchen.«

So nennt mich mein Dad oft. Mein Name, Stella, bedeutet nämlich ›Stern‹. Das finde ich schön.

Wieder rummst es so laut an der Tür und eine tiefe Stimme brüllt: »Mach die Scheiß-Tür auf, Rafman!«

Dad schiebt mich zum Schrank unter der Spüle, reißt die Tür auf und flüstert ganz schnell: »Geh da rein, Stella, und nicht vergessen: kein Ton, egal, was du hörst!«

Schnell krieche ich unter die Spüle. Bevor Dad die Tür zumacht, legt er sich den Zeigefinger an die Lippen. Shhh...

Ich nicke ernst und schließe die Arme um meine Knie. Dann wird die Tür leise geschlossen und alles wird dunkel...

LacunaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt