Hellblaue Linien ziehen sich über meine Handinnenfläche. Sie erstrahlen in genau derselben, klaren Farbe wie meine Augen. Im Dunklen schimmern sie und spenden ein schwaches Licht. Ich neige den Kopf zur Seite und betrachte sie mittlerweile zum bestimmt tausendsten Mal. Wachsam drehe ich meine Hand hin und her, dann fahre ich die Linien mit dem Zeigefinger meiner anderen Hand nach. Sie sind so dünn, aber dennoch gut sichtbar. Die Linien umschlingen einander kunstvoll, ranken sich nach oben wie eine Blume und formen ein wunderschönes Gebilde auf meiner Hand. In diesem Licht sehen sie aus wie blassblaue Mondflüsse meiner verlorenen Seele.
Ich bin der Einzige, der ein solches Zeichen trägt. Ich bin anders, ein Freak, aber so will ich nicht sein. Deshalb trage ich einen Handschuh über diesem Symbol, das ich gelernt habe, zu hassen. Es ist jetzt schon seit fast einem Jahr dort und breitet sich immer weiter aus. Mittlerweile erstreckt es sich über meine ganze Handinnenfläche. Ich habe Angst, dass es irgendwann meinen gesamten Körper zeichnet wie eine schreckliche Narbe und ich mich dann nicht mehr verstecken kann.
Meine Mum meint, ich wäre ein Wunder, und dass ich dieses Symbol mit Stolz tragen soll. Aber im Endeffekt macht es mich nur zu einem Außenseiter, weil ich anders bin, weil ich ein Freak bin, wie es die anderen sagen.
Wahrscheinlich bin ich deshalb kein glücklicher Mensch. Ich gehöre einfach nie dazu. Und selbst wenn ich etwas mit Freunden unternehme, fühle ich mich irgendwie immer fehl am Platz. Mein ganzes Leben lang hat es sich so angefühlt, als würde mir irgendetwas fehlen und das raubt mir jede Freude. Ich bin auf der Suche nach diesem verlorenen Puzzleteil, das mich endlich vollkommen machen wird. Mittlerweile habe ich die Hoffnung aber schon längst aufgegeben.
Momentan studiere ich Musik an der Universität. Ich liebe Musik, aber auch hier bin ich nicht so glücklich, wie ich es mir erhofft hatte. Und mein Herz, mein Herz, es weint immer noch tief in mir drin und meine Seele ist ganz blass. Wenn ich doch nur wüsste, wie ich das ändern könnte.
Ich sitze am Klavier, ganz alleine in dem kleinen Konzertsaal der Universität und übe. Morgen habe ich einen wichtigen Auftritt. Meine Finger gleiten über die Tasten, eine sehnsuchtsvolle Musik erklingt und füllt den Raum. Die Töne tanzen auf und ab und formen sich zu einer sanften Melodie. Ich beende das Stück, ein zartes, verträumtes Lächeln hat sich auf meinen Lippen ausgebreitet. In der Musik kann ich mich selbst verlieren, wie in einem schönen Traum. Gedankenverloren stehe ich auf, fahre mir durch mein rabenschwarzes Haar, sammele meine Notenblätter ein und stecke sie in meine Mappe. Ich verstaue die Mappe sorgfältig in meiner Tasche und hänge sie mir um, dann streiche ich kurz über den teuren Flügel. Es ist wirklich mein Traum, einmal Musiker zu werden. Was ist schöner, als sich den ganzen Tag mit dem zu beschäftigen, was man ohne Wenn und Aber liebt? Ich lächle etwas mehr, dann ziehe ich meine Kopfhörer an und will von der Universität aus nach Hause gehen.
Als ich mich umdrehe, bleibe ich wie paralysiert stehen.
Grüne Augen blicken mir entgegen. Sie sind so grün wie saftiges Gras, wenn die Sonne darauf scheint. Ein ebenso grünes Blitzen an deiner Hand. Ich sehe dich nur für ein paar Sekunden, dann bist du um die nächste Ecke verschwunden. Du hast mich gerade beobachtet, ganz klar, und jetzt suchst du das Weite. Ich starre dir nach. Habe ich richtig gesehen? War da etwas Grünes an deiner Handinnenfläche?
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Sommernachtsträume
Historia CortaWillkommen zum großen Romantasy-Festival - Feier mit uns deine Sommernachtsträume 2020 Der Sommer ist die Zeit der Festivals. Weil es in der aktuellen Lage dieses Jahr mit solchen Großveranstaltungen eher mau aussehen könnte, bringen wir die Festiva...