6. Nur die nicht realisierbaren Träume sind schön

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»Fünf Minuten noch«, murrte der junge Mann in sein Kissen, der eindeutig keine Lust hatte, um diese Uhrzeit aufzustehen. Vor allem da dies einer seiner freien Tage war und er vorher schon geplant hatte, diesen im Bett zu verbringen. Doch da gab es jemanden, der ihn von seinem Vorhaben abhalten wollte.

Hawks rollte sich zusammen, als er eine plötzlich aufkommende Kälte verspürte. Diese wurde dadurch hervorgerufen, dass man ihn seiner Bettdecke beraubte. Leicht öffnete er seine Augenlider und blickte müde zu der über ihm stehenden Person hinauf.

»Fünf Minuten waren vor einer Stunde!« Die laute, weibliche Stimme hallte durch das Zimmer, das keineswegs zum Aufstehen motivierte. Schuld daran waren die Fensterrollläden, die erfolgreich das Sonnenlicht abhielten.

Da Mirko keine weitere Zeit verlieren wollte, zog sie die Rollläden nach oben und gab dem Raum sein ursprüngliches Aussehen zurück. Keigo presste sein Gesicht zurück in das Kissen, nachdem ihn die ersten Sonnenstrahlen erreichten. Es war so gemütlich, es sollte nicht vorbei sein.

Er wollte in dem weichen Bett bleiben und bis zum Abend schlafen, oder vielleicht sogar länger. Doch er wusste genau, diese Frau würde es ihm nicht erlauben. »Du kannst dich nicht rausreden. Oh nein. Erinnerst du dich noch, was du letzte Woche gesagt hast, als du betrunken warst?«

Lustlos blickte Hawks zu ihr, darüber nachdenkend, was an dem vergangenen Wochenende passiert war. Die Erinnerungen daran glichen einem Stück Schweizer Käse, es blieben nur noch ein paar Fetzen daran. Dennoch musste er diese irgendwie zusammensetzen, um den Ernst dieser Situation zu verstehen.

Obwohl er nicht ganz überzeugt von dem Moment war, als er Mirko angeblich versprochen hatte, dass sie das nächste Wochenende auf eine ähnliche Party gehen würden. Er könnte sich mit ihr darum streiten. Doch erstens hatte er weder Lust noch Kraft dazu und zweitens wollte er sich nicht mit ihr und ihrer Aggressivität anlegen. Man konnte sagen, was man wollte, aber diese Frau hatte eindeutig zu viel Energie in sich.

»Du benutzt meine Unzurechnungsfähigkeit gegen mich selbst«, murrte er und drückte gleich darauf sein Gesicht wieder ins Kissen. Das war nicht das erste Mal, dass die Weißhaarige ihn zu etwas überredete, als er unter Alkohol Einfluss gestanden hatte. Im Normalfall war es am Ende so, dass sie es ihm erzählte, er jedoch keinerlei Erinnerungen daran hatte.

»Ich nutze es nicht aus. Es ist lediglich ein Angebot, das du nicht abschlagen kannst«, verbesserte sie ihn mit einer ernsten Miene, die sich kurze Zeit später in ein gehässiges Lächeln verwandelte. Ja, Keigos schwache Erinnerungen spielten ihr damit direkt in die Karten.

»Ich sehe keine Unterschiede in unseren Aussagen«, fauchte der unzufriedene junge Mann, während er sich mit seinem Flügel zudeckte. Mit seiner Decke konnte er nicht mehr rechnen, das war ihm bewusst.

»Gut, in dem Fall erzählst du mir etwas von deiner Freundin«, sagte die Heldin, die sich auf die Bettkante warf. Dabei traf ihr Blick auf das verwunderte und verschlafene Gesicht von Hawks, der aussah, als wüsste er nicht so genau, was sie meinte. Rumis Lächeln wurde noch ein Stückchen breiter. »Du kannst mich nicht täuschen. Also? Wie ist sie? Und wann lerne ich sie kennen?«

Sie hatte schon vor einer ganzen Weile die Veränderung im Verhalten des Blonden bemerkt. Ebenfalls hatte sie festgestellt, dass Keigo unberechenbarer war als sonst. Seine freien Abende verbrachte er außerhalb des Hauses. Letzteres hatte sie erfahren, als sie ihn immer wieder anzurufen versucht hatte. Ebenso nachdem er immer wieder mit jemandem Nachrichten ausgetauscht hatte, was so gar nicht zu ihm passte.

Natürlich bemerkte sie noch andere Dinge, doch die fielen wohl am meisten ins Gewicht. Keigo wusste genau, dass er sich aus dieser Situation nicht herauswinden konnte, weshalb er gar nicht erst versuchte, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Gut genug kannte er Rumi, um zu wissen, dass sie nicht nachgeben würde. Doch er fragte sich trotzdem, ob man es ihm wirklich so einfach ansehen konnte. Vermutlich würde jemand anderes all das nicht bemerken, doch die weißhaarige Heldin hatte für so etwas einen Riecher.

»Er hält sich eher abseits«, antwortete er nach einer Weile des Nachdenkens. Keigo fühlte sich seltsam, während er so über Dabi sprach. Sonst hatte er keine Gründe, darüber zu reden, doch diese Situation bedurfte einiges an Improvisation. Schließlich konnte er ihr schlecht erzählen, dass er sich mit einem Schurken traf. Manchmal hatte er das Gefühl, er würde zwei unterschiedliche Leben führen, die sich nicht besonders miteinander vertrugen.

»Ah«, brach Rumi hervor, die aussah, als hätte die Antwort sie überrumpelt. Am Anfang war die Heldin überrascht, doch schnell schüttelte sie dies ab und realisierte, dass die beiden noch nie darüber geredet hatten, welche sexuellen Orientierung ihr Freund hatte. Gleich darauf zierte ihr Gesicht ein Lächeln, das in Keigos Kopf einen Gedanken gebar, dass gleich einige untypische Fragen auf ihn zukommen würden. Und leider irrte er sich nicht. »Also bist du eher Bottom oder Top?«

»Rumi«, seufzte er mit sichtbarer Unzufriedenheit. Gerade erfüllte sich eine seiner schlimmsten Befürchtungen. Diese Frau würde ihm keine Ruhe geben, schon gar nicht jetzt.
»Ich vermute, eher das erste«, schoss es nach einer kurzen Bedenkzeit aus ihr heraus. Dabei sah sie aus, als würde sie intensiv über etwas sehr Wichtiges nachdenken.

Etwas, das ihrer Aufmerksamkeit würdig war. Ihr Blick wanderte wieder zurück zu Keigo, der sie ungläubig anschaute, worauf sie ihm ein entschuldigendes Lächeln zuwarf. »Verzeih, doch irgendwie kann ich es mir nicht andersherum nicht vorstellen ... Und außerdem ...«

Mit einer Kopfbewegung nickte sie in seine Richtung. Hawks verzog die Augenbraue und verstand nicht so recht, was sie ihm damit sagen wollte. Doch als er aus dem Augenwinkel die blauen Flecken an seinen Armen und der Brust erblickte, verstand er es.

Er sagte nichts mehr. Mit dem Wissen, dass es ihm nicht mehr vergönnt sein würde zu schlafen, setzte er sich auf. Aus der einen Perspektive gesehen, war diese Situation mehr als ungünstig für ihn. Doch aus der anderen Perspektive fand er es ebenfalls belustigend.

»Wusste ich es«, lächelte sie gewinnend, als sie die Reaktion ihres Freundes sah, der sie wie ein Auto anstarrte. Doch gleich darauf lachte er über sich selbst, während sein Blick über die Bettwäsche schweifte. Er kannte Mirko gut genug, um zu wissen, dass sie ihn keineswegs verärgern wollte. Nichts dergleichen.

Ihr Charakter war etwas speziell, doch genau das war wohl einer der Gründe, warum sie seine beste Freundin war. Und wenn er darüber genauer nachdachte, stellte er schnell fest, dass, wenn sie nicht gewesen wäre, dann gäbe es viele seiner schönen Erinnerungen gar nicht erst. Solche, über die sie beide mit einem Lächeln heute noch reden konnten.

Mit den richtigen Menschen, ist das Leben wirklich wunderbar. Und genau solche Menschen hatte er, einer davon war ihm besonder wichtig und nahe. Manchmal tat sich in ihm ein bestimmter Gedanke auf. Wie würde ihr beider Leben aussehen, wenn einige Dinge anders verlaufen wären? Wenn er kein Held und Dabi kein Schurke wäre.

Wenn beide einen anderen Weg eingeschlagen hätten. Einen, der sie an das gleiche Ziel geführt hätte und sie nicht gezwungen wären, sich im Schatten der Gesellschaft zu treffen. Sie wären unabhängig. Auch wenn sie noch nie darüber geredet hatten, auch weil er es für äußerst dämlich hielt, so wünschte er sich von Grunde seines Herzen, dass sie beide bis ans Ende ihres Lebens zusammen sein könnten …


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