10. Tränen sind die Sprache deines Herzens

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Die dämmerige Küche füllte sich mit der kühlen Luft, die durch das sperrweit geöffnete Fenster ins Innere drang. Sie vermischte sich mit dem Geruch von frisch gebrühten Kaffee, der bis zu diesem Zeitpunkt unangetastet da stand.

Krampfhaft hielt Dabi den Becher in seinen Händen und betrachtete ihn mit leeren Blicken. Er hatte keine Lust auf den Kaffee, dessen Dampf übernahm einzig und allein die Rolle eines Räucherwerks, dass seine wirren Gedanken vertreiben sollte.

Dabei wollte er einfach nur etwas zu tun haben, selbst wenn die Beschäftigung darin bestand, am Fenster mit einem dampfenden Becher zu sitzen, dessen Inhalt vermutlich ohnehin in der Spüle landen würde. Die Temperatur, die immer weiter sank und die Kälte, die er immer mehr verspürte, interessierte ihn nicht einmal. Dabi musste runterkommen, ein paar Dinge überdenken, am besten in Ruhe und Frieden.

Mit einem tiefen Atemzug richtete er seinen Blick wieder auf das Fenster. Draußen wurde es allmählich hell und die städtischen Geräusche wurden immer lauter. Alles erwachte langsam wieder zum Leben. Es war wie tagein und tagaus. In seinem Kopf kreisten viele Gedanken, die wichtigen, wie auch die weniger wichtigen.

Und auch wenn es ihm so vorkam, als hätte er sich mit ihnen längst abgefunden und es hingenommen, so kehrten sie zurück, mit doppelter Stärke. Sie verdunkelten seine Gedanken und legten sich wie ein undurchdringlicher Nebel auf ihn.

Das Schlimmste daran war, dass er nicht wusste, wie er sie wieder loswurde. Es gab keine Person, der er sich anvertrauen konnte, mit der er frei über seine Sorgen sprechen konnte. Die sich aufbauenden, unterdrückten Emotionen in ihm gaben ihm das Gefühl, als wäre er eine tickende Zeitbombe.

Immerhin konnte er sich etwas entladen, wenn er seine Gegner in Asche verwandelte. In solchen Momenten fühlte er Befriedigung, ebenso eine kurzzeitige Erleichterung und alle seine negativen Gedanken, konnte er erfolgreich hinter einer gleichgültigen Maske verstecken.

Als er die warme Flüssigkeit auf seinen Wangen spürte, seufzte er und senkte den Kopf. Dies bewirkte, dass die Blutstropfen hinunterfielen und ihn dabei sein Hemd befleckten. Manchmal hatte er darüber keine Kontrollen und ließ es zu, dass sie flossen. Mit ihnen schüttelte er das ab, was ihn beunruhigte. Zeitweilig.

»Du bist schon wach?«, hörte er die verschlafene Stimme des Blonden, der gerade die Küche betreten hatte und sich nun streckte. Trotz der Anwesenheit des Helden zuckte er nicht einmal, doch das verwunderte seinen Partner nicht. »Trinkst du das noch?«, richtete er an ihn, als er den Becher mit Kaffee sah, den er normalerweise morgens trank.

Etwas verwundert war er schon, denn Dabi und Kaffee, das war wie zwei Welten. Vielleicht kam es gelegentlich mal vor, dass er einen oder sogar zwei trank, jedoch nie aus eigenem Antrieb. Eher durch den Zwang des Blonden, der ihm, ohne zu fragen, einfach einen mit machte.

»Nein.« Die leise Stimme des Schwarzhaarigen durchbrach die Stille, die zwischen ihnen herrschte. Takami verstand sofort, dass etwas nicht stimmte, oder bildete er es sich nur ein? Jedoch hatte er nicht vor ihn danach zu fragen, wusste doch genau, dass er keine Antwort bekommen würde.

Dabi gehörte nicht zu den Menschen, die alles ausplaudern, wenn man nett darum fragte. Er versteckte seine Gefühle und mochte es nicht, über diese zu sprechen. Einzig dann, wenn sie sich näher kamen, bemühte er sich darum, sie zu zeigen.

Keigo kam näher zu ihm, nahm sich den Becher und trank den bereits erkalteten Kaffee aus, gleichzeitig nahm er seinen Partner das Räucherwerk. Es störte ihn nicht, gelegentlich kaufte er sich einen Eiskaffee, jedoch war er mehr der Liebhaber des heißen, der ihm ab und an die Zunge verbrannte.

Den leeren Becher stellte er in die Spüle und beobachtete den Schurken aus dem Augenwinkel, der noch immer in der gleichen Position saß. Er streckte sich, lehnte mit dem Rücken an die Tischplatte hinter sich und starrte die Wand gegenüber an. In seinem Kopf herrschte Chaos, ähnlich wie bei dem Schwarzhaarigen, der ihm noch immer keine Aufmerksamkeit schenkte.

Wer war Hawks für ihn? Diese Frage quälte ihn schon eine ganze Weile, doch er hatte darauf keine plausible Antwort. Trotz der Tatsache, dass er die wahre Identität des Helden kannte, wusste er nicht mit Sicherheit, ob dieser wirklich auf ihrer Seite stand.

Eigentlich sollte er ihn auf Distanz halten, sich nicht an ihn gewöhnen, bloß nicht vertrauen und auf keinen Fall sollte er ihre Bindung weiter aufbauen. Doch alles kam wie es nunmal kam und nun gab es kein zurück mehr. Der Blonde war für ihn eine wirklich wichtige Person. Sein kleiner Freund aus der Vergangenheit, mit dem er gerne Zeit nach dem mörderischen Training mit seinem Vater, den er immer noch verachtet, verbracht hatte.

In seiner Gegenwart fühlte er Erleichterung, wusste, dass er sich um nichts Sorgen machen musste. Bei ihm verschwanden all seine Probleme und die Traurigkeit. Es blieben nur sie – sie allein. Denn in Wahrheit war Hawks die einzige Person, an der ihm etwas lag. So richtig.

Langsam hob er seinen Kopf, blickte auf den sich über ihn beugenden Helden, der mit sichtbarer Sorge die ganze Zeit mit ihm sprach. Wann genau war er hergekommen? Wieso hatte er es nicht geschafft, dies zu registrieren und warum verstand er seine Worte nicht? Er konnte nur in das Gesicht blicken, das er letzte Nacht so leidenschaftlich geküsst hatte.

Keigo verstand nicht, was gerade passierte. Er versuchte, zu ihm durch zu dringen, doch der Schwarzhaarige sah aus, als kämen seine Worte gar nicht bei ihm an. Und das Blut, das seine Wangen hinab lief, schockierte ihn umso mehr.

Doch als er es endlich geschafft hatte, seine Gedanken zu beruhigen, da streckte er seine Hand aus, fuhr behutsam mit dem Finger über die warme Haut und verwischte dabei die scharlachrote Flüssigkeit. Dabi fühlte nichts. Nichts außer der stechenden Berührung.

Mit zusammengebissenen Zähnen wischte er die Hand des Blonden zur Seite. Einige Sekunden später schlang er jedoch seine Arme um die Taille des Blonden und kuschelte sich in sein graues Shirt.

Verwundert über die Geste, blickte Keigo hinunter zu dem schwarzen Schopf, in dem er seine Hand eintauchte. Er hörte ein Schluchzen, spürte das Zittern des Körpers, der sich immer mehr an ihn presste.

Dabi weinte. Dies war seine Art, sich abzureagieren. Der Jüngere umarmte ihn mit dem anderen Arm und lächelte traurig. Auch wenn er keine Erklärung von seinem Partner bekam, worum es ging, freute er sich.

War glücklich darüber, dass dieser sich entschied, ihm seine Schwäche zu offenbaren. Denn das bedeutete, dass er ihm vertraute. Dabi wiederum war ihm dankbar, dass er nichts sagte. Sie brauchten keine Worte. Sie brauchten einander.

 Sie brauchten einander

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