Fall des Bruders

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Ein weiteres halbes Jahr verging, und es verging schnell.

Auf Berk war die Situation... nun, als ruhig konnte man sie nicht bezeichnen, aber es lief zumindest deutlich besser als vorher. Die Drachen waren wild und unnachgiebig wie immer, doch die Wikinger waren nun deutlich besser dran als in der Zeit vor Sigurds Übernahme des Häuptlingspostens.

Die älteren Wikinger fühlten sich an frühere Zeiten erinnert, als damals Haudrauf damit begann, seinen neuen Pflichten als Häuptling nachzukommen. Der junge Hofferson war ein schneller Lerner, er war stark und entschieden, aber auch stur und zeitweise ungeduldig und fordernd.

Bisher weigerte er sich vehement, irgendjemanden zu seinem Stellvertreter zu ernennen. Ein Häuptling, eine Verantwortung und beides lässt sich nicht teilen, das war sein Motto. Der Einzige, mit dem er sich hin und wieder beriet, war Grobian, der inzwischen – auf Drängen des ganzen Dorfes einschließlich Sigurd hin – Gustav Larsson zu seinem neuen Schmiedelehrling gemacht hatte.

Im Großen und Ganzen war er in dieser Zeit ein guter Häuptling, der das Dorf trotz seines Mangels an Erfahrung kontinuierlich aus der Misere des letzten Winters zog.
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Auch weit entfernt von Berk ging das Leben weiter. Ganz besonders zwei Personen machten gewaltige Änderungen durch.

Die totgeglaubte Tochter des ehemaligen Häuptlings von Berk, die sich im Übrigen nicht ansatzweise über ihre Identität im Klaren war, befand sich praktisch den gesamten Tag im Training.

Besagtes Training wurde Tag für Tag von ihrer Lehrmeisterin Donner mit einem ungewöhnlichen Ritual initiiert, das sie beide in einen schwer vorstellbaren Zustand von Verbundenheit im Geiste versetzte. Eine Verbundenheit, durch die sie ihre Trainingsmöglichkeiten ganz nach ihrer Vorstellungskraft ausschöpfen konnten.

Oh, und natürlich nach der Vorstellungskraft des Wesens, wegen dem sie sich dem Ganzen überhaupt erst stellten.

Auch Kha'Zix, der Räuber der Leere, beteiligte sich regelmäßig und beobachtete je nach Verlauf mal hämisch, mal zufrieden den Fortschritt der jungen Schülerin.

Die Namenlose lernte und kämpfte und stellte sich jeder Herausforderung, die ihr von ihrer menschlichen Lehrmeisterin, aber auch gelegentlich von ihrem nicht so menschlichen Lehrmeister gegeben wurde, ganz egal, wie sehr ihr Erfolg auch variierte.

Das Training war nichts anderes als Folter, aus der man Lehren ziehen konnte.

Oft musste die Schülerin Kämpfe gegen Gegner bestreiten, die gänzlich der Vorstellungskraft von Donner oder Kha'Zix entsprangen. Manchmal war es ein simpler Krieger mit Axt und Schild, meistens jedoch gleich mehrere auf einmal, denen sie sich mal mit, mal ohne die Kräfte des Leerengeborenen stellen durfte.

Das waren die Kämpfe, in denen das Überleben der Namenlosen immer häufiger feststand, je länger sie trainierten. Doch das war nicht relevant. Sie befanden sich hier nicht in der Realität. Der Tod fühlte sich zwar echt an, war aber letzten Endes nur eine Illusion ihrer beiden Lehrer.

Und dann gab es die Kämpfe, in denen sie einfach nur herumprobierten und ihnen völlig egal war, wie die Chancen der jungen Schülerin standen.

Sei es ein Koloss von mehreren Metern mit einer Haut aus hartem Stein, einer Keule aus purem Stahl und der Kraft und Geschwindigkeit eines Wahnsinnigen auf den härtesten Drogen, die der menschlichen und unmenschlichen Vorstellung überhaupt entspringen konnten, oder ein gewaltiger Drache mit sieben Köpfen und undurchdringbaren Schuppen mit allen möglichen Dingen, die die unterschiedlichsten Drachen des Archipels sonst nur einzeln speien konnten.

Das waren die Duelle, in denen es nicht auf den Sieg ankam – der übrigens nie erreicht wurde – sondern vielmehr auf die Länge des Kampfes und wie lange sie überstehen konnte.

Zum Henker, einmal schickte Kha'Zix sie sogar gegen eine unmenschlich große auf zwei Beinen laufende Bestie, die am ehesten noch an einen weißen Löwen erinnerte. Nur eben, dass dieses Biest mit einer fein bearbeiteten Rüstung, einem exotischen Schwert und an seinem Unterarm befindlichen Faustklauen aus Stahl kämpfte. Am furchterregendsten war der wilde Blick, der die Namenlose förmlich mit dem eiskalten und berechnenden Blau des einen Auges und dem zornig-verlangenden Orange des anderen Auges durchbohrte.

Das orangefarbene Auge schien künstlich zu sein, aber sicher war die junge Schülerin sich nicht, denn sie hatte kaum Zeit, sich darauf zu konzentrieren. Mit sehr viel Glück konnte sie nur wenigen Angriffen des wilden Biests ausweichen, bevor es sie nach kaum zwanzig Sekunden förmlich in der Luft mit lautem Gebrüll zerfetzte.

Doch nicht nur gegen unterschiedliche Gegner wurde sie trainiert, auch die Beherrschung einer großen Bandbreite von Waffen wurde von ihr verlangt. Von den einfachsten bis zu den exotischsten.

Kämpfte sie an einem Tag mit Schwert und Schild, so war es am nächsten eine Zweihandaxt oder einfach nur ein kleiner Dolch, mit dem sie sich durch ein halbes Dutzend Feinde metzeln sollte.
Gelegentlich auch mal ein stark gekrümmtes Schwert mit ungewöhnlich breiter Klinge, oder seltener auch mal eine Kettensense oder Holzstäbe, die von einigen Kettengliedern zusammengehalten wurden.

Mit allen Waffen meisterhaft umgehen zu können wäre zu viel verlangt. Bald kristallisierten sich klare Favoriten heraus. Schwerter waren weit oben auf ihrer Liste, sowohl Ein- als auch Anderthalbhänder, mit und ohne Schild. Diese riesigen Zweihänder waren ihr zu klotzig und in Gruppen von Feinden nicht variabel genug.
Auch Stäbe und Speere waren bei ihr nicht an der falschen Adresse. Die Möglichkeit, eine Waffe über große und kleine Reichweiten führen zu können, wenn man einfach nur umgriff, hatte es ihr sehr angetan. Mal abgesehen davon, dass sie sich auch sehr kreativ gegen mehrere Feinde einsetzen ließen.

Und dann war da noch der Bogen, ihre klare Nummer Eins, der ganz je nach Beschaffenheit auch im Nahkampf nützlich sein konnte.

Der Geist der Namenlosen wurde gestärkt. Sie lernte die Ankunft des Todes vielfach kennen und auch, wie dieses endgültige Gefühl weichen konnte. Alles dank der Illusionen ihrer Meister.

Sie lernte, mit den Kräften umzugehen, die der Leerengeborene ihr bieten konnte. Sparsam und effektiv. Getrimmt auf pure Perfektion und Effizienz, ganz nach der Art, wie Kha'Zix selbst lebte.

Und während ihr Geist sich stählte, so tat es auch passiv ihr Körper, obwohl sie nicht einmal Kraft aufwandte. Es spielte sich alles nur in ihrem Kopf ab.

Es war ein seltsames, aber grausames Training, das Wirkung zeigte.

Und dann war da noch jemand anderes, der rigorosem Training unterzogen wurde...
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«UFF...», entfuhr es ihm, als er zum wiederholten Male an diesem Tag zu Boden gestoßen wurde und krachend auf dem Rücken landete. Der solide Holzstab, mit dem er trainierte, fiel ihm geradewegs hinterher.

Das vertraute Gesicht seiner schmunzelnden und einen zweiten Stab haltenden Mutter beugte sich über ihn. «Und wieder hoch, Hicks», wies sie ihn zwinkernd an und hielt ihm eine helfende Hand entgegen, während er nur schlaff am Boden lag und wie ein halb Ertrunkener nach seinem Atem rang.

«Ich kann nicht mehr...», gab er erschöpft von sich, doch seine Mutter lachte nur.

«Du wieder... Wenn man dich lässt, reitest du bis zum Abwinken auf Ohnezahn, aber wenn ich mit dir trainiere, machst du nach zwei Stunden schlapp.» Sie schmunzelte, als er seufzend die Hand hob und half ihm anschließend wieder hoch.

«Der Unterschied ist, dass fliegen Spaß macht. Und es liegt mir eher.»

«Jetzt werde mal nicht arrogant, junger Mann», entgegnete Valka in einem gespielt strengen Ton, bevor sie gütig lächelte. «Es stimmt, du hast ein großes Talent. Aber das bringt dir leider gar nichts, solltest du einmal alleinstehen. Ohne deinen Drachen, wenn du um dein Leben fürchten musst. Und jetzt nimm den Stab wieder auf, mein Sohn.»

Kurz atmete er durch, bevor er sich nach unten beugte. In dem Moment, als er das Trainingswerkzeug berührte, bemerkte er schon aus dem Augenwinkel, wie etwas auf ihn zusauste. Er griff notdürftig nach dem Holzstab, bevor er sich zur Seite rollte und sich in eine verteidigende Hochstellung begab.

«Gut gemacht», sprach seine Mutter anerkennend, die nach ihm geschlagen hatte, und grinste. Hicks grinste zurück, als sie den Stab spielerisch ein wenig herumwirbeln ließ und anschließend zu einem kräftigen Überkopfschlag ausholte.

Er hob die Waffe an, um den Schlag abzublocken. Der nächste Zug seiner Mutter war ein Schlag mit einem Ende ihres Stabes von der Seite, den Hicks ebenfalls parierte. Doch dann drehte sie sich um seine verteidigungslose Seite und zog ihm mit der anderen Seite den Boden unter den Füßen weg.

Wieder landete er auf dem Boden und sie hielt ihm ihre eher harmlose Waffen mit einem Ende an den Hals. «Du bist nicht bei der Sache», stellte sie stirnrunzelnd fest. «Du hattest die perfekte Gelegenheit, meinen Stab wegzustoßen und zu einem Konter überzugehen. Sei offensiver, Hicks.»

«Tut mir leid, tut mir leid», stöhnte er geschlagen. «Du... du hast recht. Ich bin gerade nicht so richtig dabei.»

Dieses Mal half sie ihm nicht auf. Stattdessen setzte sie sich mit besorgter Miene neben ihn auf den Boden und sah ihn nachdenklich an. «Was ist los, Sohn?»

Eine Weile lang sagte er nichts. Schließlich seufzte er und setzt sich ebenfalls wieder auf. «Warum machen wir das hier?», fragte er und riss ein kleines Grasbüschel aus dem Boden, bevor er die Halme auseinanderzupfte.

«Ich verstehe nicht...», kam es stirnrunzelnd von ihr. »Warum wir trainieren? Damit wir die Drachen gegen andere Menschen verteidigen können.»

«Das ist mir bewusst. Ich weiß, wofür wir kämpfen. Aber ich weiß nicht, warum. Ich meine, wir wissen beide, wo sich der Drache befindet, der für diesen ganzen Konflikt verantwortlich ist. Was, wenn wir-»

«Nein, Hicks», fuhr ihm seine Mutter energisch kopfschüttelnd dazwischen. «Und selbst wenn es möglich wäre... die Menschen haben sich daran gewöhnt, gegen Drachen zu kämpfen. Manche Stämme sind einzig und allein auf die Drachenjagd und den Handel mit ihnen angewiesen. Sie werden niemals aufhören. Und genau deshalb brauchen uns die Drachen.»

«Siehst du? Auf diese Stämme müssten wir uns eigentlich konzentrieren», sprach Hicks und rappelte sich auf. In seinen Augen sammelte sich ein Glanz, den Valka nur allzu gut selbst kannte. Das gefiel ihr ganz und gar nicht. «Wenn wir uns um diesen Drachen, diese... Königin... diesen Alpha kümmern, dann haben wir es doch viel leichter, jene zu überzeugen, die nicht auf den Kampf mit Drachen angewiesen sind, oder nicht?»

«Hicks, bitte...», kam es nur erschöpft seufzend von seiner Mutter, die nur müde den Kopf schüttelte.

Doch er ließ sich nicht bremsen. «Hör mir doch mal zu!», entgegnete er mit einem fast ansteckenden Enthusiasmus. «Denk nur mal daran: Sind die Drachen erst einmal vom Einfluss dieses Alphas befreit, können wir den Menschen zeigen, wie friedfertig sie wirklich sind. Stell dir nur einmal vor, wir fliegen mit einer riesigen Horde Drachen über Berk, ohne es anzugreifen. Stell dir nur mal Vaters bedröppeltes Gesicht vor!»

Valka entfuhr ein kurzes, unamüsiertes Lachen, das schon fast in eine mitleidige Richtung ging. «Wikinger ändern sich nicht. Schon gar nicht dein Vater, mein Junge. Und so weit wird es erst gar nicht kommen können, weil-»

«Jaja, schon klar», fuhr Hicks strahlend vor Begeisterung dazwischen. «Aber ich hab den perfekten Plan!» Gerade, als seine Mutter zu Widerworten ansetzen wollte, fuhr er schon wieder fort. «Ich hab dir doch von dem Abend erzählt, als ich das erste Mal mit Ohnezahn fliegen war. Also so richtig fliegen war. Die Sache mit dem Schrecklichen Schrecken?»

Sie seufzte, nickte dann aber. «Davon hast du erzählt, ja.»

«Na siehst du! Und du erinnerst dich an die Stelle, als der Schrecken seinen Schuss aufladen wollte und Ohnezahn ihm einfach in den Rachen geschossen und das Gas entzündet hat? Drachen sind von innen-»

«nicht feuerfest», ergänzte Valka langsam bedächtig nickend.

Hicks' begeistertes Lächeln wurde breiter und er nickte energisch. «Richtig, richtig! Und was ist, wenn wir es bei dem Alpha, dem Roten Tod, genauso machen? Sie würde zwar nicht von innen verbrennen, aber es würde sie zumindest für gewisse Zeit extrem schwächen, oder nicht?»

Seine Mutter saß nur weiter da, mittlerweile das Kinn nachdenklich auf ein Knie gestützt.

Hicks sah das anscheinend als Bestätigung, denn er pfiff sogleich nach Ohnezahn. Als sein schwarz geschuppter Freund angerannt kam, drehte er sich zu Valka um. «Komm schon, Mutter! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir können jetzt-»

«Nein, können wir nicht», kam es leise und betrübt aus ihr hervor, gerade als Hicks aufsitzen wollte. Mit einem verwirrten Gesichtsausdruck drehte er sich wieder um.

«Wie... wie meinst du das?»

«Wir können sie nicht besiegen. Wir besitzen nicht die notwendigen Mittel...»

«Wir haben selbst einen Alpha, einen Großen Überwilden. Der Rote Tod hat im Leben keine Chance.»

«Das wird nicht reichen, mein Sohn. Das alles wird längst nicht reichen...»

«Natürlich nicht, aber sie hat ein Nest und wir haben auch ein Nest. Wir können sie bezwingen, wenn wir mit allem zuschlagen, was wir haben!»

«Ich rede nicht von den anderen Drachen, die der Rote Tod unterworfen hat.»

«Wovon dann?»

Valka schwieg und starrte nachdenklich geradeaus.

«Mutter?»

«Du würdest es mir nicht glauben...»

«Egal, was es ist. Wir können es bezwingen. Wir brauchen nur einen guten Plan.»

«Nein!», entgegnete sie ihm nun entschieden und stand auf, während Hicks sie überrascht anstarrte. «Nichts von dieser Welt kann bezwingen, was auf dieser Insel lauert. Keine Waffe, kein Drache und schon gar kein Mensch kann das. Nichts und niemand kann es aufhalten. Unsere beste Chance, diesen Kampf zu gewinnen, ist, uns ihm erst gar nicht zu stellen. Wir bleiben bei dem, was wir können. Und das ist, den Drachen zu helfen. Nicht, etwas zu töten, das du nicht richtig verstehst.»

«Wenn du es so viel besser verstehst, warum erzählst du mir dann nicht davon?» Hicks' Ton wurde allmählich genervt.

Valka seufzte. «Ich-»

Aber ihr Sohn unterbrach sie gleich wieder. «Weißt du was?», fuhr er sie an und wollte irgendwie mit den Händen fuchteln, ließ sie dann aber doch wieder fallen. «Tu es nicht. Wir machen es ganz, wie du es willst. Ich lass mich die nächsten weiteren Monate von dir zusammenschlagen und dann fliegen wir ein wenig durch die Weltgeschichte. Verhindern für einige Zeit, dass andere leiden, aber ohne ihre Leben zu verbessern.»

Seine Mutter schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf. «Du verstehst das falsch.»

«Ich glaube nicht», kam es harsch zurück. «Wir wollen nichts verändern. Nichts Sinnvolles unternehmen gegen all das, was hier vor die Hunde läuft. Das Gefühl, etwas Gutes zu tun, egal wie viel es wirklich bringt, ist doch gut genug, nicht wahr?»

Valka wollte wieder etwas sagen, ließ es aber doch sein und schüttelte nur weiter den Kopf.

«Was tun wir eigentlich immer, wenn Drachen Inseln überfallen? Wir zerstören Verteidigungen, retten Drachen in Not, befreien sie aus ihrer Gefangenschaft. Aber letzten Endes verschieben wir nur das Gleichgewicht. Das Leid bleibt insgesamt das Gleiche. Zerstören wir Verteidigungen, verschwenden Wikinger mehr Zeit mit Waffen als dafür zu sorgen, dass sie über den Winter kommen. Retten wir Drachen, müssen für gewöhnlich andere Menschen dafür leiden. Und befreien wir Drachen aus der Gefangenschaft, verhindern wir nur, dass zukünftige Krieger ausgebildet werden, die irgendwann selbst ihre Dörfer schützen müssen.» Hicks zuckte verständnislos mit den Schultern. «Wir verschieben nur das Leid, ohne irgendetwas zu verändern. Auf Berk bin ich aufgewachsen, ohne jemals auf irgendetwas Einfluss zu haben. Und als ich mit dir kam, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, wirklich etwas bewirken zu können. Aber jetzt...»

«Ich weiß, das muss schwer für dich sein, Hicks», sprach seine Mutter sanft und mit Trauer in der Stimme. «Das war es auch für mich. Wie oft habe ich gedacht, diesen Krieg beenden zu können und nach Berk zurückzukehren... Aber vertrau mir, wenn ich dir sage, dass wir in einem Krieg sind, in dem wir nichts bewirken können. Wir können nur warten... und hoffen.»

«Ich soll dir vertrauen?», fragte er ungläubig und seine Mutter sah perplex blinzelnd zu ihm. «Anscheinend vertraust du mir ja noch nicht einmal an, was denn nun so unmöglich am Kampf gegen den Roten Tod ist.»

«Hicks, ich will es dir ja sagen, aber-»

«Nein, Mutter. Das willst du nicht. Das hast du klargemacht.» Auf einmal verzog sich eine Miene und seine Augen wurden feucht. «Maeri... meine Schwester. Ich dachte, ich könnte auf Berk etwas bewirken. Sie sehen lassen, dass Drachen nicht die furchtbaren Monster sind, für die sie gehalten werden. Ich lag falsch. Ich habe einen Fehler gemacht und deshalb ist meine Schwester gestorben. Sie hat sich geopfert, weil ich naiv war.»

«Hicks, sag so etwas nicht... Sie war meine Tochter. Ihr Tod schmerzt mich ebenso...»

«Du hast sie ja kaum gekannt», merkte Hicks bitter an.

Valka starrte ihn sprachlos und mit großen Augen an.

Er hielt den Kontakt, während sich eine Träne aus seinem Augenwinkel löste. «Sie war alles, das ich nie sein konnte. Stark, mutig, entschlossen... und durch und durch ein guter Mensch. Egal, wie rau sie manchmal war, sie wollte immer nur helfen. Sie hat nie aufgehört, sich für mich einzusetzen. Ich bin ihr alles schuldig und werde es ihr niemals zurückzahlen können. Jetzt nicht mehr. Ich dachte, es wäre zumindest möglich, sie zu ehren, indem wir diesen Konflikt beenden. Anscheinend wollen wir nicht einmal das für sie tun.»

Seine Mutter schloss betrübt die Augen und schüttelte langsam den Kopf, während Hicks sich von ihr abwandte und auf den Sattel seines besorgten, schwarz geschuppten Freundes stieg. Ohnezahn streckte kurz den Kopf nach oben und rieb seine Stirn gegen seinen Reiter, der anschließend mit seiner Hand über den Kopf des Drachen strich.

Hicks sah noch einmal zu Valka mit nichts als Enttäuschung in den Augen. «Mir reicht es für heute. Ich geh schlafen.»

Auf diese Worte folgten ein paar kräftige Flügelschläge, die eine gedanklich zerrissene Valka zurückließen.
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Die namenlose Schülerin erwachte und nahm einen tiefen Atemzug, gefolgt von ein paar schnellen kleinen, während sie die letzten Trainingserfahrungen verarbeitete, die ihr ihre Lehrmeister aufgezwungen hatten.

Donner hingegen öffnete unberuhigend langsam ihre raubtierhaft-gelben Augen und grinste sie an.

«Meisterin?», kam es von der jungen Frau, die noch immer hörbar atmete. Das Training war anstrengend, auch wenn es nur eine Illusion war. Der entscheidende Faktor war, dass es sich ebenso anfühlte. Deshalb fühlte sie das Verlangen nach Atemluft. «Wenn wir alle Steine der Leerengeborenen haben und Kha'Zix seine Macht bis zu einem gewünschten Punkt ausgeweitet hat... Was dann? Ihr sagtet, er würde anschließend in seine Welt zurückkehren. Wie?»

Ihre Lehrerin schmunzelte, während sie den Dolch mit dem violetten Stein des Leerengeborenen zwischen den beiden Frauen an sich nahm und ihn an seinen Platz in der kleinen Bibliothek der Heilerhütte zurücklegte. «Nun, meine junge Schülerin», hauchte sie. «Es gibt einen Ort auf dieser Welt, der einen Riss hat. Einen, durch den man theoretisch – mit einem komplizierten Ritual und genügend Energie – zurück in die tatsächliche Leere gelangen kann, dort wo alles angefangen hat.» Sie lief zu ihren Utensilien an ihrem großen und mit vielfältigen Zutaten bestückten Arbeitsplatz an der Wand und bereitete etwas vor.

«Und wie findet man diesen Ort?»

Sie lachte leise und erklärte. «Du und ich und alle anderen Kreaturen dieser Welt können ihn nicht finden. Doch die Leerengeborenen selbst spüren den Sog dieses Ortes. Er ist der Grund, dass Kha'Zix und die anderen allmählich über den Verlauf vieler Generationen immer mehr zusammengerückt sind.» Amüsiert betrachtete sie den interessierten Blick ihrer Schülerin. «Der Ort ist in diesem Archipel.» Sie schüttelte direkt mit dem Kopf, als die jüngere Frau gerade erst den Mund aufmachte. «Nein, Mädchen, schlag dir das gleich aus dem Kopf. Er ist bereits besetzt.»

Die Namenlose blinzelte und runzelte die Stirn, blieb aber beharrlich. «Na dann... besiegen wir den, der dort ist und beanspruchen den Ort für uns.»

Donner entfuhr ein kurzes, heiseres Lachen. «Oh, wenn es doch nur so einfach wäre... Du musst verstehen, dass dort, wo ein Riss in die Leere besteht, auch ein konstanter Fluss von Leerenenergie vorhanden ist. Das heißt, wer ihn für sich einnimmt-»

«Der verfügt über unbegrenzte Kräfte», schlussfolgerte ihre Schülerin.

Ihre Lehrmeisterin konnte sich nicht so recht zwischen Kopfschütteln und Nicken entscheiden, also entschied sie sich für ein Zwischending. «Jain», fügte sie noch an und seufzte, während sie ein heißes Gebräu in zwei Becher gab, das sie soeben vorbereitet hatte. Sie setzte sich und drückte der braunhaarigen Frau, die sich selbst aus ihrer Position am Boden kein Stück fortbewegt hatte, einen davon in die Hand. «Es gibt Grenzen. Leerenenergie beeinflusst den Körper, und das nicht immer positiv. Sie kann dich auch überlasten. Für gewöhnlich endet das in einem plötzlichen Tod.»

«Für gewöhnlich?»

«Ich hatte vor dir andere Schüler.»

Die grünen Augen der jungen Frau weiteten sich, während sie nicht so recht wusste, wie sie darauf nun genau reagieren oder wie sie sich dabei fühlen sollte. Sie nahm lieber einen kurzen Schluck von dem Gebräu und verbrannte sich fast die Zunge. Sie fluchte leise. Nicht, dass sie großartig den Schmerz davon spürte. Es war einfach nervig, für einige Zeit wohl nichts mehr so richtig schmecken zu können.

Donner schnaubte amüsiert und nahm einen verflucht großen Schluck. Ihr schien es völlig egal zu sein, ob sie etwas schmeckte oder nicht. «In 200 Jahren sammeln sich viele Schüler an. Etwas weniger als die Hälfte hat allein das Training lebend überstanden. Den Rest habe ich dann mit dem Dolch des Leerengeborenen losgeschickt. Manche davon haben ihre Grenzen unterschätzt und hatten Angst, die Nutzung von zu viel Energie würde sie auslöschen. Sie wurden von größeren Gruppen überrannt und erschlagen. Dann gab es die, die das genaue Gegenteil getan haben und deren übermäßige Nutzung von Leerenenergie ihr Untergang war. Und ich hatte sogar einen, der sich Hals über Kopf verliebte und sich zur Ruhe setzen wollte. Bah! Ich suchte ihn auf und nahm ihm den Dolch wieder ab... mehr oder weniger friedlich...»

«Und die, die gestorben waren, bevor du sie gefunden hattest?»

Sie lachte. «Jedes Mal etwas Neues. Einer nahm den Dolch an sich und Kha'Zix' bloße Präsenz trieb ihn in den Wahnsinn, dass er sich fast selbst häutete. Ein anderer hatte Angst vor dem Artefakt und hing es sich an die Wand, nachdem er meinen Schüler hatte platzen sehen. Und einer der Schlaueren warf ihn ins Meer.» Donner musste kichern. «Aber so leicht wird man keinen Leerengeborenen los. Sie finden immer einen Weg zurück.»

«Es gibt etwas, das ich nicht verstehe», kam es nun wieder von der jüngeren der beiden Frauen. «Bestand für dich überhaupt ein Grund, einen Schüler oder eine Schülerin zu nehmen?»

Ihre Lehrmeisterin nickte ernst. «Ich versuche es seit knapp 120 Jahren. Allein Leerenenergie ausgesetzt zu sein verändert den Körper eines Menschen. Ich meine, sieh mich an!», meinte sie und deutete leicht grinsend auf sich. «Noch heute könnte ich jedem zweiten jungen Witwer wahrscheinlich den Kopf verdrehen. Ob nun wörtlich oder im übertragenen Sinne... das überlasse ich mal dir. Aber die traurige Wahrheit ist leider, dass ich mit zunehmendem Alter die Leerenenergie immer und immer weniger gut kontrollieren kann. Zum Henker, ich hab mir vor knapp zehn Jahren von einem stumpfsinnigen Wikinger in einem Moment der Unaufmerksamkeit fast den Kopf abschlagen lassen!», krächzte sie ärgerlich und deutete auf ihre Narbe am Hals.

«Und jetzt kannst du nicht einmal mehr vernünftig Luft holen. Atemberaubend», kam es trocken von der Schülerin.

Einen Moment starrten sich die beiden Frauen an, bevor sie beide aus einer Mischung von Enttäuschung und Amüsement leise zu lachen begannen.

«Der war furchtbar», krächzte Donner mit einem breiten Grinsen. «Aber immerhin. Ich hatte schon fast befürchtet, meine Schülerin wäre langweilig und stumpf.»

«Ich bin froh, nicht zu enttäuschen», meinte die Namenlose schnaubend. «Apropos... hattest du mal einen Schüler, der dich nicht enttäuscht hat?»

Kurz überlegte die dunkelhaarige Lehrmeisterin, bevor ihr Kopf mit einem ernsten Blick zu nicken begann. «Ja. Durchaus. Eine Sie, um ganz genau zu sein. Deine genaue Vorgängerin.»

«Was ist aus ihr geworden?»

Sofern es überhaupt möglich war, wurde ihr Blick nur noch ernster. «Sie war es, die den Leerenriss fand und unglücklicherweise entdecken musste, dass er längst belegt war. Sie versuchte dennoch, den dortigen Leerengeborenen zu vernichten, aber sie versagte, was mich nicht überraschte. Sie überlebte trotzdem. Am Morgen darauf fand ich den Dolch an meiner Tür, zusammen mit einer Notiz und einem Namen, meine Schülerin verschwunden.»

«Welchem Namen?»

«Cho'Gath.» Allein der Name klang aus dem Mund Donners wie der Untergang der Welt selbst. «Der Schrecken der Leere. Der Unersättliche und Machthungrige. Wehe dem armen Narren, der seinen Weg kreuzt.»
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Valka seufzte, während sie durch die engen Gänge des künstlichen Eisbergs schritt. Ihr Sohn hatte in gewisser Weise recht, was den Roten Tod anging. Würden sie sich dieses Drachen entledigen können, dann wäre es endlich möglich, sich auf die wahren Bedrohungen der Drachen zu konzentrieren. Ansonsten würden sie nur weiter zwischen Inseln herfliegen, ein paar Drachen retten, andere sterben lassen und ansonsten nichts erreichen. Sie würden weiter die Symptome bekämpfen, anstatt die Krankheit an ihren Wurzeln zu packen und auszureißen.

Diese Krankheit war der Rote Tod. Es gab nur ein Problem: Das Gegenmittel fehlte.

Einst dachte Valka selbst, dass sie die Kraft hatte, sich selbst darum zu kümmern. Es stellte sich selbst mit Unterstützung als die wohl größte Fehleinschätzung ihres Lebens heraus. Sie hatte keine Chance.

Sie unterschätzte ihren Sohn nicht, keineswegs. Aber Hicks unterschätzte die Bedrohung, die vom Roten Tod ausging. Er wusste nicht um die Kräfte, die am Werk waren.

Und wie sollte sie ihm das jemals vernünftig erklären können?

Valka machte den letzten Schritt um die Ecke eines Ganges, der zur eisigen Schlafstätte ihres Sohnes führte. Sie rechnete nicht damit, dass er bereits schlief. Dafür war er vorhin zu sauer. Doch auf einmal blieb sie abrupt stehen.

«Götter, nein...», hauchte sie nur entsetzt und drehte sich geradewegs um. «Wolkenspringer!», schrie sie aus vollem Hals, während sie den Gang wieder zurückrannte, als ob Leben davon abhingen.

Und es hingen Leben davon ab.

Denn die Schlafstätte war leer.
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Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Hicks das Gefühl, dass sich etwas ändern konnte. Mehr noch sogar: Dass er selbst etwas ändern konnte.

Daher zögerte er auch nicht, als sich die Gelegenheit ergab, tatsächlich das Leben Aller zu verbessern. Das Leben von Menschen und Drachen.

Doch selbst, als er in Sichtweite des großen Vulkans des Drachennestes kam, in dem ein tyrannischer Alpha regierte, wusste er nicht, womit er es zu tun hatte.

Er dachte es zumindest, aber die Chancen waren hoch, dass es ihm zum Verhängnis werden könnte.

Sein Plan war simpel: In das Nest fliegen, auf die Königin feuern, sobald sie sich zeigte, sie damit wütend machen und sie herauslocken, um sie dann zur Strecke zu bringen.

Der Flug in das Nest war ereignislos. Wie schon beim letzten Mal, als Hicks und Ohnezahn an diesem Ort waren, ließen die anderen Drachen sie in Ruhe. Wahrscheinlich dachten sie, der junge Reiter wäre lediglich Beute. Im Gegenteil: Er war hier der Räuber. Dachte er jedenfalls.

Sie mussten nicht lange warten. Es dauerte kaum anderthalb Stunden, bis eine Horde Drachen von einem Angriff zurückkam und die Beute heimbrachte. Zu erwarten war auch, dass ein unglücklicher Nadder nichts als ein halb durchgekautes Hühnchen zu bieten hatte. Hühnchen waren die Leibspeise der stacheligen, vogelartigen Drachen und wahrscheinlich hatte das bemitleidenswerte Biest ewig nichts gegessen, weshalb es bei seiner Ausbeute auch nicht widerstehen konnte.

Das durchgesabberte, durchgekaute und aufgrund förmlich zermahlener Knochen gummigleiche Huhn wurde fallen gelassen. Wenige Sekunden später ertönte ein Grollen, das die Augen aller Drachen mit furchtvollen Blicken aufschlagen ließ. Der Nadder schien sein Schicksal bereits zu akzeptieren. Es war besiegelt. Wegen etwas Essen.

Der große Kopf der montrösen Königin schnellte in einem für ihre Größe atemberaubenden Tempo nach oben, das Maul weit aufgerissen. In einem Bruchteil einer Sekunde hätte sie den Nadder mit einem Mal verschluckt...

Wenn da nicht das violette Plasma eines Nachtschattens dafür sorgte, dass der Kopf des Alphas zur Seite schnappte. Der Nadder wunderte sich schon, warum er verschont wurde, bis er zur Quelle des Schusses blickte, verstand, dass seine Königin anderweitig beschäftigt war und krächzend davonflog, bevor der Alpha doch wieder auf ihn aufmerksam werden konnte.

«Hey Mistvieh!», rief Hicks und setzte sich fest in den Sattel. «Warum suchst du fetter Faulpelz dir nicht mal eine Herausforderung?»

Er erhielt ein donnerndes Knurren und grinste, als das Adrenalin trotz seiner Nervosität und Angst begann, durch seine Adern zu schießen. Er wollte gerade Ohnezahn anweisen abzuheben.

Doch auf einmal wurde die Luft kälter.

Viel kälter.

Hicks fror, als sich auf einmal eine Eiseskälte über seine Haut legte, als wären sie in einen Blizzard geraten. Dabei waren sie doch in einem Vulkan.

Verwirrt und verständnislos sah der junge Haddock die Montrosität an, die sich vor ihm aufbaute und ihn... anzugrinsen schien, während er zu zittern begann und widerstehen musste, sich die Arme zu reiben.

Dann bohrte sich ein furchtbarer Schmerz durch seinen Verstand. Er schrie gepeinigt und hielt sich die Schläfen, während er die Augenlider zupresste.

Dann donnerte eine Stimme, unvergleichlich und einzigartig. Grollend und knirschend. Von überall und nirgends.

«Das wärst du nicht, Mensch.»

Die Stimme bereitete ihn unsägliche Qualen und auch die Drachen schienen davon nicht unbeeinflusst. Ohnezahn schüttelte wild den Kopf und jaulte auf. Den anderen Drachen im Vulkan ging es ähnlich.

Was auch immer es war, es klang furchteinflößend. Der Grundton der Stimme war unfassbar tief. So tief, dass sie Hicks' Schädel förmlich von innen erschütterte. Als würde sie gleich seine Knochen langsam verbiegen. Doch sie hatte noch einen Nachklang, der eine gute Oktave tiefer war. Dieser Klang war noch viel schlimmer. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte man ein Dutzend frisch geschmiedeter, heißer Eisennägel durch seine Schädeldecke ins Hirn getrieben und ihn dann in die heiße Esse einer Schmiede tauchen.

Was auch immer das vorhin für eine Kälte war, mit dieser brennenden, quälenden Hitze war sie nicht zu vergleichen.

Schwer atmend öffnete er wieder die Augen und starrte die Königin angsterfüllt an. Diese schien nur weiter zu grinsen.

«Ich könnte dir einfach deinen Drachen nehmen und ihn dich töten lassen... Aber wozu einen Drachen auf dich hetzen...», donnerte die Stimme, die erneut Hicks' Ohren vibrieren und seine Schädelknochen fast bersten ließ, «wenn ich hunderte habe?»

Die unglaubliche Kälte war noch da, aber der furchtbare Schmerz war zumindest weg, sodass sich der junge Reiter und sein Nachtschatten für ein paar Moment umsehen konnten, nur um festzustellen, dass sich soeben die Pupillen von unzähligen Drachen derart gleichzeitig verformten, dass ihnen eng um's Herz wurde. Fort waren die runden, angsterfüllten Kulleraugen.

Auf einmal wurden sie von hunderten gefühlslosen Killern angestarrt.

«RAUS HIER!», schrie Hicks, als sein Puls in ungesunde Höhen schnellte. Apropos „in Höhen schnellen": Das tat Ohnezahn, und zwar mit aller Kraft, während ihm eine schier unzählbare Masse förmlich am Hinterteil klebte.

Es folgte eine unbarmherzige Verfolgungsjagd. Sie waren schneller, aber die Drachen waren viele und sie verfolgten ihre Beute nicht gerade in einer klaren Linie. Es war, als wären sie nahezu perfekt koordiniert. An nahezu jedem Punkt fanden sich fünf Drachen, die die beiden Freunde gnadenlos verfolgen konnten, während ihnen drei weitere entgegenkamen.

Und es war ja nicht einfach so, dass sie lediglich hinter den beiden herflogen, nein. Mehr als einmal fühlte Hicks die sengende Hitze, die nur knapp davor war, sich auf ewig in sein Fleisch zu brennen.

Schnell waren jedoch mehrere kleinere und einige größere eher schwache Verbrennungen gesammelt. Seine Kleidung wurde von glimmenden Löchern zerfressen, während er und sein schwarz geschuppter Freund sich alle Mühe gaben, nicht von rasiermesserscharfen Zähnen und Klauen in der Luft zerfetzt zu werden.

Mehr als einmal mussten sie mitansehen, wie einige ihrer Jäger in einem derartigen Tempo und mit unglaublicher Aggressivität auf sie zuflogen, woraufhin sie mit Müh und Not auswichen, und die Drachen stattdessen in einzelne Verfolger rammten.

Die Folgen waren unterschiedlich. Einem Nadder wurde der Bauch aufgeschlitzt, ein Alptraum bekam den keulenartigen Schwanz eines Gronckels ins Gesicht, während dieser von einem weiteren Verfolger ein paar Zähne tief in den Nacken gedrückt bekam, und einem Zipper wurde geradewegs der Hals des einen Kopfes gebrochen.

Es war ein furchtbarer Anblick, wie willenlose Geschöpfe sich auf den Befehl eines Monsters hin ohne Rücksicht auf Verluste auf ihren Feind stürzten, völlig ungeachtet der Folgen für das eigene Wohlergehen.

«Du bist gut, kleiner Menschenjunge, aber du kannst nicht entkommen!»

Wieder erfüllte eine Welle des Schmerzes den jungen Drachenreiter, aber abgesehen von ihm und seinem Freund traf es zum Glück auch ihre Verfolger.

Schnell hatten sie alle jedoch ihren Kurs wieder korrigiert und die Verfolgungsjagd wurde lückenlos fortgesetzt.

Nach kaum zwei weiteren Minuten von diesem reinen Zustand in konstanter Lebensgefahr bot sich den beiden eine Lücke nach oben, die sie ohne Zögern und ohne Absprache sofort ergriffen.

Für einen Moment schien es, als könnten sie der riesigen Masse an Drachen entkommen...

Bis sich das weit aufgesperrte, mit Gas gefüllte Maul der Drachenkönigin auf sie herabstürzte.

Hicks erstickte nahezu vor Angst, doch Ohnezahn hatte instinktiv die richtige Reaktion parat. Er schoss.

Er schoss geradewegs eine Kugel konzentrierten Plasmas auf das hochentzündliche Gas des furchteinflößenden Monsters und machte eine Rolle zur Seite, die nur möglich war, weil sich der unwirklich große Drache zu erschrecken schien.

Der Plan ging auf. Das Gas entzündete sich. Und der Drache war in seiner Panik so sehr mit dem Feuer in seinen Organen beschäftigt, dass er den sich rapide nähernden Boden gar nicht wahrnahm, bis es zu spät war.

Die Königin konnte gerade noch ihre überdimensionierten Flügel aufspannen, doch diese verzweifelte Aktion hielt kaum etwas von dem erschütternden Sturz ab.

Selbst aus einer gewaltigen Entfernung konnten Hicks und Ohnezahn die vielen berstenden Knochen hören, als das riesige Monstrum seitlich auf der steinigen Erde der Insel aufschlug.

Der junge Haddock konnte sein Glück kaum fassen. Völlig ungläubig starrte er nach unten. Sollte es das gewesen sein?

Es regte sich nichts. «Wir...», Hicks wagte gar nicht so recht, mehr zu sagen. Einfach aus der Angst davor, dass er doch enttäuscht werden könnte. Doch dann rief er es doch, überlaufend vor Glück und ungebändigter Freude. «W-Wir haben es geschafft!»

Kaum hatte er fertig gefeiert, regte sich wieder etwas am Boden. Ein Dutzend Drachen war neben der Königin gelandet und etwas, das Hicks am meisten befürchtete, trat ein.

Sie bewegte sich. Das Monster lebte noch.

Sein Atem verschnellerte sich wieder. Das konnte nicht sein. Das DURFTE nicht sein. «Komm schon, Kumpel! Beenden wir's!», rief er mit dem Mut der Verzweiflung und begab sich gemeinsam mit Ohnezahn in einen Sturzflug.

Währenddessen schien unten alles in Zeitlupe zu verlaufen. Die gewaltige Drachenkönigin öffnete ihr monströses Maul und... und das Dutzend Drachen, das sich vor sie gestellt hatte...

Sie liefen hinein.

Mit Schrecken beobachtete Hicks, wie das Maul in einem atemberaubenden Tempo wieder zuschnappte und die Drachen ohne Zweifel im Bruchteil eines Augenblicks tötete. Zuerst lief Blut heraus. Hicks wollte es nicht so recht wahrhaben, aber das konnte er noch verstehen im Gegensatz zu dem, was darauf folgte.

Auf einmal glühte es aus dem Maul der Bestie dunkelviolett. Die Intensität stieg und stieg, bis das Leuchten schlagartig wieder aufhörte.

Ohnezahns Sturzflug wurde langsamer, als beide Gefährten voller Fassungslosigkeit beobachteten, was sich daraufhin abspielte.

Die Königin stand einfach wieder auf. Knochen, die sich die Bestie beim Aufprall gebrochen hatte, fügten sich mit lautem Krachen wieder zusammen. Gelenke, die aus ihren Sockeln gesprungen waren, schnappten mit einem Knall wieder zurück.

Und Schnitte, die der harte Kies in den Drachen gebohrt hatte, leuchteten kurz violett auf, bevor das leichte Blutgesicker aufhörte und ein dunkler Glanz zurückblieb.

Versunken in seiner Hoffnungslosigkeit nahm sich Hicks die Zeit für einen genaueren Blick. Ein derartiger dunkelvioletter Glanz erstreckte sich über viele längliche Stellen des Körpers, als wäre der Alpha vor langer Zeit von irgendjemandem oder irgendetwas übel zugerichtet worden.

Ehe sie sich versahen, waren sie schon wieder umzingelt, doch noch machte keiner der Drachen Anstalten, die beiden anzugreifen, während sie jeden Angriff als sinnlos erachteten und einfach nur ein Stück vor der gigantischen Drachenkönigin in der Luft schwebten.

«Beeindruckend, Menschenjunge», sprach die quälende Stimme. Das war zu viel. Den Schmerz, den allein der Klang der Worte auslöste, gepaart mit seinem eigenen Versagen und seiner Verzweiflung, ließ Hicks einfach nur in sich zusammensinken und innerlich bereits aufgeben. Es war, als würde man ihn foltern und seine Verteidigung wäre bereits gebrochen. Doch die Stimme sprach noch weiter. Lachend. Als hätte es ihr Vergnügen bereitet. «Ah, deine Seele ist befleckt.»

Was auch immer dieses Monster war, es konnte aus irgendeinem Grund seine tiefsten Emotionen nachvollziehen. Versagen. Schmach. Schande. Schuld. Angst. Alles wegen seiner Schwester. Und seiner Mutter. Tränen stiegen ihm in die Augen. Seine Mutter... hätte er nur auf sie gehört.

«Oh, keine Angst. Der Tod wird dein Ende nicht sein, dafür sorge ich», sprach die schrecklich dissonante Stimme des Monsters. «Deine Seele wird die Leere nähren. Für alle Zeiten wirst du mir gehören.»

Er verstand kein Wort von dem, was er da hörte, aber er wusste genau, dass sein Ende nun kommen würde. Seines und das seines besten Freundes. «Es tut mir so leid, Ohnezahn», brachte er nur mit erstickter Stimme hervor. «Es tut mir so leid...»

Die Drachenkönigin bäumte sich hoch auf, bis sie auf zweien ihrer gewaltigen Beine stand und bedrohlich auf die beiden Gefährten herabblickte und sie anknurrte, während die vielen schuppigen Untertanen der Bestie ein gutes Stück zurückwichen. «Jetzt stirb.»

Sie sog kurz Luft ein und Hicks konnte nur mit einer Mischung aus einem verschwindend geringen Anteil an Neugierde und einem eindeutig überwiegenden Anteil an Verständnislosigkeit und Schrecken beobachten, wie sich ihr Maul nicht wie erwartet mit Gas füllte, sondern stattdessen ein violettes Leuchten entstand. Aber nicht ein Leuchten wie das von Ohnezahns Plasmastrahl. Es war viel dunkler.

Kurz darauf folgte eine gewaltige Schockwelle. Der dunkle Ton der Stimme des Monstrums war zu hören, doch viel stärker und viel lauter. Hicks hätte sich die Augen ausgestochen, die Ohren abgeschnitten, dann die Trommelfelle mit einem stumpfen Messer entfernt und schlussendlich seinen Kopf gegen einen heißen Stein geschlagen, bis sein Schädel brechen würde, nur damit es aufhört.

Aber im Moment war er damit beschäftigt, dass die Schockwelle ihn und Ohnezahn mit einer unglaublichen Kraft zurückwarf, bis sie mit einem harten Felsen kollidierten. Irgendwo in den tiefen seines Bewusstseins nahm Hicks gerade noch wahr, wie es laut knackte, als sein schwarz geschuppter Freund den Aufprall auf sich nahm und in dessen Folge ein Flügel brach. Der grobkiesige Strand wurde aufgewirbelt und es regnete Steine, die größtenteils ins Wasser fielen. In ihrer Nähe brach ein anderer Felsen und stürzte ein.

Wie ein paar zerbrochene Schwerter fielen die beiden Freunde einfach zu Boden.

Erst dann begann der Alphadrache, einen Feuerstoß vorzubereiten.

Der stark gepeinigte und sich kaum bei Bewusstsein befindliche Ohnezahn sah nur zu Hicks, der sich einfach nicht rühren konnte. Der Aufprall wurde nicht vollständig von dem Drachen absorbiert. Dem junge Haddock wurde beim Aufprall mehrfach das linke Bein gebrochen. Ohnezahn nahm sein letztes Quäntchen Kraft zusammen und warf sich in seine Richtung.

Augenblicklich darauf folgte der Feuerstrahl.

Im letzten Moment gelang es dem schwarzen Drachen, seinen ungebrochenen Flügel über seinen Freund und Gefährten zu legen, um ihn vor dem schlimmsten zu schützen. Er fing das Feuer ab, welches Hicks andernfalls restlos eingeäschert hätte.

Doch konnte er ihn nicht vor allem bewahren. Der steinerne Strand glühte förmlich. Die felsige Oberfläche nahm durch das verzehrende Feuer eine derartige Hitze auf, dass es zischte, als sie Hicks erreichte.

Der junge auf seine rechten Seite liegende Reiter war kraft- und hilflos und erschöpft, aber den furchtbaren Schmerz konnte er nur allzu gut wahrnehmen. Seine Haut fauchte und zischte und er konnte nichts als schreien, während sich Funken durch seine Kleidung fraßen und der Boden seine Haut verbrannte.

Sein Gesicht, seine Brust, sein Arm, seine Hand und sein Bein. Diese Teile seines Körpers erhielten schwere Verbrennungen.

Ohnezahn konnte zwar aufgrund seiner Schuppen nicht verbrannt werden, doch selbst er musste bei Einwirkung derartiger Hitze wimmern.

Auf einmal jedoch... schwand der Schmerz. Und genauso die Hitze.

Hicks war fast bewusstlos vor Verbrennungsqualen, doch Ohnezahn wagte nach einem Moment einen vorsichtigen Blick und war fast erleichtert, als er sah, was der Grund für die willkommene Pause war.

Zwischen den beiden und dem Roten Tod stand ein eulenartiger Drache mit vier Flügeln, der mit dem Rücken zum Nachtschatten stand, während er mit zweien seiner Flügel die Flammen abwehrte und die anderen vor sich hielt. Wolkenspringer.

Und Valka, wie sich herausstellte, als der gewaltige Drache entschied, dass er genug Feuer gespien hatte. Ihr geschuppter Gefährte nahm seine Flügel weg, sodass sie in Erscheinung treten konnte, ihren doppelseitig geschwungenen Stab in der Hand und ihren Helm auf dem Kopf.

Die Luft schien zu vibrieren, als erneut die dissonante Stimme sprach. «Wie überraschend. Wie überaus... ungewöhnlich.»

«Bringt ihn weg», brummte Valka nur unter ihrer Maske hervor. «Ich lenke ab.» Erstaunlicherweise schien weder sie noch Wolkenspringer von der Stimme beeinflusst zu sein. Ehe sich Ohnezahn versah, wurde er gemeinsam mit Hicks sanft von zwei Klauenpaaren angehoben. Anscheinend war sie nicht allein gekommen.

So schnell wie möglich wurden die beiden jungen Gefährten in Richtung ihres eigenen Drachennestes transportiert.

Nun etwas entspannter, da ihr Sohn außer Gefahr war, nickte sie auch den anderen Drachen zu, die sie zur Sicherheit begleitet hatten. Auch diese flogen nun davon, während sie allein mit Wolkenspringer vor dem gewaltigen Monster stand.

«Es ist eine Weile her, Beschwörerin des Räubers», merkte die Kreatur an und musterte die Drachenreiterin amüsiert. «Denkst du, deine Chancen stehen heute besser als damals? Sei versichert, ich bin nur noch mächtiger geworden. Auch gemeinsam mit Kha'Zix hast du keine Chance.»

Hinter der Maske legte sich ihre Stirn in ärgerliche Falten. «Zum Glück entscheidest nicht du, wie meine Chancen stehen, Cho'Gath», merkte sie grimmig an, hielt ihren Stab horizontal vor sich und drehte die Mitte des Griffs in unterschiedliche Richtungen, bis es klickte und aus dem einen Stab auf einmal zwei Hälften wurden.

Jede dieser zwei Hälften hatte noch immer den hölzernen Griff und die seltsamen Rasseln am Ende, doch da, wo sie sich vorher zu einem Ganzen verbanden, standen nun auf einmal zwei schlanke Klingen heraus.

Aus einem Stab wurden zwei Schwerter. Probeweise schwang sie die Mordwerkzeuge kurz herum und begab sich in Kampfhaltung.

Die Königin, aus deren Leib anscheinend Cho'Gath sprach, lachte. «Ich bin der Schrecken der Leere. Meine Macht existiert in einem Ausmaß, dass meine Entscheidungen Gesetz sind. Lass es mich dir zeigen...»

Es folgte ein weiterer Feuerstoß.

Valka wich aus, indem Wolkenspringer mit den Flügeln schlug und seine Reiterin sich mit einem der Schwertgriffe an seinem Fuß festhakte. Geschwind flogen sie aus der Flugbahn.

Selbstverständlich folgten noch einige weitere Feuerstrahlen, doch die beiden waren ein eingespieltes Team und nahezu unmöglich vernünftig zu treffen.

Nach einigen riskanten Ausweichmanövern, Fassrollen und Sturzflügen schafften sie es, knapp über den Kopf des Monsters zu fliegen. Das war dann der Moment, in dem Valka sich aushakte und auf den Schädel fallen ließ.

Wild schüttelte der Rote Tod den Kopf, um sie loszuwerden, doch Valka rammte eines ihrer Schwerter zwischen den Schuppen tief in das Fleisch der Bestie. Längst nicht genug, um irgendetwas Wichtiges zu treffen, aber genug, um sich festzuhalten und gleichzeitig zu stören.

Zornig knurrte der Alphadrache, der gegenüber Schmerz längst abgehärtet war, doch bevor sich dieser darauf konzentrieren konnte, den unliebsamen Passagier abzuwerfen, kam Wolkenspringer schon wieder angeflogen und schoss einen Feuerball in Richtung der Augen.

Kurzzeitig geblendet hielt das Biest inne, sodass Valka mehr als genug Zeit hatte, weiter vorn auf den Kopf zu klettern und ein Schwert in einem der Augen zu versenken.

Hasserfülltes Gebrüll war die Folge, als der Rote Tod sich aufbäumte und wie wild mit Feuer um sich schoss.

Die Drachenreiterin nutzte dies gleich, um von dem Kopf abzulassen und stattdessen ein wenig den Rücken entlang zu fallen, nur um sich dann abzubremsen, indem sie ihre beiden Klingen tief in das Fleisch des Drachen grub.

Plötzlich näherte sie sich einer Felswand, als die Drachenkönigin sich spontan dazu entschloss, ihren Rücken gegen Felsen krachen zu lassen, um den mickrigen Störenfried zu zerquetschen.

Doch Valka nutzte auch dies wieder zu ihrem Vorteil, indem sie geschwind an die Seite des Drachen kletterte und schließlich tiefe Schnitte in Hüft- und Bauchgegend zufügte.

Der Rote Tod sah eine Chance, sie nun wirklich loszuwerden und ließ sich nach vorn fallen, doch Wolkenspringer war direkt zur Stelle und fing seine Gefährtin auf, noch bevor diese fallen konnte.

Während die Königin nun auf dem Bauch lag, sprang Valka wieder auf ihren Rücken und hackte mit ihren Schwertern nur so auf die schuppige Monarchin ein. Jedem anderen Lebewesen hätte das furchtbare Schmerzen zugefügt, aber nicht einem, das unter dem Einfluss eines Leerengeborenen stand.

Schlussendlich schaffte das Monster es nun doch, sich auf die Beine zu kämpfen. Dann ließ die Stimme von Cho'Gath wieder die Luft erzittern. «GENUG!», brüllte das übermenschliche Wesen, schickte einen gewaltigen Stoß Leerenenergie durch den Roten Tod und ließ den Drachen mit unglaublicher Macht auf den Boden stampfen.

Die Erde erzitterte, der Boden riss auf, Wellen wurden schlagartig einige Meter hoch und drängten das Wasser durch die wahnsinnige Druckwelle einen Moment von den Ständen der Insel zurück. Selbst ihre eigenen Untertanen wurden einfach davongeschleudert. Valka und Wolkenspringer erlitten ein ähnliches Schicksal.

Durch schieres Glück fielen sie in die gleiche Richtung, sodass sich der vierfach geflügelte Drache noch rechtzeitig fassen und seine Gefährtin aus der Luft fischen konnte.

Doch dieser Druck durch den Schrei der Bestie hatte eine solche Macht, dass sich Valka sicher war, einige ihrer Knochen seien gebrochen. Mehr noch: Ihre Lunge hatte von der Druckwelle einen Riss davongetragen. Einem Drachen wäre das nicht passiert, ganz einfach aufgrund des deutlich widerstandsfähigeren Körperbaus.

Wolkenspringer wusste, dass es schlecht um sie bestellt war und entschloss sich, lieber zu landen. In diesem Zustand konnte sie nicht kämpfen. Aus einem ihrer Mundwinkel rann Blut, das sie sogleich ausspuckte, nachdem sie sich die Maske vom Gesicht zog.

Unterdessen mussten sie mitansehen, wie sich violette Linien am Roten Tod abzeichneten; Ein klarer Indikator dafür, dass Cho'Gath soeben reichlich Leerenenergie fließen ließ, um sein „Gefäß", also die Drachenkönigin zu heilen. Jeder Schnitt, jeder Stich wurde geschlossen und jede Blutung gestoppt.

Selbst das Auge, das Valka außer Gefecht gesetzt hatte, wurde einfach komplett wiederhergestellt. Nun jedoch glühte es stattdessen im klassischen Violett der Leere.

«Ein schwächlicher Versuch, und ich weiß jetzt auch warum», merkte Cho'Gath höhnisch an, während sein Gefäß das ungleiche Duo fast schon grinsend anstarrte. «Kha'Zix ist nicht hier. Du hast ihn nicht dabei wie beim letzten Mal. Sag, wo hast du ihn versteckt?»

Valka antwortete nicht, sondern starrte den Roten Tod nur trotzig an.

Der Leerengeborene lachte. «So sei es also. Ich werde ihn schon selbst finden.»

Sie schloss die Augen, längst wissend, was nun kommen würde.

«Jetzt stirb.»

Sie fühlte nur noch eine weitere Druckwelle, als der Rote Tod mit Unterstützung von Leerenenergie einen unmenschlichen Schrei ausstieß.
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Er hörte nur seinen eigenen, flachen Atem. Unregelmäßig. Schwach. Dem Tode nah.

Unterbewusst spürte er sanfte Vibrationen. Schritte?

Ja, Schritte... nun konnte er sie auch hören. Und ein Krächzen.

«Nein, mein Freund...», hörte er eine tiefe Stimme leise und gedämpft flüstern. Wer auch immer das war, er seufzte. «Ich habe keine Ahnung, ob er durchkommt...»
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Als er das nächste Mal aufwachte, war er nass. Er badete in seinem eigenen Schweiß. Hohes Fieber. Er zitterte. Ihm war heiß und kalt zugleich.

Sein Atem war noch schwächer als vorher. Er spürte, wie er mit jedem Moment dem Tod nur noch näher kam.

Irgendwo neben ihm knisterte ein Feuer. Dann das Geräusch, als würde etwas aus Metall angehoben werden, das vorher auf Stein gelegen hatte.

Ein Seufzen. «Es geht nicht anders. Das Bein...», sprach die sanfte, tiefe Stimme wieder, «...zu stark beschädigt.»

Dann ein Knurren.

«Vertrau mir, Nachtschatten. Ich weiß, was ich tue.»

Zustimmendes Krächzen.

Wenig später zischte es, als eine heiße, scharfe Klinge gegen seine Haut gepresst wurde.

Wieder empfing ihn die Ohnmacht.
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Es fühlte sich an, als sei kaum Zeit vergangen, aber das Fieber war fort. Ihm war nicht kalt, nicht warm.

Aber mehrere Stellen seiner rechten Körperhälfte kribbelten unangenehm. Also hob er seine linke Hand, die er erstaunlich gut bewegen konnte, um-

Um sie von einer fremden Hand packen zu lassen.

«Was-», begann er, wurde jedoch direkt unterbrochen.

«Ich würde das sein lassen, Kleiner», murmelte die Stimme, die er nun mehrfach bereits gehört hatte. «Ruh dich lieber aus.»

Nach einem kurzen Moment gehorchte er und ließ die Hand wieder sinken, während der Fremde sich wieder entfernte.

Langsam und mit viel Mühe schaffte er es nun, zumindest sein linkes Auge einen Spalt zu öffnen. Er blickte auf Eis und... eine... leuchtende Gestalt?

«Odin?», fragte er leise und müde.

Der erste Teil der Antwort bestand aus einem Lachen. «Nein und ich bete für dich, dass das noch eine Weile dauert.» Die mit dem Rücken zu ihm gewandte, leuchtende Gestalt gluckste, während er an einem Tisch irgendetwas machte.

«Nicht Odin», schlussfolgerte er erschöpft. «Wo bin ich?»

«Zu Hause, Kleiner. In eurem netten, heimeligen Eisberg. Aber keine Sorge, ich werde gleich weg sein. Du wirst von selbst schnell genesen», erklärte der mysteriöse Fremdling. «Deine Mutter hingegen... Die Zeit wird zeigen, was draus wird, aber mehr kann ich nicht tun.»

«Wie... wie lange bin ich hier?» Er nahm die Antworten nur halb wahr, aber Fragen konnte er dennoch gut stellen.

«Drei Wochen. Dich hat's böse erwischt, Kleiner. Hättest dich mal sehen müssen, bevor ich dich versorgt habe.» Der Fremdling lachte leise.

Ein kurzer Anfall von Müdigkeit überkam ihn fast, doch er schaffte es dennoch, wach zu bleiben. Lange würde er das aber nicht mehr schaffen können.

«Wer bist du?»

Kurzes Schweigen. «Ein Freund», sagte er schließlich nach einem Moment des Zögerns.

«Freunde sagen einander für gewöhnlich ihre Namen.»

«Noch nicht einmal auf den Beinen, aber Energie für ein wenig Klugscheißerei», gluckste er. «Na gut... nenn mich einfach... Níf.»

«Hicks», stellte sich der Verwundete vor.

«Ich weiß.»

Er sah, wie der leuchtende Mann noch einen Blick auf ihn warf, bevor er den Raum verließ. Es folgte noch eine leuchtende Gestalt. Mit Flügeln?

Dann schlief er wieder ein.
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Als er das nächste Mal wieder aufwachte, war das nicht ganz freiwillig. Irgendetwas Feuchtes fuhr über sein Gesicht. Mehrfach.

Hicks verzog angewidert das Gesicht. «Bäh», brachte er hervor, gefolgt von einem: «Lass das, Ohnezahn.»

Erst dann registrierte er, was er da eben selbst gesagt hatte und schlug die Augen auf. «Ohnezahn!», rief er erleichtert, als er in das zahnlos grinsende Gesicht seines schuppigen Freundes blickte.

Er wollte sich gerade aufsetzen, um ihm um den Hals zu fallen, aber erstens zog ihm ein fieser Schmerz durch die rechte Seite und zweitens schien sein linkes Bein ihm beim Hochkommen nicht so recht behilflich sein zu wollen, sodass er direkt wieder stöhnend zurückfiel.

«Au», machte er nur und lachte dann schwach, während er zu seinem Freund hochsah, der aber auf einmal eine ganz andere Miene machte, als er sich von Hicks' Gesicht zurückzog und mit seiner Nase die Stelle anstupste, wo sein linkes Bein war.

Oder wo es sein sollte.

Hicks sog scharf die Luft ein und runzelte zunächst noch die Stirn, bevor er schwer schluckte, als er merkte, dass er sein Bein unterhalb des Knies nicht spüren konnte.

Sein Atem kam in kurzen Stößen, als sich in seinem Hals ein Kloß formte. Er packte die Decke und zog sie langsam weg, bevor seine Augen groß wurden.

Sein halbes linkes Bein war einfach weg. Stattdessen war um sein Knie ein Verband gewickelt.

Und als ob das noch nicht Schock genug war, sah er, dass auch mit seinem rechten Bein etwas nicht in Ordnung war. Über viele Stellen waren Blätter gelegt und Salben geschmiert worden.

Auf eine negative Art und Weise neugierig und mit zitternden Händen wischte er das Zeug beiseite. Zum Vorschein kam seine Haut, doch sie war... verändert. Langsam fuhr er darüber.

Die Stelle war... rau. Und uneben. Einige Stellen waren ein wenig tiefer als andere. Es war, als wäre seine Haut geschmolzen und wenig später wieder fest geworden.

Dann bemerkte er, dass nicht nur sein Bein betroffen war. Sein Blick wanderte weiter an sich selbst hoch.

Hicks wusste nicht so recht, was er dabei fühlen sollte. Es war, als wäre er gerade innerlich auf eine seltsame Art und Weise taub. Sein halbes linkes Bein war weg, er hatte einen ganzen Haufen Brandnarben, von denen sich alle scheinbar auf der rechten Seite seines Körpers befanden und er hatte noch nicht einmal alle gefunden.

Er wusste nicht einmal mehr, woher die überhaupt kamen.

Beim Abtasten war er bereits bei seiner Schulter angekommen und er bemerkte, dass er viele Narben auch über seinen rechten Arm verteilt hatte. Dann hatte er einen schrecklichen Verdacht, weshalb er seine Hand zu seinem Gesicht führte.

Der Verdacht bestätigte sich, als er dort dieselben Verformungen seiner Haut spürte.

Er sah in das Eis neben sich, sodass er sich spiegeln konnte und musste sehen, wie sein Ohr deformiert war. Die Brandnarbe zog sich von seinem Kinn über seinen rechten Mundwinkel, umrahmte sein Auge und betraf gleichzeitig seine Nase und den rechten Teil der Stirn.

Langsam fuhr er sich mit der Hand über den Kopf. Anscheinend hatte er jetzt auch mehr Haare links als rechts.

Es war nicht so, dass sich sein Gesicht perfekt in verbrannt und normal einteilte. Einiges von der rechten Gesichtshälfte war noch intakt, wie sein Mund, kleine Bereiche um sein Auge und die Nase herum bis hin zu der Stelle, wo sich der Wangenknochen befand.

Aber über seinem Ohr fehlte eine ordentliche Menge Haare.

Noch immer nicht so ganz realisierend, was mit ihm da geschehen war, wandte er sich an Ohnezahn. «Wie ist das passiert...?», fragte er mit großen Augen, doch dann sah er auf der anderen Seite des Raumes etwas, das ihn erstarren ließ.

Da lag völlig reglos seine Mutter auf einer Schlafstätte.

Kleine Fetzen von dem, was sich zugetragen hatte, kam wieder zurück. Der Rote Tod, die Stimme eine Verfolgung, aber dann... Fehlschlag. Niederlage. Schmerz und Feuer.

Und dann erinnerte er sich dunkel, seine Mutter gehört zu haben, wie sie befahl, ihn wegzubringen. Ab da nichts mehr.

Während Ohnezahn ruhig brummte und Hicks wieder vorsichtig anwies, sich hinzulegen, schob dieser das Gesicht seines schuppigen Freundes stattdessen weg, damit er zu seiner Mutter gehen konnte.

Gut, gehen traf es vielleicht nicht ganz.

Er fiel von seiner Schlafstätte, völlig außerstande, auf zwei Beinen zu stehen. Oder, naja... einem. Er stöhnte.

Doch dann sah er wieder zu seiner Mutter und begann stattdessen zu kriechen. Erst jetzt spürte er, wie die Brandnarben zogen, wie roh und gereizt sich seine Haut anfühlte und wie kraftlos er eigentlich war.

Er schaffte kaum zwei Meter, bis ein traurig brummender Ohnezahn seinen Kopf unter Hicks schob und ihm beim Aufstehen half.

«Danke, Kumpel», kam es kurz von Hicks, bevor er sich hauptsächlich am Kopf seines besten Freundes mühsam festhielt, während dieser ihn mehr oder weniger bis zu Valka schliff.

«Mutter!», keuchte er und ließ sich auf sein noch halbwegs intaktes, dafür verbranntes Knie fallen und griff nach der Hand der älteren Drachenreiterin. «Komm, wach auf!»

Doch Valka wachte nicht auf. Sie war zwar nicht tot... eher in Richtung halbtot.

Sie war im Koma.
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*murmel murmel*
40-mm-Panzerabwehrkanone? Check.
Automatisches Aggressive-Meute-Abwehrsystem? Check.
Marsrakete? Check.
Ersatzmarsrakete im Falle einer blindwütigen Zerstörung der ersten? Check.
Konservendosen für mindestens die nächsten 20 Jahre, falls ich untertauchen muss? Check.
Solider Holzsarg, falls ich endgültig „untertauchen" will? Check.

Hm? Oh, hallo. Joa, ich bereite mich nur auf den Ernstfall vor, falls mich jemand von euch gewaltsam zur Rede stellen will :p

Ich hatte Stress. Studiumsstress (studiert niemals Mathematik), Prüfungsstress (im Ernst, studiert niemals Mathematik), und Beziehungsstress (Ja, auch ein nerdiger Vollhorst hat ab und zu ne Chance... eine gewisse Zeit lang zumindest).

Es ist einiges zusammengekommen, wie man sieht XD

Aaaalso, das hier waren wieder 9000 Wörter... spart sie euch für die nächsten paar Jahre auf, wäre mein Ratschlag :p

Bis dahin hab ich vielleicht wieder ein halbes Kapitel vom „Wächter" fertig. Mit etwas Glück sogar drei Viertel :D

Na, dann wollen wir mal Geschichte sich wiederholen lassen; Für ein paar Tage feiert ihr, dass ich ein Kapitel gebracht hab und dann beschwert ihr euch wieder wochenlang (berechtigterweise), dass nüscht kommt XD

Und irgendwann komme ich dann wieder um die Ecke. Aaaaand repeat.

Man liest sich, ihr Nasen :)

LG Haldinaste ;)

Die Riddari-GeschwisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt