Lauf

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>Ihre Lunge drohte zu zerbersten, ihre Füße schmerzten und alles in ihrem Körper schrie danach, dass sie eine Pause machen musste. Mit den letzten Kräften kletterte sie auf einen Baum und versteckte sich dort in luftiger Höhe. Ein lautloses Schluchzen entwich ihrer Kehle und sie konnte sehen, wie die Taschenlampen näher kammen. Panisch kauerte sie sich zusammen und wartete darauf einen lauten Schrei zu hören, dass sie sie gefunden hatte.<

Aber nichts dergleichen geschah. Keiner ihrer Verfolger schien damit zu rechnen, dass es auch einen Fluchtweg nach oben gab. Die Äste knackten immer lauter, bis sie schlussendlich 3 Gestalten sehen konnte, die auf sie zurannten. Verängstigt klammerte sie sich an den Baumstamm und spürte, wie sich die raue Rinde in ihr Fleisch schnitt und einige Kratzer hinterließ. 'Bitte geht einfach weiter! Schaut nicht nach oben!' flehte sie, während sie die lauten Schluchzer unterdrückte, welche ihr so dringend entweichen wollten.

Die Gestalten stoppten direkt unter ihrem Baum. Liya konnte nicht erkennen, wer genau da nach ihr suchte, bis die Personen zu sprechen anfingen. »Wo ist sie hin?! Die kann nicht so schnell sein. Ich habe euch gleich gesagt, dass das irgendwann passieren wird. Aber ihr lasst euch einfach belauschen. Gut gemacht Vater!« Das sowieso schon zerissene Herz riss jetzt noch weiter ein. Markus. Das war Markus's Stimme. Er wusste also auch davon. All die Tage, wo sie ihm ihr Leid geklagt hatte, wie gerne sie einmal die Welt bereisen wollte. Wahrscheinlich war er sofort zu ihren 'Eltern' gerannt und hatte es ihnen erzählt. Meistens war es nach den Gesprächen immer besser geworden, sie waren irgendwohin gefahren oder hatten Liya so viel zu tun gegeben, dass sie nicht mehr an ihr Fernweh denken konnte.  Er hatte immer so getan, als würde er sie verstehen. Ihr gut zugeredet und jetzt das? 

»Halt den Rand Besserwisser! Wie bekommen wir sie zurück ist die Frage? Wenn die Meyer rausbekommt, dass ihre Tochter weiß, dass sie adoptiert ist... Ihr wisst alle, was dann das Problem sein könnte.« erklärte der Vater genervt und wendete sich an seine Frau, die sich angeekelt umsah. Das Unterholz war doch kein Ort für eine Lady. Also wirklich. »Es ist mir egal, ob die Meyer das rausbekommt! Wir holen Liya zurück. Koste es was es wolle. Ich gebe nachher Nick am Flughafen Bescheid. Die sollen nach ihr Ausschau halten. Sie wird dieses Land nicht verlassen. Und wenn ich sie erwische, dann gnade ihr Gott!« fauchte Emilia, während sie sich umdrehte und prompt mit ihrem Schuh unter einem Ast steckenblieb.

Trotz Liyas Notlage musste sie beinahe loslachen, als Emilia ins Straucheln kam und der Länge nach hinfiel. »IGITT! DA WAR IRGENDWAS! HILF MIR HOCH!!! SOFORT!!« schrie sie und die beiden Männer standen ebenso erschrocken um sie herum, bevor Leben in sie kam und sie versuchten der Frau am Boden zu helfen. Als sie es endlich geschafft hatten ihr wieder auf die Beine zu helfen erkannten sie im Licht der Taschenlampe, dass diese sich ihr Kleid komplett mit Schlamm eingesaut hatte. Auch vereinzelte Blätter klebten an dem Kleid und hätte man es nicht besser gewusst, dann hätte man beinahe meinen können, dass sie gerade einen Ringkampf mit einem Wildschwein hinter sich hatte.

Etwas verzweifelt versuchte Theo seiner Frau über die Zweige zu helfen. Diese zog allerdings nur ihren Arm weg »Fass mich nicht an und such lieber nach der kleinen Göre!« Mit einem leidenden Seufzen sah Theo zu seinem Sohn, welcher nur mit den Schultern zuckte und ein letztes Mal zwischen den Bäumen hindurch leuchtete. Langsam ließ er den Lichtkegel auch in Richtung Himmel wandern und streifte somit den Baum, auf dem Liya saß. Diese hielt zittrig die Luft an und versteckte sich nur noch mehr hinter dem Baum. Markus hielt für eine kurze Sekunde inne. Hatte er sie gesehen? Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und drohte aus ihrem Brustkorb zu springen. Sie konnte nicht weiterrennen. Wenn sie das tat, dann würde sie vermutlich auf der Stelle umkippen und sich übergeben müssen.

»Hast du was gesehen?« fragte Theo zögernd und trat neben seinen Sohn, welcher jetzt in Richtung Liyas Richtung deutete. »Ja da. Siehst du?« seine Stimme glich einem flüstern und die junge Frau klammerte sich nur weiter an den Baum. Sie hatten sie nicht entdeckt. Das konnte gar nicht sein. Sie wollte die Realität verdrängen und schloss die Augen. Sie wünschte sich zurück in ihr Zimmer. Das war alles ein böser Albtraum, jede Sekunde würde sie aufwachen und in ihrem weichen Bett liegen. Es konnte gar nicht sein, dass ihre Eltern sie entführt hatten. Lustig, was das Hirn sich im Schlaf so ausdachte. Immer fester kniff sie ihre Augen zusammen, bis beide anfingen zu schmerzen.

Speechless- Kontra KWo Geschichten leben. Entdecke jetzt