Das Mädchen ohne Namen

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>Sie traute sich erst durchzuatmen, als der Zug hinter dem Auto die Türen schloss. Sie hatte es beinahe geschafft. Bald war sie endlich weg von hier und konnte nach ihrer Familie suchen!<

Liya war komplett verstummt, als George das Auto 35 Minuten später aus dem Zug lenkte. Sie hatte ihren Blick einfach nur auf die Straße gerichtet und beobachtete die dicken Regentropfen dabei, wie sie immer schneller auf den Asphalt fielen und dort zerplatzten. Was tat sie hier nur? Sie hatte George mit in diese aussichtslose Situation gezogen und er hatte ihr ohne wenn und aber geholfen. Mehrfach fuhr sie sich mit beiden Händen durch ihr Gesicht und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Zwecklos! Es half ihr kein bisschen weiter. Mit einem frustrierten Seufzen ließ sie sich zurück in ihren Sitz sinken. Der einzige Gedanke, welcher sich glasklar in ihrem Kopf gefestigt hatte war, dass sie ihre richtige Familie finden wollte. Ihr blieb keine andere Chance ihre leiblichen Eltern zu finden, als dort anzufangen, wo sie damals Deutschland verlassen hatten. In Berlin.

George grinste nur, als Liya ihre Gedanken teilte und setzte seinen Blinker um eine andere Richtung einzuschlagen. »Was auch immer die junge Lady sich wünscht!« Ein müdes Lächeln schlich sich über Liyas Lippen. »Danke George. Sie haben etwas gut bei mir! Wirklich! Egal was sie brauchen ach und bitte nennen sie mich nicht Lady. Das trifft nicht mehr zu. Ich bin ein ganz normales Mädchen und heiße...« Ein kurzer Blick auf den Personalausweis ließ sie durchatmen »Aria. Aria Taylor!«

Ohne mit der Wimper zu zucken hatte sie ihre neue Identität eingenommen. So würde sie es ihren Verfolgern zumindest etwas schwerer machen sie zu finden. George entwich ein kurzes trauriges Lächeln. Immerhin war das der Name seiner Tochter gewesen. Der einzige Lichtblick für ihn an dieser Sache war, dass Liya Aria zumindest für einen kurzen Moment nochmal Leben einhauchen würde. Sie würde in ihrem Namen Sachen erkunden, Abenteuer erleben und sich vielleicht verlieben. Im Endeffekt all das tun, was sich ihr Vater für sie gewünscht hätte.

Ein kurzer Seitenblick zu ihr ließ ihn Grinsen. Sie war wieder in ihrer Traumwelt verschwunden. Nach der Hetzjagd durch den Wald konnte es ihr auch keiner übel nehmen, dass sie so müde war. Erstaunlicherweise schlief Liya so tief, dass sie beinahe die ganze Fahrt verschlief. George legte mehrere Pausen ein und legte ihr irgendwann sanft die Decke vom Rücksitz um, als er sah wie sie zitterte. Er konnte den Schmerz und die Hilflosigkeit zu einem gewissen Maß nachvollziehen. Immerhin schaffte sie es sich zumindest etwas auszuruhen. Die Kraft, welche sie jetzt tankte würde sie in Berlin definitiv brauchen.

Erst nach circa fünf Stunden regte sich Liya wieder und ließ erstmal ein herzhaftes Gähnen hören. »Wo sind wir?« Müde schenkte George ihr einen Seitenblick und räusperte sich leise. Öfter konnte er das definitiv nicht machen. Immerhin waren sie seit 9 Stunden unterwegs und würden nicht vor weiteren 3 Stunden ankommen. Es zehrte an seinen Kräften aber er zwang sich durchzuhalten. »Wir sind gleich in Hannover. In drei Stunden sind wir in Berlin.« Mit einem kurzen Blick auf das Navi vergewisserte er sich, dass seine Aussage gestimmt hatte.

Liyas Gesicht klebte förmlich an der Scheibe, als sie Berlin erreicht hatten. Es war ein warmer Herbsttag und dementsprechend waren viele Menschen auf den Straßen unterwegs. Die ganzen rießigen Gebäude ließen Liya staunend zurück. Sie hatte vergessen, dass der Baustil in Deutschland so komplett anders war, als in England. Trotzdem fühlte sie, wie eine weitere Last von ihr abfiel. Es war fantastisch!

»Passen sie auf sich auf junge Lady.« Ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht und er zog Liya in eine feste Umarmung. »Sie auch auf sich George! Danke für alles! Bitte rufen sie mich an, wenn sie sicher Zuhause angekommen sind...oh...« Ihr war aufgefallen, dass sie ja gar kein Handy hatte. Verwirrt schaute sie auf, als etwas vor ihrem Gesicht herumwedelte. »Nehmen sie das. Es ist mein altes und meine Nummer ist eingespeichert.« Wie konnte sie ihm nur jemals danken? Sie schaffte es gar nicht ihre Dankbarkeit in Worte zu fassen. George hatte es aber allein schon ihrem Gesichtsausdruck entnehmen können und klopfte ihr leicht auf die Schulter, bevor er ihr eine Bankkarte aushändigte. »Es ist nicht mehr viel darauf aber sie sollten sich zumindest eine kleine Wohnung nehmen können. Viel Glück auf der Suche nach ihrer Familie.« Mit diesen Worten ließ er eine stotternde Liya zurück und stieg in den Wagen.

Speechless- Kontra KWo Geschichten leben. Entdecke jetzt