𝐂𝐇𝐀𝐏𝐓𝐄𝐑 𝐅𝐎𝐔𝐑𝐓𝐄𝐄𝐍

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Braavos.

Das war das erste, was mir in den Sinn kam, als der Kahn unter der großen Steinfigur hindurch schipperte.
Arya würde es hier lieben, schoss es mir durch den Kopf und meine Kehle schnürte sich augenblicklich zusammen.
Die ganze Reise über hatte ich mich nicht zu erkennen gegeben.
Ich war Sarya Castellan aus dem Königreich der Weite geworden, ohne Geschwister, ohne Schattenwolf und auf der Suche nach meinem Großcousin Carpinio.
Das stimmte sogar teilweise; ich hoffte wirklich, dass ich ihn wiederfinden würde, denn er hatte ja gewusst, dass ich Braavos als Aryas Fluchtort vermutete.

Als wir am Hafen anlegten, zog ich mir die Kapuze über das Haar und betrat das Festland.
Binnen von Sekunden war ich umringt von Marktverkäufern, die mir ihre Waren anbieten wollten.
Ich schüttelte hastig den Kopf und machte mich auf, den Pier zu verlassen.

Schnellen Schrittes fand ich den Weg in die Altstadt. Die unterschiedlichsten Menschen kamen mir entgegen und ich senkte den Kopf, bis ich mich selbst auf einem großen Platz wiederfand.
Weit und breit war keine Menschenseele, dabei war die Stadt bisher ziemlich belebt. Mein Blick fiel auf ein Haus mit einem großen Holztor in schwarz und weiß.
Aus irgendeinem Grund faszinierte es mich und ich ging darauf zu. Bevor ich es jedoch erreichen konnte, öffnete sich die schwarze Seite des Tores und ein Mann trat heraus.
Ich runzelte die Stirn, weil er mir bekannt vorkam. Er aber beachtete mich nicht und schritt an mir vorbei.
Ohne nachzudenken, lief ich ihm nach und rief:
»Verzeiht, aber ... Ihr kommt mir bekannt vor.«

Der Mann war stehengeblieben, kehrte mir dennoch immer noch den Rücken zu.
Langsam ging ich um ihn herum. Als er den Kopf hob, wusste ich, woher ich ihn kannte.

  »Ihr seid der Mann aus dem Wald! Ihr habt mir eine Münze gegeben und gesagt, ich würde Euch hier in Braavos wiederfinden und dass Ihr mir etwas lehren könntet.«

Erwartungsvoll blickte ich ihm in die Augen.
  Irgendetwas war seltsam an ihnen. Sie waren leer und ganz anders als die, des Mannes im Wald.

Langsam sprach er: »Ihr habt Niemand gefunden.«

Ich sah ihn irritiert an und er lächelte leicht.
  »Wollt Ihr auch Niemand werden? Das ist es, was ich Euch lehren kann. Ein Niemand zu werden und dem vielgesichtigen Gott zu dienen.«

  »Ich will nur Rache. Und das um jeden Preis.«

Die Worte aus meinem Mund zu hören wäre für die Alayna aus der Vergangenheit seltsam gewesen. Aber die Alayna gab es nicht mehr. Sie wurde in Königsmund getötet, als man ihren Vater hinrichtete und ihre jüngere Schwester dabei zusehen ließ.

  »Ein Niemand kann viele Leben nehmen. Auch die, die er als Jemand töten wollte.«

»Was muss ich tun?«

»Ihr dürft nicht mehr Jemand sein. Ihr müsst Euch von Eurem früheren Leben verabschieden.«

Ich schluckte.
Ja, mein Leben hatte sich binnen kurzer Zeit um mehr als hundertachtzig Grad gedreht. Ich hatte teils gewollt, teils ungewollt mein behütetes Leben auf Winterfell eingetauscht und wurde bitter enttäuscht. Statt Freiheit und Selbstbestimmung über mein Leben, hatte ich alles was mir wichtig war verloren und war nun nicht mehr als eine Flüchtige unter falschem Namen. Ein Niemand. Was sollte mich also noch daran hindern, dem vielgesichtigen Gott zu dienen, nachdem die alten und die neuen Götter mich und meine Familie nicht beschützen konnten?

»Ich bin bereit, ein Niemand zu werden.«

Der Mann aus dem Wald musterte mich und fing an zu lächeln. Dann schüttelte er langsam den Kopf. Er streckte die Hand nach meinem Bogen aus und irritiert reichte ich ihn ihm.
Seine Finger strichen über die goldene Einkerbung und ich schluckte, denn die Initialen entsprachen natürlich nicht meinem Decknamen.
Als er mir den Bogen zurückgab, sah ich, wie sein Blick auf meinen Gürtel fiel und dass Löwentöter verräterisch unter meinem Umhang hervorschimmerte.

»Wie ich es mir bereits gedacht habe. Ihr wollt ein Niemand werden aber könnt Euch noch immer nicht von Eurem Leben als Jemand trennen.
Erst, wenn Ihr das geschafft habt, kann ich Euch lehren, was allen Gesichtslosen gelehrt wird.«

Nachdem er dies sagte, schritt er zurück zu dem Haus von Schwarz und Weiß.
Ich hielt Robbs Bogen immer noch in meinen Händen und als ich merkte, wie kalte Tränen meine Wangen hinunterperlten, drückte ich ihn an meine Brust.
So viel mir Gendrys handgefertigte Schwert auch bedeutete, der Bogen, den Robb mir vor unserer Abreise geschenkt hatte, war das wichtigste, was ich noch hatte. Ich bildete mir sogar ein, dass sein Geruch auf dem Holz geblieben war.
Aber ich musste in dieses Haus.
Ich musste wissen, was der vielgesichtige Gott den —wie nannte der Mann aus dem Wald sie nochmal? — Gesichtslosen! beibrachte.
Ich würde Sarya Castellan vernichten. Dazu gehörte das Wegschmeißen von Löwentöter und der Kämpferausrüstung von Carpinio.
Aber Alayna Stark würde weiterleben und darauf warten, bis sie die Kunst des Niemand-Sein anwenden durfte.
Ich entschied mich dazu, Saryas Hab und Gut in den Fluss zu werfen.
Robbs Bogen versteckte ich.

Als ich erneut vor der schwarz-weißen Tür auf dem Marktplatz stand, atmete ich tief ein und wieder aus.
Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ich würde für eine ungewisse Zeit ein neues Leben anfangen und ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde.
Als sich die Tore vor mir öffneten und der Mann aus dem Wald mir bedeutete, einzutreten, spürte ich das Gefühl einer Präsenz um mich herum.
Eine Präsenz eines geliebten Menschen.
Aber es war mir nicht klar, ob es eine Warnung sein sollte oder ein Zeichen der Geborgenheit ...

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 12, 2021 ⏰

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Alayna Stark | 𝐠𝐚𝐦𝐞 𝐨𝐟 𝐭𝐡𝐫𝐨𝐧𝐞𝐬.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt