Sie konnte sich wirklich nicht erklären, ob sie sich gerade verhört hatte, das alles nur Illusion war oder doch die bittere Realität. Mit leerem Blick sah sie zur ihrer Lehrerin, mit welcher sie vor nicht mal zehn Minuten noch ganz andere Sorgen begraben hatte. Marla wurde seit mehreren Jahren von Frau Mueck unterrichtet, seit einem halben Jahr gingen sie sich gegenseitig an die Wäsche. Warum hatte Cassandra ihr nie verraten oder nebenbei erwähnt, dass sie eine Tochter hatte? Eine erwachsene Tochter, mit der Marla ein, wenn auch kurzes und für sie unbedeutendes, Kapitel hatte.
Übelkeit stieg in ihr auf, in gewisser Weise Wut und Verrat, doch in erster Linie war es Überforderung, mit der die Schülerin noch nie klar kam. Wie also auch jetzt? Für Marla war es wie eine Ewigkeit, bis Cassandra zum Reden ansetzte und die Konversation einfach beobachtete: "Daniela, ich kann das erklären." "Was willst du erklären? Dass du mit einer ins Bett steigst, die offensichtlich deine Tochter sein könnte? Ist sie der Grund, warum ich dich nicht mehr spontan besuchen darf? Hast du dich wegen ihr von Mirko getrennt?" Mirko? Wie in Mirko Lanz, der Geschichtslehrer?, schoss es Marla durch den Kopf.
Daniela war aufgebracht. Durchaus verständlich, wenn die Welt so klein ist, dass sich jeder kennt. "Und jetzt zu dir", sie wendete sich an die Jüngere, "du vögelst mit meiner Mutter, hattest nicht das Bedürfnis mir zu sagen, dass ich es nicht versuchen brauche und gibst mir undeutliche Signale, bei denen ich mir auch noch Hoffnungen mache?"Endlich schaffte es die Braunhaarige zu Wort zu kommen: "Halt, halt stop! Jetzt halt' mal die Luft an, verdammt! Ich habe dir nie Hoffnungen gemacht, weil dieser Kuss im betrunkenen Zustand passiert war und letzte Woche hast du mich geküsst und ich habe dich eindeutig weggestoßen, dass du gar nicht auf die Idee kommst, dass etwas Ernstes werden könnte. Und bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht mal, dass Cassandra eine Tochter hat, geschweige denn wie dein Nachname lautet."
In kompletter Rage schrie Marla den letzten Satz. Die Schlagader an ihrer Schläfe deutlich sichtbar und mit einigen tiefen Atemzüge versuchte sie sich zu beruhigen. Mit gefletschten Zähnen knurrte sie: "Verlasst bitte meine Wohnung. Alle beide." "Marla, bitte-", wollte Cassandra sie beruhigen. "Ich hab gesagt, ihr sollt verschwinden! Sofort!"Sobald Marla die zwei Frauen zur Tür hinausgetrieben hatte und diese hinter ihnen zu knallte, lehnte sich die Schülerin dagegen und rutschte die Tür entlang, bis sie auf dem Boden saß. Mit angewinkelten Beinen spielte sie mit dem Stoff ihrer Hose und versuchte diese Informationen zu verarbeiten. Wieso hatte sie mir diese Tatsache komplett verschwiegen? Wie kann es sein, dass sie sie nicht einmal erwähnte? Was hat es mit dem auf sich, was Daniela gesagt hat? Fragen über Fragen, die ihr gerade keiner beantworten könnte, da Marla schließlich beide rausgeschmissen hatte. Sie griff nach dem Schuh, der neben ihr lag und schleuderte ihn den Flur entlang, um irgendwie diese Wut, die sie verspürte zu kompensieren, doch es brachte nichts.
"Fuck", in ihrem Hals bildete sich ein Kloß. Ihr war nach heulen, schreien, irgendetwas kaputt schlagen, doch sie entschied sich für etwas anderes. Marla schnappte sich ihren Schlüssel, ihr Handy und Geld, zog die Tür hinter sich zu und stieg in ihren Polo, um damit so weit es ging einfach wegzufahren."Wirkliche Glanzleistung von dir, dass du Marla deine eigene Tochter verschwiegen hast, Mama", gab Daniela sarkastisch von sich, "ich frage mich, was du ihr noch so verheimlichst. Du hast zum Beispiel noch keine Antwort zum Thema Mirko gegeben." "Dani bitte, ich habe dir bereits gesagt, dass das mit ihm sowieso nicht mehr geklappt hätte, das hatte nichts mit Marla zu tun, sondern mit der Tatsache, dass Arbeitskollegen nicht zusammen passen." "Ach da wir gerade beim Thema sind: woher kennst du denn Marla überhaupt? Ich glaube nicht, dass du sie einfach in einem Club aufgegabelt hast." "Was soll das? Ich bin dir als Mutter keine Rechtfertigung schuldig, sonst war dir mein Liebesleben auch komplett egal und seit der Scheidung von deinem Vater warst du doch sowieso zu 90 Prozent bei ihm."
Die Lehrerin wusste, dass sie mit unfairen Karten spielte, die gerade nichts mit dem Thema zu tun hatten, doch sie konnte ihrer Tochter nicht einfach gestehen, dass es sich um ihre Schülerin handelte, selbst wenn sich das Daniela bereits denken konnte und die Tatsache, dass Cassandra so herum druckste, bestätigte diese Vermutung nur noch mehr. Gerade jetzt hoffte die Blonde, dass Marla sich wieder einkriegen würde, wegen dieser Sache wollte sie sie nicht verlieren, aber die Schülerin war zu oft zu dickköpfig."Tja du musst wissen, was du tust, aber ich kenne Marla genug, um dir zu versichern, dass sie Menschen nur benutzt und manipuliert, um das zu bekommen, was sie will, du bist ihr nicht wirklich wich-", Daniela konnte nicht zuende sprechen, sondern spürte als nächstes nur einen stechenden Schmerz über ihrer Wange. Cassandra konnte ihrer Tochter nicht zuhören, wie sie schlecht über Marla sprach. Die Sicherung in ihr brannte einfach durch und ehe sie sich versah verpasste sie Daniela eine Ohrfeige. Geschockt schauten sie sich gegenseitig an: "Es tut mir leid, es sollte nicht so eskalieren. Aber du kennst Marla nicht so wie ich. Und du hast kein Recht über sie so zu sprechen", sprach Frau Mueck gefährlich ruhig, Wut langsam brodelnd. "Weißt du was? Glaub mir nicht, es ist dein Problem, aber komm nicht mit dem Satz 'Du hattest Recht', denn ich hab keine Lust auf dieses Drama. Ich ziehe nächste Woche sowieso weg und ich werde euch definitiv nicht im Weg stehen."
Mit diesen Worten ging Daniela schnellen Schrittes in die entgegengesetzte Richtung von Cassandra. Diese musste sich zusammenreißen, nicht anzufangen zu weinen.In diesem Moment fühlte es sich für die Lehrerin so an, als würde jeder in ihrem Leben sie verlassen. Als würde alles auseinander fallen und sie fühlte sich hilflos. Sie konnte nichts dagegen unternehmen, doch das konnte sie sich nicht ansehen lassen. Nicht jetzt. Nicht später. Sie wollte das letzte bisschen Kontrolle über ihren Körper nicht verlieren und so unsicher Cassandra in diesem Moment war, sah man von außen nur eine Frau, der man keinerlei Emotionen ansah.
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Neues Kapitel, neues Glück... Oder auch nicht. Zumindest nicht in diesem Moment. Lasst gerne eure Meinung hören und, was ihr denkt, wie sich diese Beziehung zwischen den Protagonisten entwickelt könnte. Allen einen schönen Sonntag noch :)
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Dem Verlangen verfallen
RomanceEine Kurzgeschichte, die von der 18-jährigen Marla handelt, welche eine Affäre mit ihrer 22 Jahre älteren Englischlehrerin, Cassandra Mueck, eingegangen ist. Verbotene Leidenschaft beruht zwar auf beiden Seiten, doch das kann nicht lange gut gehen...