So atemberaubend schön.

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Das Leben ist faszinierend.

Ich hasse es und liebe es zugleich. Ich habe das Gefühl, es ist sinnlos und doch klammere ich mich daran fest, flehe darum, dass es niemals endet.

Ja, ich will für immer leben, aber ich weiß nicht, wofür. Mit welchem Sinn? Welchen Zweck, welche Bestimmung hat schon mein mickriges, unwichtiges Leben?

Ich liebe die Welt, ja, ich liebe sie und doch ist sie traurig und grausam und vergänglich.

„Das Leben ist wie ein Schatten“, hat man mir immer gesagt. „Es ist dir immer einen Schritt voraus.“

Und das weiß ich, oh ja, ich weiß das. Das ist ja das wunderschön grausame daran.

„Genieße die Fahrt, denn ehe man sich versieht, ist man an der Endstation angelangt.“ Und ja, verdammt, ich weiß das. Ich weiß, dass ich das Leben genießen sollte, ich will es genießen. Aber ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht was. Ich weiß nicht wen.

Ich weiß zu wenig und ich will so viel mehr wissen. Ich will leben, aber ich weiß nicht wie. Ich will Abenteuer erleben, will eine Bedeutung haben, will jeden Atemzug genießen, als wäre es mein letzter.

Aber was ist ein bedeutungsvolles Leben? Wer hat entschieden, was ein Leben lebenswert macht?

Das Leben ist nicht nur faszinierend, es ist beängstigend.

Denn ich fürchte mich vor allem, vor meinen eigenen Gedanken, die lauter Schreien als jemals zuvor. Ich habe Angst vor der Zeit, die mein Segen und mein größter Feind ist.

Ich will mehr Zeit, viel mehr Zeit, doch ich weiß nicht, was ich mit ihr anfangen würde.

Ich will ein friedliches Leben, aber ich weiß, dass ich es nicht zu schätzen wüsste und ich will Abenteuer erleben, obwohl ich weiß, dass zu Abenteuern auch der Schmerz dazu gehört.

Ich liebe die Gefahr und doch verbrenne ich an ihr.

Ich liebe die Sicherheit und doch ersticke ich in ihr.

„Schätze das, was du hast!“ Das tue ich, verdammt, ich tue es, aber ich weiß nicht, was ich damit bewirken soll.

Das Leben ist irreführend, denn auf dem langen Weg habe ich gemerkt, dass ich mich selbst verloren habe. Bevor ich lieben kann, muss ich mich selber finden, denn um mein Herz jemandem anzuvertrauen, muss ich erst einmal all die Scherben zusammenflicken.

Und hier sitze ich nun. Verloren. Unwissend. Ratlos. Kraftlos.

Ich habe einen Durst nach dem Leben, ich liebe es, verdammt ich lebe es.

Und doch weiß ich einfach nicht, was ich damit anfangen soll. Mit dem Leben, mit dem ich gesegnet wurde, mit der Zeit, die mir geschenkt wurde.

Mein Leben ist eine ewige Suche, eine Suche nach etwas, das ich nie erreichen werde. Denn ich weiß nicht, was ich suche, was ich begehre. Ich weiß nicht, was meine Sehnsucht nach Leben stillen könnte. Ich weiß nichts. Nichts. Verdammt gar nichts.

Und manchmal frage ich mich, ob ich rastlos sterben werde, ob ich eines Tages mit meinem letzten Atemzug immer noch nicht das gefunden haben werde, was ich gesucht habe.

Ob ich mit dem Gedanken sterben werde, zu wenig Zeit gehabt zu haben und doch wissend, dass mir alle Zeit der Welt nicht gereicht hätte. Denn egal, ob ich sechzig oder neunzig oder fünfhundert Jahre gelebt habe – das Leben bliebe dennoch ein Mysterium. Etwas Geheimnisvolles, etwas Wunderschönes und Grausames, mit zu vielen Facetten, als dass ein einziges Individuum es durchschauen könnte.

Ich liebe dieses seltsame Leben. Leben. Es ist ein schönes Wort. Es klingt besser als existieren. Dabei läuft es auf die gleiche Sache hinaus.

Es ist schön, dieses Leben. Wenn ich an das gräuliche Rot der Morgendämmerung oder den Geruch von frischem Regen denke. Wenn ich an Berggipfel oder das Schnurren einer Katze oder das Lächeln meiner Liebsten denke. Es ist komplex, dieses Leben.

Faszinierend.

Aber letztendlich sind meine Gedanken egal, irrelevant. Denn so wichtig ich mir auch vorkomme, so einzigartig mir meine Gedankenströme auch erscheinen, sie interessieren niemanden. Denn Menschen sind egoistische Wesen, sie lieben es, von ihrem Leben, von ihren Gedanken, von ihren Träumen zu erzählen. Und wenn ich es mir recht überlege, sind meine Gedanken wahrscheinlich wirklich nicht so besonders. Sie wurden zweifellos schon einmal von jemandem gedacht oder werden in ferner Zukunft im Kopf eines Anderen herumspuken.

Ja, meine Gedanken sind genauso vergänglich wie das Leben, wie ich.

Irgendwann wird sich niemand an sie erinnern, sie werden verblassen, vergessen.

„Kogito Ergo Sum. Ich denke, also bin ich“, sagte einst ein weiser Philosoph. Also bin ich nur, weil ich denke? Oder denke ich nur, weil ich bin?

Egal, es spielt keine Rolle. Nichts vonn all dem. Das ist es, was mich am Traurigsten stimmt. Dass nichts eine Rolle spielt. Für was?, frage ich meine Eltern, was bringt das alles?

Jedes Leben hat ein Ende. Jede Existenz hört einmal auf zu existieren.

Das ist das Schöne und Schreckliche an dem ganzen Gedanken.

Hin und her gerissen zwischen Sehnsucht nach Leben und der Angst vor Schmerz. Ich liebe es.

Ja, ich liebe es.

Aber letztendlich ist es nicht wichtig, ob ich es liebe oder hasse. Denn mein Leben war schon immer eine Suche nach einem Ziel, das nicht existiert. Ja, obwohl mir bewusst ist, dass ich das Ziel nie erreichen werde, klammere ich mich an diese winzige Hoffnung, eines Tages die letzten Büsche des dichten Urwalds beiseite zu schieben und das frische Sonnenlicht zu erblicken.

Vielleicht werde ich dann endlich das Gefühl haben, angekommen zu sein.

Aber was rede ich da? Was weiß ich schon? Wenn nicht einmal weise Philosophen den Sinn des Lebens gefunden haben, woher soll ich dann die Antwort auf dieses Mysterium wissen?

Ich liebe das Leben. Mit all seinen grauenhaften Seiten, mit all diesen egoistischen, grausamen Menschen. Ich liebe es, denn ein Blick in die Augen eines Menschen, den ich liebe, genügt, um das Gute zu sehen. Ein frischer Atemzug, die Aussicht auf verschneite Berge, die sanften Töne von meinem Lieblingslied, die weichen Pinselstriche auf der Leinwand, das Kratzen meines Füllers auf Papier und die Worte und Gedanken, die aus meinen Gefühlen sprudeln.

Ja, verdammt. All das ist genug. Beängstigend, aber wunderschön.
Schmerzhaft, und dennoch Frieden bringend.

Ich bin rastlos, suchend nach etwas, das ich niemals erreichen werde.

Dieses Leben ist für mich zu wenig und doch zu viel.

Aber irgendwie ist es genug.









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