Kapitel 80

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Unsicher, wohin ich gehen soll, laufe ich durch die bereits dunklen Straßen. Ich weiß, dass ich bei Hannah zwar immer einen Platz habe, wenn ich Hilfe brauche, aber es ist kurz vor Weihnachten, was bedeutet, dass sie hochschwanger ist und die Tochter von Fabian und ihr jede Minute kommen könnte - da will ich ihr nicht auch noch meine Probleme mit Frederik, den Kindern und dem Studium aufhalsen. Ich laufe weinend weiter durch die Straßen, reibe mir immer wieder müde die Augen, bis ich beschließe zu frederiks Eltern zu gehen. Um kurz vor sieben bin ich da, ich klingle nervös und unsicher und warte, ob jemand aufmacht - wobei drinnen Licht brennt und ich somit weiß, dass jemand da ist. Frederiks Mutter öffnet die Tür und als sie mich realisiert, schaut sie mich erschrocken an. „Oh, hallo Julia! Was ist denn mit dir passiert? Ist alles okay?" fragt sie, aber als Antwort schluchze ich nur wieder los. Sie zieht mich in ihre Arme und streichelt mir über den Rücken. „Komm erst mal rein, möchtest du etwas trinken?" fragt sie und ich nicke. Sie schließt die Tür hinter mir, nimmt mir meine Jacke ab und bringt mich dann ins Wohnzimmer zu Frederiks Vater, der mich ebenfalls besorgt begrüßt. Er reicht mir eine kuschelige Sofadecke, in die ich mich einwickel, während Frederiks Mutter mir einen Tee machen geht. „Ich habe mich mit Frederik gestritten" erkläre ich mit erstickter stimme, als sie zurück kommt und mir meine Tasse reicht. „Ach Schätzchen, das wird noch ein paar mal vorkommen! Kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Möchtest du von dem Streit erzählen?" fragt sie und ich zucke mit den Schultern. Kurz später schütte ich ihnen doch mein Herz aus, erzähle von der Uni und der durchgefallenen Prüfung, von dem Stress mit den Zwillingen, davon dass ich Angst habe, Frederik und unsere Beziehung zu verlieren und von dem wenigen Schlaf seit Monaten. „Weiß Frederik denn jetzt, dass du hier bist?" fragt seine Mutter mich, da er während meiner Erzählung immer wieder versucht anzurufen. Ich schüttle den Kopf und senke meinen Blick. „möchtest du heute Nacht hier bleiben? Du kannst im Gästezimmer schlafen wenn du möchtest... ohne Kinder, ohne Frederik, ohne Lernstress" bietet sie mir an, aber ich schaue unsicher zu ihr auf. „Ist das wirklich okay? Und nicht dreist Frederik gegenüber?" frage ich vorsichtig und sie lächelt. „Nein, das ist es nicht. Du müsstest dich selber mal sehen und anhören, du kannst ein paar Stunden Schlaf wirklich gebrauchen. Leg dich hin, schlafe dich aus, gehe morgen in die Uni und danach sprichst du dich mit Frederik aus" schlägt sie vor und ich nicke zögerlich. Ich trinke meinen Tee leer und lasse mich dann von ihr nach oben ins Gästezimmer bringen. „Direkt nebenan ist das Bad, wie du weißt" lächelt sie und ich nicke. „Vielen dank! Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gut machen soll!" „keine Ursache! Ist es für dich okay, wenn ich Frederik Bescheid sage, dass du hier bist? Dann macht er sich zumindest keine Sorgen" fragt sie und ich nicke wieder. „Dann schlafe schön. Bis morgen!" verabschiedet sie mich und verschwindet. Ich warte ein paar Sekunden, bis ihre Schritte verklungen sind und gehe dann ins Bad, wo ich mein Gesicht mit kaltem Wasser abwasche, tief durchatme, mich abtrockne und dann die geschwollene Haut eincreme. In „meinem" Zimmer ziehe ich mich bis auf die Unterwäsche aus und lege mich dann im Dunkeln unter die Bettdecke. Diese Stille in meinen Ohren ist so drückend, dass es fast schon weh tut, aber gleichzeitig tut sie so unbeschreiblich gut, dass ich das Gefühl habe, noch nie so etwas erholsames erlebt zu haben. Innerhalb weniger Sekunden bin ich tief und fest eingeschlafen.

Um sieben Uhr klingelt mein Wecker wieder unerbittlich. Ich greife im Dunkeln zu meinem Nachttisch und drücke den Wecker weg. 11 Stunden habe ich ununterbrochen und wie ein Stein geschlafen und dementsprechend fühle ich mich auch. Ich gehe ins Badezimmer, stelle mich unter die Dusche und wasche mich, ziehe mir dann meine Klamotten wieder an und gehe die Treppe nach unten, wo mich fast der Schlag trifft. „Hey, Guten Morgen!" begrüßt Frederik mich fast schon zerknirscht. Ich starre ihn verwirrt an. „Ich... es tut mir leid, was ich gestern gesagt habe... ich habe das echt nicht so gemeint! Und wir vermissen dich wirklich sehr! Ich wollte nicht verantwortlich dafür sein, dass es dir so schlecht geht! Das mit deiner Prüfung ist natürlich nicht gut, aber ich bin genauso durch die ein oder andere Prüfung durchgefallen, aber davon geht die Welt nicht unter. Ich weiß, dass du viel gelernt hast und irgendwie versuchst, alles unter einen Hut zu bekommen... und ich gebe mir auch echt Mühe, dass wir das alles irgendwie hinbekommen. Ich bin nur genauso fertig wie du... es tut mir leid!" erklärt er mir verlegen und schaut mich mit einem seiner perfektionierter Hundeblicke an. Ich merke, wie mir wieder Tränen in die Augen kommen. Er zieht mich vorsichtig die letzte Treppenstufe runter und in seinen Arm. „Ich liebe dich! Und das wird sich auch niemals ändern! Ich gebe dich nicht her und will dich auch nicht verlieren!" flüstert er leise durch meine Haare in mein Ohr und legt seine Arme fest um mich. Ich erwidere die Umarmung und Klammer mich an ihn. „Ich kann einfach nicht mehr!" schluchze ich. Er zieht mich zum Esstisch, setzt sich auf einen der Stühle und zieht mich auf seinen Schoß. „Wir brauchen einen neuen Plan. Das mit dem arbeiten, Studium und Kinder geht so nicht" stellt er fest. Ich lehne mich an seine Brust und weine weiter. Er hält mich einfach nur fest, während sein Hemd unter meinem Gesicht immer nasser wird. „Wo sind die zwei?" frage ich irgendwann. „Bei Hannah. Ich habe sie gestern Abend angerufen gehabt, ob du bei ihr bist und dann meinte sie, dass sie die beiden übernimmt" erklärt er, und ich erstarre. „Hannah?!" frage ich entsetzt und schaue ihn schockiert an. „Ja... deine beste Freundin" wiederholt er verwirrt. „Aber... aber das kannst du doch nicht machen!"'rufe ich schockiert. „Was?!" fragt er noch verwirrter, sodass ich aufspringe und in den Flur laufe zu meinen Schuhen. „Hannah ist hochschwanger, du kannst ihr doch nicht den Stress mit zwei Kindern antun!" rufe ich ich besorgt und ziehe mich in Windeseile an. „Aber sie meinte, es sei okay..." versucht er sich zu rechtfertigen, aber ich höre es schon gar nicht mehr richtig. „Wir müssen beide holen! Seit wann sind sie da?" frage ich und er macht sich noch kleiner. „seit gestern Abend..." „SIE WAREN DIE GANZE NACHT ÜBER DA?" schreie ich jetzt fast und er nickt. Ich reiße die Tür auf und renne los in Richtung Hannahs und Fabians Wohnung. Zum Glück sind es von hier nur ein paar Straßen.

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