Sei da für mich

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Ich wachte durch mein Bauchknurren auf. Ich hatte gestern nichts mehr gegessen, so müde war ich. Doch zunächst musste ich aus diesen Klamotten raus und unter die Dusche.
Ich fühlte mich schon viel besser. Frische Klamotten und saubere Haut und Haare, so konnte ich diesen Tag bewältigen, denn heute sollte ich die Beileidsbekundigungen vor Ort bei den Angehörigen der Verstorbenen durchführen, falls es meinen Patienten gut gehen sollte und der Papierkram nicht zu viel wird. Doch zunächst mal Frühstück, oder besser gesagt Mittag? Ich hatte wohl viel Schlaf nötig. Nur verwunderlich, dass mich niemand geweckt hat. Gerade als ich das dachte, klopfte es an meiner Zimmertür.
„Dr. King, es ist Mittag, wir wissen Sie sind erschöpft, aber sie sollten langsam nach den Patienten sehen", hörte ich Lydia durch die Tür.
„Ich bin sofort da", antwortete ich nur knapp.
Die Kranken waren alle gut versorgt und einige konnten sogar jetzt schon entlassen werden. Es ist besser, wenn die Krankenbetten leer werden, dachte ich mir. Man weiß nie, was noch auf uns zukommt. Meine Schwerverletzten lagen fast alle noch im Schlaf oder erholten sich während sie vor sich hindösten. Die meisten waren auch noch recht benebelt von der Narkose und den Schmerzmitteln.
„Wunderbar Lydia. Sie und Ihr Team haben sich ausgezeichnet um die Patienten gekümmert." Sagte ich mit etwas Stolz, immerhin war das auch mein Team, das so gute Arbeit leistete. Ich änderte ein paar Medikamente und dosierte bei einigen Patienten anders. Dann machte ich mich an den Schreibkram, es gab sehr viel zu tun. Die Bürokratie hinter den Mauern ist absurd. Manchmal hatte ich das Gefühl, je mehr Bürokratie, umso mehr Korruption gab es. Fast als wollte man mit all den Papieren das ganze Illegale vertuschen. Illegal... Da fiel mir ein, dass ich mein Buch von Josef immer noch nicht zurückgegeben hatte. Etliche Male hatte ich nun schon die wichtigsten Stellen gelernt und mir Notizen gemacht aber ich hatte das Gefühl, dass ich noch nicht das gesamte Potenzial des Buches kennengelernt hatte. Bis zum Abend brütete ich vor mich hin, als erneut mein Bauch knurrte. Ich hatte doch tatsächlich schon wieder vergessen zu essen! Und die Beileidsbekundigungen? Verdammt, dieser Job war einfach zu viel für nur eine Person...
Im Speisesaal herrschte eine beunruhigende Stille. Die meisten waren immer noch von den Verlusten geschockt und verarbeiteten die Expedition. Ich setzte mich neben Hanji, selbst sie redete nur spärlich aber trotzdem zu viel, wenn es nach meinem Geschmack ging. Mike sah mich an, ebenso wie Levi, der ein paar Stühle weiter saß.
„Wie geht es den Verletzen", fragte Mike.
„Sie erholen sich, sie werden gut versorgt von den Krankenschwester."
Betreten schaute er auf seinen Teller. Ich war ihm dankbar, dass er mit mir sprach. Die Info, dass ich einem Kameraden meinen Dolch ins Herz gestochen hab, hatte wohl die Runde gemacht. Außerdem wollte jeder das Thema „die letzte Expedition" meiden und dazu gehörten nun mal auch die Verletzten und letztendlich ich als Person.
Ich lächelte Mike dankbar an als er nochmal zu mir sah. Er zwang sich ebenso zu einem Lächeln und nickte mir zu.
„Tch...", hörte ich Levi, ignorierte das aber etwas sauer. Warum konnte ihm so eine aufmunternde Geste nicht einfallen? Hungrig aß ich meinen Teller leer, als man ein dumpfes Geräusch hörte, immer wieder. So als würde etwas auf den Boden schlagen. War das..? War das das Geräusch von Krücken auf den Holzboden? Und tatsächlich das Geräusch wurde lauter und mein amputierter Patient stand im Eingang des Speisesaals.
„WO IST SIE?!?", schrie er. Sein Stumpf war blutig, der ganze Verband triefte voll Blut und generell sah er schrecklich aus. Lag er heute Mittag noch friedlich schlafend im Krankenbett, sah er jetzt aus wie halbtot. Er schwitzte und seine Augen standen irre hervor. Sie suchten den Saal ab.
„WO IST DIE SCHLAMPE?!?", gellte er und humpelte auf den Krücken weiter in den Saal. Geschockt sahen alle zu ihm, bis sich die Ersten erhoben, kam auch schon Lydia in den Saal. Sie war verletzt, an ihrer Stirn prangte eine Platzwunde. Auch ich erhob mich endlich, gelöst aus meiner Schockstarre.
„Peter! Wieso bist du aus dem Bett raus? Lydia was ist passiert?", fragte ich entsetzt als ich mich dem Patienten, Peter näherte.
„DU.... Du....du wagst es, du wagst es!", brachte Peter nur hervor und stierte mich hasserfüllt an.
„Er hat sich einfach auf den Weg gemacht, Doktor! Als ich hinterher bin, hat er mich mit der Krücke getroffen", jammerte Lydia panisch und hielt sich ihre Wunde.
„HALTS MAUL DU FOTZE!", schrie Peter die Krankenschwester an und wendete sich zu mir. Langsam kam er immer näher. Meine Hand wanderte unter meine Jack, doch ich hatte vergessen mein Messer anzulegen. Verdammt!
„JA genau! Greif nur nach deinem Mordmesser! Hättest du das mal gleich gemacht! Mich umgebracht, so wie Mattis! Stattdessen machst du mich zum KRÜPPEL! Sehen Sie mich an Doktor!", schrie Peter irre und riss seine Krücken hoch, um auf einem Bein verrückt zu springen. Dabei tropfte immer mehr Blut aus seinem Stumpf auf den Boden. Ich musste mich zwingen Haltung zu wahren. Alle Augen waren auf mich gerichtet und warteten auf meine Reaktion.
„Das reicht jetzt! Du musst dich ausruhen Peter!"
„AUSRUHEN? Nein! Oh nein Doktor! Sie sollten sich ausruhen! Geb doch zu, dass es dir Spaß gemacht hat mich zum Krüppel zu machen! Na los!"
Ich merkte wie sich Tränen in meinen Augen sammelten, gleichzeitig war ich so wütend. Ich brachte keinen Ton raus.
„Warum hast du mich am Leben gelassen? Wieso?!" Peter war nun weniger laut, dafür aufgelöster. Er schluchzte und stützte sich auf seine Krücken. Wie es schien war die Gefahr gebannt.
„Schluss jetzt, zurück mit dir auf die Krankenstation", kam es von Mike der Lydia und noch einen Soldaten anwies, ihm zu helfen, um Peter in die Krankenstation zurück zu bringen. Dieser wehrte sich nicht, es schien, dass er kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Doch sie waren schon aus dem Saal raus. Ich blieb zurück, mitten im Zentrum vor den Augen aller, ein Häuflein Elend. Meine Tränen ließen sich nicht mehr zurück halten, ich spürte sie über meine Wangen rinnen. Ich sah wie Hanji auf mich zugehen wollte, doch sie wurde von Levi zurück gehalten. Überrascht blickte sie ihn an, doch Levi ging ohne zu zögern auf mich zu und schlang plötzlich seine Arme um mich. Ich versank an seiner warmen starken Brust und hörte nur wie Levi in den Saal schrie:
„RAUS HIER! ALLE! SOFORT"
Ich schluchzte und spürte wie meine Beine weich wurden und meine Hände sich an Levis Rücken festhielten.
„Schhh...schhh", machte er nur und strich mir sanft über meine Haare, was mich noch mehr schluchzen lies. Doch dieses Mal vor Erleichterung. Ich musste das nicht alleine durchstehen, zumindest nicht diesen Moment. Levi war für mich da.

Der Corporal und die Ärztin 🍋Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt