Man beschützt das was man liebt

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Als ich aufwachte, lag ich allein in meinem Bett, doch ich spürte, dass Levi erst seit Kurzem weg war. Die Betthälfte neben mir war noch leicht warm. Was hatte ich gestern alles mitbekommen? An was erinnerte ich mich noch? Ein paar Wortfetzen flogen mir durchs Gehirn und vor meinem inneren Auge tauchte auch immer wieder Mikes trauriger Blick auf, doch mein Magen stoppte all meine Gedanken. Die ersten Momente des neuen Tags verbrachte ich also über der Kloschüssel. Ich wusste doch, dass ich das Saufen von gestern bereuen würde! Gerade hatte ich mich ein wenig erholt und versuchte den unangenehmen Geschmack im Mund durch Zähneputzen zu eliminieren, als ich das Signal zur Versammlung vom Trainingsplatz hörte.
Noch etwas tapsig auf den Beinen, stiefelte ich zum Speisesaal. Dort mussten wir uns versammeln, wenn Erwin etwas verkünden wollte. Praktisch für mich war, dass es dort auch Frühstück gab und ein Katerfrühstück war jetzt bitter nötig. Der Saal war noch recht leer, anscheinend waren auch andere mit ihrem Hangover beschäftigt. Erwin stand schon prominent platziert und begutachtete jeden, der eintrat. Neben ihm natürlich Levi, der mir ebenfalls mit seinen Augen folgte, als ich zur Essensausgabe schlurfte. Ein Platz mit guter Sicht auf Erwin und Levi war noch frei. Der Brei der mir ausgeteilt wurde, beruhigte meinen Magen etwas, genau wie der Kräutertee. Inzwischen waren so gut wie alle Soldaten des Hauptquartiers versammelt. Ich war eine der wenigen, die etwas aß, sie waren wohl recht nervös, denn eine große Ankündigung kam nicht häufig vor und verhieß meist nichts gutes.
„Ich danke euch für euer schnelles Erscheinen", begann Erwin.
„Wir müssen eine Expedition starten und zwar bereits morgen. Ich möchte ehrlich zu euch sein, wir haben so gut wie keine Vorbereitungszeit und unser Ziel wird viele Leben kosten. Schnelligkeit ist gefragt, deswegen werden wir auch keinen Versorgungswagen mitnehmen. Wer zu schwer verletzt wird, kann nicht geborgen werden, so werden diesmal auch keine Leichen mitgenommen."
Es war totenstill nachdem Erwin die ersten Worte sagte. Die Stimmung spannte sich mit jedem Satz immer weiter an. Ich hatte mein Frühstück beendet und griff zu meinem Tee, während Erwin anfing, weiter zu sprechen.
„Es wird nicht alle Soldaten des Aufklärungstrupps betreffen aber einen sehr großen Teil. Die Personen, deren Namen ich nenne, werden hier bleiben."
Namen wurden aufgerufen und man hörte teilweise erleichtertes Aufatmen. Einige Soldaten sahen mich skeptisch an. Wahrscheinlich erwarteten sie, auch gleich meinen Namen zu hören, schließlich merkte ich schon länger, dass man hinter mir tuschelte und mir vorwarf, ich würde bevorzugt. Doch nach dem belauschten Gespräch gestern, war ich bereits informiert. Ich hatte mich damit abgefunden, dass ich wieder vor die Mauern geschickt wurde. Vor allem wollte ich es Levi beweisen, ich brauchte keinen Schutz. Es war eine kurze Liste mit Namen, die Erwin vorlas.
„Das war es. Alle nicht genannten werden sich für morgen vorbereiten, wir reiten bei Sonnenaufgang los. Die Vorgehensweise wird später am Nachmittag erläutert. Nur so viel: wir reiten wieder in unserer gewohnten Formation in Dreier-Gruppen".
In die Menschenmenge kam Bewegung, einige verließen den Saal so schnell wie möglich, andere mussten sich nach dieser Ankündigung erst einmal hinsetzen. Auch neben mich setzte sich jemand, es war Mike.
„Du bist auch dabei?"
„Du hast nicht meinen Namen gehört oder?", antwortete ich ihm und merkte, dass er im Grunde nur versuchte ein Gespräch zu beginnen.
„Wegen gestern..."
„Schon gut, mit uns ist alles in Ordnung, Mike."
„Nein, bitte, ich möchte wirklich sagen, dass es mir leid tut"
„Entschuldigung angenommen", sagte ich monoton und trank meinen Tee. Schließlich gab es gerade wirklich wichtigeres.
„Ich wollte das nur unbedingt loswerden, wir wissen schließlich nicht, ob wir morgen Abend noch beide leben", versuchte Mike versöhnlich das Gespräch weiterzuführen.
„Ja... Da hast du vielleicht sogar recht, Mike. Aber versprich mir, dass du versuchst mich in Zukunft nur als Kameradin zu sehen – wenn wir beide überleben."
„Es wird schwer, aber ich verspreche dir, es zu versuchen"
„Danke", und ich lächelte Mike wieder mein aufmunterndes Lächeln zu, das er mir darauf auch erwiderte.
___________
Am Nachmittag wurde bekannt, in welchen Gruppen wir reiten sollten. Ich war mit einem mir unbekannten Soldaten und einer ebenfalls unbekannten Soldatin eingeteilt. Wie ich es auch gestern gehört hatte, war unsere Gruppe einem extrem ungeschützten Punkt in der Formation eingeteilt. War es nicht das was ich wollte? Ich wollte nicht feige sein, sondern mutig und hilfreich. Meinen medizinischen Nutzen hatte ich schon unter Beweis gestellt, jetzt war es an der Zeit zu zeigen, dass ich auch eine der besten Soldatinnen war, die der Aufklärungstrupp zu bieten hatte. Nach der Besprechung warf mir Levi einen vielsagenden Blick zu, den ich mittlerweile nur zu gut verstand. „Komm in mein Büro", bedeute er. Nicht wirklich mit Lust geladen, klopfte ich an seine Bürotür.
„Ich bins"
„Komm rein"
„Ich hoffe du willst reden, denn ehrlich: ich bin kein bisschen in Stimmung. Dazu noch der Kater von gestern, mich kannst du heute wirklich in die Tonne hauen", jammerte ich und hielt mir etwas überdramatisch den Kopf.
Levi seufzte zwar etwas aber schien tatsächlich etwas Ernsteres vorgehabt zu haben.
„Keine Sorge", er stand von seinem Stuhl auf und kam auf mich zu, „ich wollte dir nur sagen, dass ich alles versucht hab, damit du nicht an dieser Stelle der Formation bist."
„Das ist doch auch nicht deine Aufgabe Levi", ich sah wieder seine Augen und schmelzte förmlich dahin.
„Tch.. Natürlich ist es das", seine Stirn runzelte sich verbissen.
Statt irgendwas zu sagen, legte ich meine Hände um seinen Nacken und küsste ihn sanft. Er stieg in die Umarmung ein und zog mich nah zu sich. Eng umschlungen standen wir in seinem Büro.
„Es ist meine Aufgabe", kam von ihm beharrlich, „Man beschützt das was man liebt", murmelte Levi in die Umarmung hinein.
Mir stiegen Tränen in die Augen. Was sollte ich auf so etwas schönes nur antworten? Ich wollte so sehr irgendwas sagen aber auch meine Stimme versagte, stattdessen kam nur ein Schluchzen heraus und ich drückte mich noch stärker an diesen wunderbaren Mann, der mich anscheinend wirklich liebte. Vorbei waren meine stolzen Gedanken, die sich nur um meine Ehre als Soldatin gedreht hatten. In seinen Armen wurde ich einfach nur weich und statt sauer zu sein, dass er mich beschützen wollte, war ich nur noch gerührt.

Der Corporal und die Ärztin 🍋Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt