Kapitel 1

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Ich laufe einen langen Gang entlang. Meine Schuhe tippen leicht auf dem Boden auf. In meinem Kopf summe ich das Lied, welches wir am vorherigen Abend am großen Feuer gehört und gesungen haben. Mit einem Tablett in der Hand biege ich verträumt um die Ecke und kann noch rechtzeitig anhalten, bevor ich fast gegen einen großen Gegenstand laufe. Ich blicke hoch und erkenne einen Mann. Einen großen Mann, aber nicht breit gebaut wie die Soldaten, die sonst immer auf dem Grundstück wache halten, sondern einen schmalen Mann. Seine Arme sind dünn, sein Bauch flach, jedoch ohne einen Hauch von Muskeln. Sein Hemd ist penibel zurecht gemacht und bis aufs feinste Staubkorn rein. Alles sitzt an seinem Platz. Er hat dunkles Haar und eine gebogene Nase. Schnell senke ich den Blick. Ich weiß ganz genau, wer vor mir steht. Ein eisiges Gefühl wandert meine Wirbelsäule entlang. Ich spüre seinen Blick und sinke in einen Knicks. Warum jetzt? Warum gerade Er? Schnell versuche ich an ihm vorbei zu schlüpfen, als er mich mit seinen kalten knochigen Händen am Oberarm festhält.

"Wo willst du denn hin?" „Ich bringe der Lady Ihr Frühstück." Meine Worte kommen mir leise fast wie ein Flüstern über die Lippen. Stille. Schnell schiebe ich hinterher, dass ich mich beeilen muss da der Tee sonst kalt werde. Nach mehreren Sekunden lässt er mich endlich los. Langsam löst er seine Finger Stück für Stück von meinem Arm. Ich merke, wie er es genießt mich auf die Folter zu spannen. Mein Blick huscht zu seinem Gesicht. Die Erinnerungen an seine Taten rauschen wie ein Nebel, der nicht ablassen möchte durch meinen Kopf. Schrecklich. Schnell laufe ich um ihn herum zum Zimmer meiner Herrin. Das unangenehme Gefühl beobachtet zu werden sitzt mir im Nacken und lässt mich erst wieder los als ich das Gemach von Clara betrete und die Tür leise zufallen lasse. Rasch stelle ich das Tablett auf den kleinen runden Tisch und laufe rüber zu den Gardinen, die die aufsteigenden Sonnenstrahlen versuchen zu bannen. Mit einem Ruck mache ich diesen Versuch jedoch zunichte. Die Sonnenstrahlen fallen ungehindert auf mein Gesicht. Ich könnte nie genug von dieser Wärme bekommen. Ein leises Seufzen erklingt hinter mir und ich erinnere mich wieder an meine Pflichten. Clara ist dabei aufzuwachen. Clara ist nicht nur meine Herrin, wir sind auch beste Freundinnen. Wir sind zusammen aufgewachsen, meine Mutter war die Dienerin ihrer Mutter. Wir haben uns immer aus der Burg herausgeschlichen. Wir sind wie Pech und Schwefel.

Meine Mundwinkel biegen sich zu einem leichten lächeln. Zufrieden und glücklich spreche ich Clara an "Guten Morgen." Es tut gut sie so friedlich schlafen zu sehen.

Clara hinter mir gähnt und setzt sich streckend in ihrem Bett auf. „Guten Morgen Eve."

Sie ist wunderschön selbst am Morgen, obwohl sie verschlafen aussieht und ihre Goldblonden Haare ihr ins Gesicht hängen. Einen Atemzug lang werde ich an die Begegnung eben auf dem Gang mit ihrem Bruder erinnert. Augenblicklich senken sich meine Mundwinkel. Doch selbst diesem kurzen Moment bekommt sie mit und sieht mich fragend an. Sie kennt mich einfach in- und auswendig, was ich nur ohne sie tun würde. Ich habe keine Ahnung, nur möchte ich mir diese Möglichkeit nicht mal ansatzweise vorstellen. Ein kurzer Moment verstreicht, in dem ich nichts erwidere und einfach nur mit meiner Hand abwinke. „Es ist nichts, Miss, ich bin im Gang nur kurz auf Euren Bruder gestoßen." Während ich Wissen in ihrem Gesicht ablesen kann laufe ich schon auf den kleinen Beistelltisch zu auf dem ich eben das Tablett abgestellt habe. „Was gibt es heute zum Speisen?" Ich drehe mich mit dem Tablett in der Hand um und lächle sie strahlend an. „Es gibt Schwarzen Tee und dazu Eier mit Speck." Clara strahlt nun auch ihrerseits und setzt sich vollständig im Bett auf. Das Tablett stelle ich neben sie und reiche ihr den Brief, der darauf liegt. „Ich vermute er ist von Chester."

Wer Chester ist? Er ist Claras Verlobter aus gutem Hause. Clara ist sehr in ihn verliebt, würde dies jedoch niemals zugeben. Das einzige Problem ist, dass Chester in New York lebt und wir in der Nähe von London.

„Wann beginnt die Reise?"

Das ist eine Frage die Clara mir jeden Morgen nach dem Aufstehen stellt.

„Das müsst Ihr Eurem werten Herrn Vater fragen, Miss. Ihr wisst, dass ich über derart Neuigkeiten nicht unterrichtet werde." Sie blickt mich mit einem zur Schnute verzogenen Mund an, was mich sofort in Gelächter ausbrechen lässt. Noch rechtzeitig kann ich mich ducken, da fliegt auch schon eins ihrer rosa Daunenkissen über meinen Kopf und prallt an der Wand hinter mir wieder ab bevor es endgültig in einem dumpfen Laut auf dem Boden aufkommt. Ich drehe mich zu ihr um und gucke sie erstaunt an. Das saß! „Nun aber auf ins Bad. Oder wollt Ihr Euren werten Herrn Vater warten lassen?"

Schneller als ich gucken kann ist sie schon auf den Beinen und rennt ins Bad, wo die anderen Bediensteten schon eine Kupferwanne mit warmem Wasser und Ölen, die nach Rose duften, für Clara vorbereitet haben.

Zur Mittagszeit ist Clara bereits angezogen und zurecht gemacht. Strahlend sieht sie mich an, während ich die letzten Falten aus ihrem Kleid entferne und sie zu mir umdrehe. Sie greift nach meinen Händen. Im Gegensatz zu ihren weichen kleinen Händen, die sich anfühlen wie Seide sind Meine eher grob und rau. Ich bin es gewohnt die Wäsche zu machen und für alles zu sorgen was Clara benötigt.

„Ich bin dir so unendlich dankbar Eve, dass du immer für mich da bist." Ich spüre wie mir eine Träne die Wange herunterläuft.

Schnell wische ich diese jedoch weg und hoffe, dass Clara sie nicht gesehen hat.

„Nun aber schnell Miss."

von piraten entführtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt