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„Der Rat hat entschieden. Meinem Erachten nach solltet Ihr selbst für den bloßen Gedanken einer Flucht ausgepeitscht werden, doch für diesen Beschluss bestreite ich nicht den entsprechenden Posten. Für's erste genügt es mir, Euch aus Eurer närrischen Traumwelt aufzuwecken. Das hier ist die Realität, und in die gehört ihr"

Welch verdrehte Wendungen das Leben einschlagen vermag, spukte Tae durch den hübschen Kopf. Der Verrat seines treu geglaubten Freundes Baek zog tiefe Risse in seine Fähigkeit zu vertrauen, übte blinden Schmerz aus, so fest, dass Tae damals im königlichen Gemach all seine Energie in Form von Tränen ausweinte, zusah wie sich seine visuelle Charakteristik drastisch schlimmerte und ihn gebrochener als jemals zurückließ. Beraubt dessen, was ihn ausmachte. Seine Kraft der Optimistik. Freundschaft ward an diesem Punkt alles gewesen, was er glaubte noch als Trost inmitten der goldenen Käfigsprossen zu besitzen – es war jener Hoffnungsschimmer gewesen, der ihm letztendlich den Dolch in den Rücken rammte. Ein Freund. Sein Freund. Und wofür das alles, womit hatte er den Schmerz und die Isolation ertragen müssen? Für ein bisschen Ruhm und einen Palast voll Gold und Kristall, nachdem Baek gierig lechzte.

„Das hier ist die Realität", murmelte er sanft und stärkte den Griff um das Fotoalbum, sein Herzschlag pochte gegen seinen Rippenkäfig und hielt im Zaum, was drohte Überhand zu gewinnen. „Mein Platz liegt in dieser Realität, Baek, nicht in der Realität der du Wahrheit schenktest. Diesen Platz bin ich nicht bereit aufzugeben", schwor er und fügte mit einem raschen Seitenblick auf seinen größten Reichtum hinzu, das Lächeln stahl sich nurmehr Sekunden über seine rosigen Lippen. „Nicht, wenn es mich alles kostete, ein Zuhause zu finden...mein Zuhause"

Also galt es als beschlossen, es stand völlig außer Frage für den elysischen Weltenwanderer. Eher würde er seinen Herzschlag erstillen hören, als woanders als im Kreis seiner Familie zu existieren.

„Ich liebe euch", wiederholte er sein Mantra und trat tapfer weiter in die Gischt, in das kalte Nass, hob das Album höher um es jeden Moment auf das zu schmettern, was gewillt war sich vor ihm aus dem Ozean zu zeigen. Was Tae dann aber erblickte, inmitten der zerschellenden Wassermengen, verschlug ihm wortwörtlich die Sprache und weckte Erinnerungen. Schmerzhafte, beinahe vollständig verdrängte Erinnerungen an die Vergangenheit, die mit der Wucht eines Sturmes seinen Herzschlag beträufelten und über ihn hereinbrachen, ihn unter dem Gewicht begruben und seinen Atem stocken ließ. Ihm wurde kalt. Eiskalt. Tae's Knie wurden weich, butterweich und dann setzte auch schon das altbekannte Zittern ein, was die Furchtlosigkeit verdrängte und mit Ungläubigkeit ersetzte.

Dort, aus der aufgebrachten Gischt und der rauschenden Brandung, erhob sich ein ihm bekanntes Gesicht. Eines, das er seit vielen Jahren nicht mehr mit eigenen Augen gesehen hatte, von dem er nicht einmal mehr in den Nachtträumen heimgesucht wurde. Ein Gesicht, dessen Erinnerungen daran ihm kaum merklich abhanden kamen. Hier war es. Vor ihm, keine Armlänge vor ihm tauchte dieses Gesicht auf und rüttelte ihn wach. Das Adrenalin und die Furcht, einem feindlich gesinnten Flossenträger gegenüber zu stehen, verklang und alles was in seinen Venen zurückblieb, war Erleichterung und der Drang, sich in die Arme seines Gefährten sinken zu lassen. Die hektische Aufregung beraubte ihm der Tapferkeit, mit der er dem bis eben geglaubten Eindringling den Garaus gemacht hätte.

„Majestät", verneigte sich der Besucher aus der anderen Welt tief, tief bis ihm die feuchten Strähnen über die stattlichen Schultern rutschten, und erbot seinem Herrscher ein Zeichen seines bis heute beständigen Respekts. Zwar durchlief der Ozean nach dem Abschiedes seines geliebten Kindes eine Umstrukturierung und Neuordnung der politischen Lage, die Regierung wurde in diesem Zuge auf jeweils einen gewählten Abgeordneten der Herrscherprovinzen ausgeweitet, Gleichberechtigung und fairer Handel erblühte wie Korallenknospen im schillernden Licht, allerdings schwor der sich eben gezeigte Ozeaner keinem der Regenten seine Treue. Dies brachte er nicht über sein loyales Herz, sein Respekt und seine Treue hatte seit jeher dem Kind mit den ozeanblauen Augen gegolten, welches nun mit der schönsten Ausgeglichenheit und der rosigsten Gesundheit vor ihm dastand. Mit liebevollen Augenperlen die den Kummer vergangener Tage losgelassen hatten, mit zum bittersüßen Küssen einlurrenden rosigen Lippen die sich zu einem graziellen Lächeln formten und einer Aura, die der eines gehuldigten Engelskindes gleich kam.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]   vkookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt