II

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Es ist immer noch dunkel. Mir ist kalt. Ich sollte Angst haben. Angst vor mir selber und der Wut, die in mir brodelt. Es ist ein Teufelskreis.

Vor der Eisentür höre ich das Zischen der Wächter. Ich habe ihnen noch nie in die Augen geblickt, denn sie haben keine. Sie haben kein Gesicht, keine Gefühle, keine Seele und keinen Körper. Sie sind eine dunkle Wolke aus Nichts, die nur darauf wartet, dass ich einen falschen Schritt tue.

Jetzt höre ich, wie sie die benachbarte Zelle aufschließen und zischend verschwinden. Gequälte Schreie tönen durch die Wände zu mir herunter. Ich weiß, wer dort oben sitzt. Ich habe ihn gesehen. Er wird getrieben vom Bösen, genauso wie die Wächter. Er ist schrecklich. Er war es, der das Dunkle Licht geschickt hat. Er war es, der meine Liebsten umgebracht und mir meine Gefühle genommen hat. Ich werde ihn das nicht vergessen lassen und ihm nicht vergeben. Nichts werde ich tun, solange ich hier in dieser Zelle sitze.

Plötzlich reiße ich den Mund auf und schreie. Es ist befreiend. Zum ersten Mal seit Langem habe ich einen klaren Kopf. Ich sehe alles. Alles um mich herum. Die Wände erscheinen mir durchsichtig.

Vorsichtig lege ich eine Hand auf die durchsichtige Membran, die sich gebildet hat. Mir wird kalt, doch ich sehe, dass meine Finger nun auf der anderen Seite der Wand sind. Mein Entschluss steht fest: Ich gehe von hier weg. Ich verschwinde von diesem dunklen, bösen Ort.

Noch einmal sehe ich mich um. In der benachbarten Zelle sehe ich eine junge Frau liegen. Ihre hellen, blauen Augen starren mich an. Doch sie regt sich nicht mehr. Sie ist tot. Da sollte ein Gefühl sein: Trauer. Warum ist so ein schönes Leben von uns gegangen?

Aber da ist nichts. Ich reiße mich zusammen. Nichts kann mich jetzt aufhalten. Ich hole tief Luft und gleite durch die Membran. Nach der Kälte kommt die Wärme. Ich spüre sie. Sie umgibt mich wie ein Schleier.

Eine ganze Weile bleibe ich so stehen. Ich atme die frische Luft ein. Ich sehe den klaren, blauen Himmel und die Sonne. Zum ersten Mal seit einer langen Zeit. Keine Dunkelheit. nichts Böses.

Ich schließe die Augen. Wieder Dunkelheit. Finsternis. Nein, diesen Teil meines Lebens möchte ich hinter mir lassen. Ruckartig reiße ich die Augen auf. Alles ist so schön. So schön. Ich sehe mich um. Hinter mir ist immer noch das Schloss. Die grauen Steinmauern sehen falsch und unwirklich aus. Schnell richte ich meinen Blick in die entgegengesetzte Richtung. Eine Hügellandschaft. Rundliche Wölbungen vor dem Horizont. Ich spüre keine Freude. Nur die Freiheit.

Ich lache. Eigentlich fröhlich, doch mein Lachen hört sich seltsam an. Kalt und böse. Eher wie ein Krächzen oder das Kichern eines Verrückten. Aber ich lache weiter. Mein Lachen geht in ein Schreien über. Und beim ersten Schrei zieht plötzlich ein Wirbelsturm auf. Trockene Blätter heben vom Boden ab. Gräser wiegen sich im Wind. Meine Haare fliegen frei.

Ich stehe nur da. Schreie. Doch ich höre es nicht. Ich höre nichts. Ich bin wie in einer schützenden Kugel gefangen. Nur mein Schrei dringt hinaus. Je länger ich schreie, desto mehr wütet der Wind.

Was passiert mit mir? Warum kann ich nicht mehr lachen? Warum lässt mein Schrei Wände und Gestein durchlässig werden? Kann es sein? Kann es wirklich sein?

Ich schreie ein letztes Mal und breche zusammen. Ein Grinsen breitet sich unfreiwillig auf meinem Gesicht aus.

»Ja, es kann sein«, sagt meine innere Stimme. »Du bist eine Todesfee.«

Ich erschrecke. Eine Todesfee... Eine Kreatur, die ihre Gefühle verdrängt und vom Bösen beherrscht wird. Ihr Schrei verursacht Katastrophen, Verwüstung und Tote. Das will der König also. Das will er. Eine gefährliche und unberechenbare Untergebene. Das bin ich nun. Und zugleich bin ich das nicht. Ich bin nicht böse. Ich bin ein gefangenes Tier, das Bücher hören kann. Nun befreit.

Doch tief in meinem Inneren weiß ich, dass das nicht stimmt. Nicht mehr. Ich bin anders geworden. Böse. Mein Herz ist immer noch umhüllt von den Schatten, die das Dunkle Licht hinterlassen hat. Sie werden mich nie verlassen. Ich werde nie mehr wie früher sein.

Ich stehe auf. Weg von diesem Ort. Nur weg. Ich renne los. Meine schwarzen Haare fallen mir ins Gesicht, als ich gegen den Wind laufe. Der Sturm wütet immer noch.

Die Angst, beinahe hätte ich sie gespürt. Doch ich verdränge sie. Angst schwächt mich. Sie lässt mich unbedachte Dinge tun. Ich stolpere und falle hin. Hastig verkrieche ich mich in einer Kuhle. Hier bin ich vor dem Wind geschützt.

Ich rupfe etwas Gras aus und streiche die Erde darunter glatt. Dort schreibe ich meine bisherige Geschichte auf. Ich lausche den Buchstaben, die um meinen Kopf schwirren und in meine Ohren dringen. So schlafe ich ein. Eingelullt in meine eigene Geschichte.

***

Die Schatten der Nacht kommen über das Land. Das Zwitschern der Vögel verstummt unter der bedrückenden Schwärze. Es ist dunkel. Nur eine Kerze erhellt ein Fenster im Schloss hinter den Hügeln. Ein unförmiger Schatten erscheint. Der König von Celien.

»Sie ist also geflohen«, flüstert er, ein Lächeln auf den Lippen.

Der Heimatlose wird über das Land herrschen und alles Licht mit Schatten tränken. Die schreckliche Todesfee wird den letzten Funken finden und zerstören. Die Prophezeiung wird sich bald erfüllen.

 Die Prophezeiung wird sich bald erfüllen

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Schattenherz - Das Böse erwachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt