XIX

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»Der Krieg war ein Monster mit hundert Mündern und tausend Krallen. Er fraß alles und jeden. Jung und alt. Schuldig und unschuldig. Er machte keinen Unterschied.«

Das Licht der Flammen flackert in seinem Auge. Warmes Gelb, Orange und Rot. Seine Stirn ist mit einem Band verdeckt. Schützt es? Oder verbirgt es, was sich dahinter befindet? Was niemand mehr sehen darf?

»Die Geschichte wiederholt sich«, sagt Dendor. Das Feuer prickelt auf seiner Haut, vertreibt seine Dunkelheit. Er rückt weg. Weiter in die Schatten. Weiter zu Titor. Der Shaderon schnaubt leise, beruhigend.

»Die Turnaqs wurden vernichtet.«

»Er, der gesiegt hat, nicht.«

»Er ist kein Turnaq. Sein Blut ist dünn. Seine Macht schwach.«

»Trotzdem hat er gesiegt«, entgegnet Dendor. Beobachtet die Finger Naguuns, die sich zum Feuer strecken. Auf der Suche nach Wärme. Auf der Suche nach Licht. Seine Haut leuchtet schwach auf, erlischt wieder.

»Seine Macht ist an das Buch gebunden. Ohne es, ohne das Wissen, ohne den Hass, ist er niemand. Ein Heimatloser.« Aus seiner Stimme spricht die Weisheit der Jahrtausende.

»Wo ist das Buch?«, fragt Dendor.

»Bei ihm. Es vergiftet seine Gedanken. Es spricht zu ihm. Es verspricht ihm ewige Herrschaft, ewiges Leben. Es verspricht ihm Rache für den Tod seiner Vorfahren. Es verspricht ihm treue Untergebene.«

»Dämonen?«

»Dämonen«, bestätigt Naguun. »Sie sind Flamme, sie sind Klinge, sie sind Nacht, Blitz und Hölle.«

»Du hast damals gegen sie gekämpft?«

»Nein.« Die Stimme voller schmerzhafter Erinnerungen. »Ich habe es nicht gewagt. Sie haben keine Seele, keine Körper. Sie sind Wolken aus Schall und Rauch. Nur die Engel konnten sie bezwingen. Sie haben sich gegenseitig ausgelöscht. Aber das Buch weiß, wie die Dämonen beschworen werden. Sie kamen wieder. Die Engel nicht.«

»Aber du hast den Dämonen Einhalt geboten«, sagt Dendor.

»Mein Licht schwindet«, erklärt Naguun. »Ich werde bald sterben.«

»Bitte die Engel um Hilfe, wenn du in ihrer Himmelstadt bist.«

Der Heimatlose schüttelt den Kopf, hoffnungslos, fast verzweifelt. Das Feuer streichelt liebevoll über seine Hände. »Es gibt sie nicht mehr«, wiederholt er. »Im Tod erwarten dich nur Leere und Vergessen. Leere und Vergessen.«

Dendor starrt in die Flammen. Eine Träne verdampft zischend auf heißem Höhlenstein. Ein dunkler Fleck auf dem Grau.

»Hast du damals gegen eine Todesfee gekämpft?«, fragt er.

»Ja«, antwortet Naguun. Die Knöchel seiner Hand färben sich weiß. Der Stab zittert, knarrt unter dem starken Griff.

»Hast du sie getötet?«

»Nein.« Seine Stimme ist nur ein Windhauch, eine leichte Böe.

»Weißt du, wie du sie hättest töten können?«

»Nein.« Sein entstelltes Gesicht ist eine Maske der Trauer. »Aber ich weiß, wo es geschrieben steht.«

»Wo?«

»Auf einem zerrissenen Pergament. Eines, das der Sohn der Renei nicht finden konnte. Eines, das immer noch versteckt ist.«

»Wo ist es?«

»In einer der tiefsten Nischen und Wunden unserer Welt«, flüstert Naguun. »Du weißt, welche ich meine. Die Wunde blutet immerfort.«

»Ja.«

Dunkelheit dringt in die Höhle. Das Feuer kämpft, kämpft um sein Leben. Wolken pressen sich an die magische Wand. Krallen kratzen, Zähne beißen. Die Höhle erzittert. Dendor steht auf, blickt zu Naguun.

»Ich werde sie aufhalten«, sagt der Mann und zieht die Hände zurück. »Fliehe durch die Tunnel.«

Dendor neigt den Kopf. Respektvoll, ehrfürchtig. Dunkelheit umspielt ihn, als er auf Titor aufsitzt. Der Shaderon scharrt mit den Hufen, schnaubt. Dann taucht er in die Schatten des Berges.

Die Flammen in der Höhle erlöschen. Hände tasten über Stoff, lösen das Band. Es fällt zu Boden. Leicht, langsam, eine Maske, die nicht mehr benötigt wird. Als Naguun die Augen öffnet, erstrahlt sein ganzer Körper in hellem Licht. Die Magielinien unter seiner Haut leuchten auf. Ein letztes Mal. Zum Abschied.

Die magische Wand bricht.

Die magische Wand bricht

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Schattenherz - Das Böse erwachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt