XII

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Er hält nicht an. Er weiß, dass das sein Ende wäre. Dabei sind sie nicht hinter ihm her. Sie wollen Titor. Dendor spürt ihr Verlangen, ihre Gier nach seinem Hengst. Und Titor spürt es auch. Seine Hufe trommeln über die Erde. Ohne Pause. Ohne Halt. Sein schwarzes Fell glänzt, umgeben von Dunkelheit.

Dendor lehnt sich vor, als der erste Dämon ihn erreicht. Krumme Klauen kratzen über seine Hörner, hinterlassen tiefe Spuren im Grau. Er warnt Titor vor dem Angreifer vor ihnen. Die graue Wolke explodiert. Scherben und Splitter schießen davon, bohren sich in weiches Fleisch.

Titor bleibt nicht stehen. Blut tropft von seiner Brust. Rot und dick. Spritzer auf vertrocknetem Gras. Traurige Erinnerungen an den Tod. Aber nicht jetzt. Noch nicht. Seine Hufe schlagen aus. Treffen das wabernde Nichts der Wolken um ihn herum. Sie lauern, sie warten auf seine Schwäche.

Dendor redet ihm zu. Nicht aufgeben. Immer weiter. Immer schneller. Fort, fort! In Sicherheit. Doch wo ist es schon sicher? Die Dämonen sind überall. Zischen, lachen, kreischen und greifen, schlagen, schlitzen. Spitze Zähne in den Beinen des Hengstes. Scharfe Klauen an seinem Hals. Dendor sticht auf sie ein, um seinem treuen Gefährten zu helfen. Die Klinge ist matt in den wirbelnden Schwaden um sie herum.

Dann sind sie fort. Bleiben auf dem offenen Land zurück, während Reiter und Pferd zwischen den Bäumen verschwinden. Blut tropft. Schweiß glänzt. Die Äste kratzen über ihre Körper, über Fell und Rüstung. Flüstern, Flüstern in den Kronen der Bäume. Der Wald lebt. Der Wald sieht. Der Wald denkt.

»Ein Elf«, wispert er. »Ein Rebelle. Ein Überlebender.«

»Wohin mit ihm?«, flüstert er. »Wohin? Wohin?«

»Ist das ein Shaderon?«, haucht er. »Ein Hengst? Ein dunkler Schatten?«

»Er darf nicht hier sein«, raunt er. »Es ist verboten. Jeder weiß das. Jeder.«

»Bringt ihn zu mir.«

Der Wald erzittert unter der Macht dieser Stimme. Die Blätter rauschen aufgeregt. Die Äste tasten über Dendors Gesicht. Die zwei grauen Hörner. Die flache Stirn. Die dunkle Haut. Sie flüstern miteinander, kichern. Zwei Bäume säuseln ihm warme Worte ins Ohr, als er zwischen ihnen hindurch reitet. Er brummt. Seine Mundwinkel zucken. Die Bäume kichern.

Plötzlich ist es still. Das Raunen verstummt. Der Wald teilt sich. Die Wurzeln kriechen fort, biegsam wie Schlangen. Die Äste strecken sich in die Höhe, auf der Suche nach Licht. Dendor sieht grüne Augen. Blattgrün. Sie mustern ihn, kommen näher. Raue Finger tasten über seine Brust, lösen die Schnallen der Rüstung. Er lässt es geschehen. Die Finger umschlingen sein Handgelenk, führen ihn zu einer Eiche. Er lässt es geschehen. Seiner Kehle entweicht ein Seufzen.

»Ein Elf«, sagt die Frau mit den grünen Augen. Ihre Haut ist Rinde. Ihre Haare sind Zweige. Ihre Finger sind Wurzeln. »Ein Rebelle.«

»Der letzte Rebelle«, flüstert Dendor.

»Mein Rebelle.« Ihre harten Lippen streifen seine Haut.

»Der Rebelle meines Volkes.«

Die Frau weicht nicht zurück. Ihre Finger streichen über seinen Hals. Ihre Augen blicken traurig. »Du bist wie ich. Ohne dich gäbe es dein Volk nicht mehr. Auch mein Volk ist am Sterben. Meine Kinder haben dich beschützt. Haben die Dämonen zurückgeschlagen. Dies ist mein Geschenk an dich. Nun gib mir mein Geschenk.«

Dendor schweigt.

Die Finger wandern tiefer. Er lässt es geschehen. Die Konturen der Frau verschwimmen. Rinde wird zu glatter, dunkler Haut. Zweige werden zu langen, schwarzen Haaren. Ihre Lippe werden zu weichen Knospen, gleich einer Rose. Sie lässt ihn ins sanfte Gras sinken.

Der Wald lebt auf. Blätter erzittern, Bäume erbeben. Vögel singen ein leises Lied. Zwitschern vor Freude. Zweige wiegen sich leicht im aufkommenden Wind. Geraschel überall. Blätterrauschen. Grünes Leben.

»Es ist vollbracht«, wispert die Frau mit den grünen Augen und streicht Dendor zum Abschied über die Brust. Er erschauert und lässt sich zu Titor führen. Die Wunden des Rappen sind geheilt. Das Fell schimmert gesund. Eine Frau aus Ästen umarmt seinen mächtigen Hals, bevor Dendor aufsteigt. Er schickt Titor eine Gedankennachricht. Der Hengst wiehert vergnügt.

»Meine Kinder wissen von der Todesfee«, sagt die Frau mit den grünen Augen. Ihre Haut ist wieder Rinde. »Sie hat den Tumpaw gebändigt. Die Geschichte wiederholt sich.«

»Das werde ich nicht zulassen.«

Die Frau legt sich eine Hand auf den Bauch. Die Bäume flüstern miteinander. Leise, besorgt.

»Er wird sterben«, wispert der Wald. »Sie wird ihn töten.«

»Sie wird alle töten«, flüstert er. »Auch uns. Uns alle.«

»Er hätte nie herkommen dürfen«, raunt er. »Er, der gesiegt hat, wird sich rächen. An uns.«

»Sie fliegt nach Feywor.«

Der Wald verstummt beim Klang ihrer Stimme. Dendor nickt. Das Gesicht eine Maske der Entschlossenheit. Er streicht Titor über den Hals und der Hengst trabt los. Die Äste streifen sanft seine Hörner, heilen die Kratzer der Dämonenklauen. Der Wald teilt sich. Lässt sie frei.

Dendor schaut nicht zurück. Zurück zu den verbrannten und ausgerissenen Bäumen. Zurück zu den Dryaden, die ihn beschützt haben. Er wendet sich nach Norden. Am Horizont erheben sich die Schatten der Berge.

 Am Horizont erheben sich die Schatten der Berge

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Schattenherz - Das Böse erwachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt