Vollmond - Prolog

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Als die rote Sonne schon halb hinter den alten Häuserreihen verschwunden war, klopfte ein Mann mit einem Aktenkoffer in der Hand an eine der vielen gleichaussehenden Türen. Sein Haar war kurz und grau, seine Miene erschöpft. Ein müdes Lächeln spielte um seine Lippen, als seine Frau ihm die Tür öffnete und ihn empfing. Sie wirkte wie eine normale Hausfrau, ihr hellbraunes Haar, das ihr auf die Schultern fiel, war wellig und leicht zerzaust, als hätte sie den ganzen Tag geputzt. Wer die Familie jedoch kannte – und das taten die Wenigsten –, der wusste, dass Hausarbeit keineswegs zu den anstrengenden Tätigkeiten in ihrem Leben zählte, nicht bei ihnen zumindest.

Der Mann betrat das kleine Haus, zog Mantel und Schuhe aus und grüßte seine Frau mit einem etwas bedrückten „Hallo, Hope, mein Schatz" und einem Kuss, bevor er mit wenigen Schritten in die Küche trat.

Der Aktenkoffer wurde auf den kleinen Tisch gestellt, an dem ein Junge von etwa fünf Jahren saß. Er trug ein Hemd, das ihm zu groß war, und sein Haar, das von dem gleichen hellen Braun war wie das seiner Mutter, wirkte zerstrubbelt. Er sah erst auf, als sein Vater den Aktenkoffer öffnete, eine Zeitung hervorzog und diese seinem Sohn, der die gleichen Gesichtszüge aufwies wie er, hinlegte. Keinen der beiden schien es zu kümmern, dass sich die Fotos der eigenartigen Zeitung, die den Namen Tagesprophet trug, bewegten.

Hope betrat ebenfalls die Küche und füllte Wasser in einen der auf der Arbeitsfläche gestapelten Töpfe. Ihr Mann ließ sich niedergeschlagen am Tisch nieder. „Weißt du, Lyall, was Remus heute geschafft hat?", versuchte sie, ihn aufzuheitern. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Stolz und amüsiertem Ärger. „Dein Sohn hat heute beim Mittagessen den Spinat an die Decke befördert, weil er ihn nicht essen wollte, indem er den Teller explodieren ließ."

Ein kurzes Lächeln huschte über Lyalls Gesicht, doch er wurde gleich darauf wieder ernst und schwieg weiterhin. Hope zog die Augenbrauen zusammen und stellte sich hinter ihren Mann, die Arme auf seine Schultern gelegt. Sie küsste ihn zärtlich in sein Haar. „Du weißt, du kannst mit mir über alles reden", sagte sie sanft und war überrascht, als er eine ihrer Hände nahm.

„Ich weiß", meinte er. „Es ist nur... Die Arbeit macht mir zurzeit einfach sehr zu schaffen, das ist alles."

Da Hope nicht dieselben Fähigkeiten besaß wie Lyall, kannte sie sich nicht gut aus, wenn er ihr etwas von seiner Arbeit in der Zaubererwelt erzählte. Sie wusste nur, dass er einem Kommando zugeteilt war, das sich mit dem Fangen von Werwölfen beschäftigte – und Hope gefiel das ganz und gar nicht. Aufgrund ihrer nicht-magischen Abstammung kannte sie nur die Märchen, die sich mit diesen Wesen beschäftigten, doch das allein reichte ihr, um zu wissen, dass der Beruf ihres Mannes alles andere als ungefährlich war.

Sie biss sich unruhig auf die Lippe. „Ist denn etwas passiert?" Der Gedanke daran, dass ihm oder ihrem Sohn etwas zustoßen konnte, war unerträglich für sie.

Lyall schwieg einige Momente, was die Situation nicht gerade erträglicher für Hope machte. Remus hingegen schien das Ganze wenig zu interessieren und er blätterte ein wenig durch die Zeitung mit den sich bewegenden Bildern, offenbar fasziniert von einem Artikel über Rennbesen.

Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, griff Lyall nach dem Aktenkoffer auf dem Tisch und zog daraus eine mit Dokumenten gefüllte Mappe hervor. Hope nahm seine Hand und setzte sich neben ihn, während er ein halb bekritzeltes Blatt Pergament hervorholte, das wie eine Personenakte aussah. Neben dem Bild einer schäbig aussehenden Person – es bewegte sich, natürlich – stand der Name Fenrir Greyback.

Die Miene ihres Mannes wurde noch düsterer, als er das Dokument vor sich hinlegte. „Zwei Muggelkinder sind getötet worden", sagte Lyall düster. Sein Blick fixierte die Aufnahme des Mannes, als könnte er ihn so dazu bewegen, etwas Bestimmtes zu tun. „Und ich bin mir sicher, dass er dahintersteckt." Er schloss angestrengt die Augen. „Er steht nicht im Werwolf-Register, aber irgendetwas an ihm war einfach ... einfach bedrohlich."

The Marauders' Book - Jahr 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt