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Ich wurde Mal gefragt, ob meine Eltern auch mit mir die Unterhaltung geführt haben, wie ich mich bei Polizeikontrollen zu verhalten habe. Da das aber in Deutschland noch "kein so großes Thema ist", habe ich diesen Ted Talk tatsächlich nie bekommen. Doch stattdessen ist mir was anderes aufgefallen.

Mir wurden von Kleinauf einige Sachen beigebracht: "Bitte" und "Danke" sagen, dass man Spielzeuge auch Mal teilen muss, dass man nicht immer sofort die verlangte Aufmerksamkeit bekommt, die Dinge, die wohl jeder kennt, aber bei mir gab es noch etwas, was meine Freunde nie verstanden haben und es bis heute auch nur bedingt tun und zwar ist das der Anspruch "Egal wie gut du bist, du musst mehr leisten".

Sei es, dass ich mich besonders gut artikulieren muss, damit beim ersten Eindruck keine Zweifel daran bestehen, dass ich fließend Deutsch spreche, dass ich aufpasse nicht zu "ghetto" rüberzukommen oder eben schulische Leistungen. Ich muss mehr tun als alle anderen. Meine Mitschüler halten eine 3 für nicht so schlimm? Bei mir darf es nicht schlechter als eine 2 sein. Alles darunter ist keine zufriedenstellende Leistung.

"Aber nicht jeder ist rassistisch" Ich weiß. Nicht jeder ist es. Aber ich muss davon ausgehen. Ich muss von vornerein denken, dass ich jemanden vor mir sitzen habe, der mich genauer unter die Lupe nimmt. Wenn er das nicht tut, dann habe ich Glück gehabt.

Glück gehabt und ich kann erleichtert weitermachen.

Und wenn die Person vor mir Vorurteile hat, sagen wir bei einem Bewerbungsgespräch, und mein nahezu perfektes Zeugnis gegenüber dem eines Weißen Bewerbers mit mittelmäßigen Noten sieht, verringert das zumindest die Chance, dass ich aufgrund meiner Herkunft abgelehnt werde. Außerdem bin ich dann auch das Vorurteil des Faulen Ausländers los.

Ich weiß, dass das ein absolutes toxisches Denken ist, aber das habe ich mir über die Jahre angeeignet und leider wurde mir oft genug bewiesen, dass mich diese Einstellung am weitesten bringt.

Eine 3 in der Mittelstufe ist für mich ein Weltuntergang gewesen, in der Oberstufe, während ich durchaus das ein oder andere Mal 6 Punkte kassiert habe, habe ich meine Klausur bis ins kleinste Detail analysiert, verglichen, geschaut, was ich verbessern muss. Weil ich es mir nicht erlauben kann.

Klar, es ist nur eine Klausur gewesen. Aber was ist mit der nächsten? Wenn das wieder nur 8 Punkte sind, stehe ich schriftlich auf 7. Mit meinem mündlichen komme ich eventuell knapp auf 10 Punkte, wenn es schlecht läuft nur auf 9. Das fehlt mir dann am Ende bei der Abiturnote. Denn eine 2 vor dem Komma ist ausgeschlossen gewesen. Es musste eine 1 sein.

Und das hat zu jahrelangem Bulimielernen, einigen mental breakdowns und auch abfälligen Sprüchen meiner Mitschüler geführt. "Was ist denn an 9 Punkten so schlimm?" "Das ist doch kein Weltuntergang." "Das Leben geht weiter."

Ein paar haben auch gedacht, dass ich so ambitioniert für mich selbst bin. Um mir selbst zu beweisen, wie gut meine Noten sein können. In gewisser Weise Ja, aber dann hätte ich mir öfter eine Auszeit gegönnt, wenn einen Erfolg hatte. Aber das ist das Ding: Für mich hat es keinen Erfolg gegeben, nur ein Ergebnis, das in den akzeptierten Bereich passt.

Aber ich meine, im Endeffekt habe ich mein Ziel erreicht, bin als eine der Jahrgangsbesten von der Schule und habe mein Zeugnis in der Hand. Und jetzt stehe ich da, habe das, woraufhin ich jahrelang hingearbeitet habe und realisiere, dass es nicht vorbei ist. Momentan mache ich ein Praktikum und will dieses Jahr noch praktische Erfahrungen sammeln, aber was ist mit nächstem Jahr, wenn ich anfange zu studieren?

Das Lernen geht weiter. Und ich weiß nicht, ob ich das gleiche nochmal jahrelang durchziehen kann und möchte. Aber ich muss. Was ist denn mein Abitur am Ende noch wert?

Und wenn ich studiere, muss ich besser sein als der Durchschnitt. Ich muss mehr leisten. Wieder wochen- und monatelang versuchen, alles bis ins kleinste Detail irgendwie in mein Gehirn zu bekommen, alles perfekt zitieren zu können für eine Zahl, von der am Ende alles abhängen kann. Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass ich charismatisch bin und so Leute im Notfall von mir überzeuge. Wenn jemand sich eine solche Meinung über mich gebildet hat, dann hilft all das Reden nichts mehr. Ja, auch Noten sind nur bedingt überzeugend, aber das sind wenigstens Fakten. Sie stehen fest.

Mir wird oft gesagt, wie schlau ich doch sei, da ich so gute Noten habe. Ich würde mir wünschen, dass das der Wahrheit entspräche, aber ich bin nicht schlauer als der Durchschnitt. Ich muss nur bessere Leistungen erbringen.

Und das traurige ist, dass mir meine Eltern das zwar beigebracht haben, ich aber bisher in meinen fast zwanzig Jahren, so viele Beweise gesammelt habe, dass das der einzige Weg ist, der für mich funktioniert.

100 Days of Burkina | german and englishWo Geschichten leben. Entdecke jetzt