Tag 4 - Reise

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(1506 - Japan, Sengoku Ära)

Die Sonne schien hoch am Himmel und erwärmte die von Laub bedeckte Erde. Herbst hatte sich über die japanischen Ländereien verbreitet und von Tag zu Tag färbten sich die Blätter farbenfroher und bunter, doch zog eine zunehmende Kälte über die Felder. Sie ließ die Menschen erschaudern, die versuchten noch vor dem Einbruch des Winters ihre Ernten einzuholen.

"Jetzt komm! So schwer ist es doch nicht!" Es war eine Frau, vielleicht gerade einmal 27, die Mitten auf der Lichtung stand und ihre Arme verschränkte. Ihr einfacher Kimono war etwas zerrissen und schmutzig. Die einst mal grüne Farbe war stark verblasst und hier und da waren Flicken zu erkennen. "Du kannst nicht mal Fische richtig fangen!"

In dem Fluss, der über die Lichtung sich wandte, stand ein junger Mann. Seine Kleidung war genauso verdreckt und zerrissen. Sogar die hellen Haare schienen fettig und mit Schmutz versehen. Er stand im kalten Wasser mit den Händen kurz vor der Oberfläche. Nicht ein einziger Fisch konnte er packen. Ganz zum Missfallen seiner Begleiterin. "Ich versuche es doch, Kazuko..."

Der Mann verzog sein Gesicht, als er erneut versuchte, nach einem Schatten zu schnappen. Auch dieses mal war er zu langsam und er konnte nur die Flosse streichen. "Warum hilfst du nicht? Du bist doch Jägerin." Damit erntete er einen Stein an seinem Kopf. Kazuko schnaubte und wandte sich in Richtung Wald. Sie ignorierte den Blonden und ging auf die Bäume zu. "Ich gehe lieber Holz sammeln. Schließlich brauchen wir ein Feuer für unser Abendessen." Und kaum hatte sie ihren Satz beendet, so war sie auch im Gebüsch verschwunden.

Maro seufzte und versuchte erneut sein Glück. Es lag an ihm, ob die beiden heute etwas zu essen bekamen oder nicht. Darum holte er einmal tief Luft und konzentrierte sich starr auf jede Bewegung im Fluss. Dieses mal muss es klappen!

Immer und immer wieder griff er in das Wasser und nicht ein Fisch konnte der Mann fangen. Kazuko, die in Zwischenzeit zurück gekehrt war und ein Lagerfeuer angezündet hatte, konnte nur mit dem Kopf schütteln. Maro hatte aufgegeben und saß enttäuscht neben der Schwarzhaarigen. Die Sonne war am Untergehen.

"Du bist so ungeschickt!" Ihr Magen knurrte und sie blickte in die knisternden Flammen, so wie ihr Begleiter. "Wegen dir müssen wir hungern..." Darauf bekam sie keine Antwort. Stille legte sich über das kleine Camp der beiden und schon bald hörten sie, wie die Wölfe begannen zu heulen und jaulen. Der Wind wurde kühler und ohne das Feuer würden sie erfrieren.

Erneut knurrte es. Maro hatte ebenso großen Hunger. Sein schlechtes Gewissen plagte ihn. Doch seine Gedanken wurden unterbrochen, als plötzlich ein Platschen erklang. Verwirrt sah er vom Boden auf. Nur wenige Zentimeter vor dem Feuer lag ein Fisch, der nach Wasser schnappte. "Was?!" Kazuko hatte es auch gemerkt und erhob sich von ihrem Platz. Ein weiteres Platschen erklang und ein zweiter Fisch landete auf dem sandigen Untergrund.

Der Wind wurde kurz stärker und die beiden Reisenden blickten sich um. "Woher kommen die Fische?" Als die Frau ein Knacken vernahm, landete ihre Aufmerksamkeit auf einen nahestehenden Baum. Auf einem seiner Äste stand eine junge Frau. Doch statt sich zu erschrecken, verbeugten sich die beiden tief. "Aki-hime!"

Ihr weißer Kimono war mit goldenen Blüten verziert. Der weiße Hakama hingegen blieb schlicht, was durch die Tücher um ihre Hüfte ausgeglichen wurde. Gold, rot und blau. Diese Frau wirkte adelig. Ihre Schönheit war für einen Menschen unnatürlich.

"Esst. Morgen erreichen wir ein Dorf. Dort besorgen wir euch neue Kleider für den Herbst und Winter." Sie sprang von dem Ast. Im Mondlicht schimmerten ihre blauen Bemalungen im Gesicht. Die Dunkelhaarige war kein Mensch. Nein. Sie war ein Komainu. Ein Yôkai, der einst Tempel bewachte und nun die beiden Menschen vor sich schützte.

"Habt vielen Dank, Aki-hime!" Kazuko machte sich sofort daran, die Fische auf Stöcker zu spießen und sie nahe des Feuers zu stellen. Sie würden heute nicht hungern. Maro sah zu der Yôkai-Dame auf. Ihre grauen Augen fixierten den Blonden. Sie hatte sich an einen Baum gelehnt und beobachtete die beiden Menschen. Sie blieb solange stumm sitzen, bis die beiden sich schlafen legten und das Feuer erloschen war. Erst dann stand sie von ihrem Platz auf und ging auf die Mitte der Lichtung zu. Der Mond erhellte den ganzen Himmel.

"Du bist heute spät." Hinter der Yôkai stand ein Mann. Seine Erscheinung ebenso schön und göttlich. Sein weißer Yukata war mit blauen Ranken bestickt und die goldenen Haare schienen in der Dunkelheit zu leuchten. "Ich war in den südlichen Ländereien. Die Menschen brauchen Hilfe."

Shio, der kleine Bruder der Komainu, war oft getrennt von der Gruppe. Er war ein Miri. Ein stolzer Mondhase, dessen gutherziges Gemüt stets bedacht ist, Menschen in der Not zu helfen. Auch wenn er nur ihr Halbbruder war, so hatte Aki ihn bei sich aufgenommen und sah ihn als einen vollwertigen Teil ihrer Familie.

"Ich weiß. Ihm Osten ist es nicht anders. Der Winter wird hart werden." Aki sah, wie die Sterne um die Wette funkelten und den Himmel mit ihrem Leuchten verzierten. "Ich werde die beiden wahrscheinlich den Winter in einem Dorf lassen."

Shio gluckste. Mit einem Schnipsen ließ er Sternschnuppen fallen. "Wollen sie nicht lieber bleiben?" Er und Aki hatten die beiden Menschen vor wenigen Monaten in einem Dorf gefunden, welches von Dieben überfallen und zerstört worden war. Sie überlebten nur knapp. Es war ein Zufall, dass die Yôkai zu diesem Zeitpunkt das Dorf passiert hatten. Ohne zu zögern nahm Aki sie auf. Ihre Aufgabe war es nun mal, Menschen zu beschützen. Es war ihre Natur als Hund.

"Ich will nur nicht, dass sie uns wegsterben. Menschen sind so fragil." Sie kratzte sich hinter ihren spitzen Ohren und schnaubte. "Ich habe keine Lust, dass meine Kameraden wegen meiner Unachtsamkeit das Zeitliche segnen, noch bevor sie überhaupt mehrere Dekaden gelebt haben." Damit sprang sie hoch hinaus und überblickte den Wald. Ihr Bruder tat es ihr gleich. "Du bist ein guter Wachhund."

Knurren erfüllte die Nacht. "Du sollst mich nicht so nennen, du Hasenfuß."

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