Wieso braucht ein Schriftsteller eine eigene Stimme?

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Das ist eine verdammt gute Frage. Hm. Wo fangen wir jetzt an? Bestimmt hast du Lieblingsschriftsteller, die du liest, um genau diese zu lesen. Selbst dann, wenn sie zu einem Thema schreiben, das du nie von dir aus gesucht hättest. Aber die Stimme eines vertrauten Schriftstellers zu lesen ist so ähnlich, wie einen vertrauten alten Freund wiederzutreffen, meinetwegen auch nach langer Zeit. Du hast sofort das Gefühl nach Hause zu kommen und willst nur noch in dieses wohlig warme Gefühl eintauchen.

Ich selbst hab auch haufenweise Lieblingsschriftsteller, bei denen ich immer wieder ankomme und abtauche, weil ich weiß, dass ich mich auf ihren ganz persönliche Stil verlassen kann. Viele davon tummeln sich in der Weltliteratur, wie Honoré de Balzac, Nikolai Gogol oder Thomas Hardy. Manche hab ich aber auch zu lieben gelernt, weil sie »nicht professionell« sind und das sind Autoren, die ich auf Portalen wie diesem gefunden habe. Hm, was mein ich jetzt damit, ist das irgendwie eine Beschimpfung? Nö. Ganz im Gegenteil.

Ich liebe es, Autoren zu lesen, die einfach echt sind. Die schreiben, wie sie denken und fühlen, mit ihrer ganz eigenen Stimme. Ohne diesen Zensor im Kopf, der alles optimiert für einen professionalisierten Buchmarkt. Versteht mich jetzt nicht falsch, ich steh auch auf so Sachen wie Korrektorat und Lektorat, die sind richtig und wichtig und als Leser will man eben Qualität. Aber es gibt eine ganz bestimmte Qualität, die ich bei vielen zeitgenössischen Büchern einfach vermisse. Und diese Qualität ist eben das vertraute Gefühl, in die ureigene Sprache und Denkweise eines Schriftstellers eintauchen zu können. Was ich meine, ist schwer zu beschreiben. Goethe hätte es wohl umschrieben mit: »Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nie erjagen.«

Und ihr fühlt bestimmt, was ich meine. Wir könnten uns auch auf das gute alte Wort »Talent« einigen. Oder auf eins meiner neusten Hass-Wörter: Authentizität. Dieses Wort wird nämlich meistens von Leuten als Hashtag benutzt, die Marketing betreiben, also naturgemäß nicht authentisch sind. Aber in ihrem Ursprung ist Authentizität natürlich bombastisch.

Was mir aber immer wieder auffällt: Ich hab schon öfter Menschen jeden Alters in »Kreativem Schreiben« unterrichtet, obwohl ich nicht finde, dass man Kreativität unterrichten kann. Man kann sie rauskitzeln, aber sie zu unterrichten wäre so sinnvoll wie zu sagen: »Jetzt sei doch mal spontan!« - ein Paradoxon. Man kann entweder einer Aufforderung nachkommen oder spontan sein. Beides geht nicht. Ähnlich ist es mit der eigenen Stimme.

Aber ich erlebe immer wieder, dass Menschen verkrampfen und sich selbst Schranken verpassen, sobald sie etwas schreiben. Was völlig verständlich ist! Schließlich leben wir in einer Welt, in der wir von klein auf lernen, Dinge »richtig« zu machen. Und Schreiben bedeutet, sich so zu benehmen, dass unser Deutschlehrer es gutheißen würde. Mit hölzernen Sätzen, plakativen Figuren und Formulierungen, die wir niemals benutzen würden, wenn wir frei sprechen. Manche Menschen nehmen sogar unbewusst Haltung an, wenn sie schreiben wollen. Da kannst du zugucken, wie die Nackenmuskeln sich verspannen, ohne Witz. Aber mal ehrlich: Wie soll denn da was fließen? Wie willst du denn mitreißend erzählen, wenn du dir selbst eine mentale Krawatte anziehst, bevor du in deine eigene Geschichte eintauchst?

Und genau dieses Zähnchen versuche ich immer, den Menschen zu ziehen, mit denen ich an ihren Texten arbeite. Versuche nicht zu schreiben »wie«. Wie irgendjemand anders. Versuche nicht, so zu schreiben, dass es deinen alten Deutschlehrer oder deine Mutter oder Lektoren beeindrucken würde. Fräs dich durch ganze Stapel von »ultimativen« Schreibratgebern und verschlinge meinetwegen alles, was du zum Thema »Kreatives Schreiben« finden kannst. Aber tu das in dem Bewusstsein, dass du der Chef bist. Du entscheidest, was und wie du es erzählen willst. Erwarte keine Wunder und erwarte genau das: ein Wunder. Denn solange du »alles richtig« machen willst, schreibst du mit angezogener Bremse. Du stehst neben dir wie ein unsichtbarer Chef, der dir auf die Finger guckt, um dich einer Leistungskontrolle zu unterziehen. Kreativität und Kontrolle passen aber nicht zusammen.

Erzähle das, was du erzählen willst. In der Sprache, die völlig natürlich aus dir herausfließt, wenn der Flow dich mitreißt. Vergiss alle Tipps, die dich einengen, auch meine. Ich erzähl dir hier nur, wie ich arbeite, was mich dahin gebracht hat und wie ich gelernt habe, die spitzen Bemerkungen von Leuten, die wissen wollen, ob ich überhaupt eine »richtige« Autorin bin, an mir abperlen zu lassen wie eine Ente das Regenwasser.

Wenn du deine kostbare Lebenszeit damit verbringst, das hier freiwillig zu lesen, gehe ich mal schwer davon aus, dass du »es« hast. Dieses magische Talent, dass dich immer wieder an den Schreibtisch peitscht. Diese Erzählerstimme in deinem Kopf, die sich nicht abstellen lässt und alles, einfach alles, kommentiert. Diesen unruhigen Geist, der erst für einen Moment Ruhe findet, wenn er ein Thema durchdrungen, verstanden und als Geschichte wieder ausgespuckt hat. Bis ein neues Thema auftaucht.

Du hast es. Ich vertrau dir da völlig. Du hast deine ganz eigene Stimme, mit der du Menschen faszinieren kannst. Du brauchst nur Mut und Übung. Was mich da so sicher macht? Ganz einfach: Du würdest doch niemals kostbare Lebenszeit darauf verwenden, dich hier durch mein wirres Gefasel zu fräsen, wenn du nicht eine Schreiberseele wärst, die alles, was irgendwie mit Schreiben zu tun hat, aufsaugt wie ein vertrockneter Schwamm. Wir müssen dir nur die Krawatte abnehmen, die dich dazu bringt, so zu schreiben, als würde dein alter Deutschlehrer hinter dir stehen und dir über die Schulter gucken. Das ist wie bei der Skulptur, die in den riesigen Marmorbrocken schon drin ist. Wir müssen nur wegmeißeln, was nicht dazugehört. Fangen wir einfach mal damit an, dass wir uns im nächsten Kapitel die Schritte von der Imitation zur Innovation ansehen.

Kreatives Schreiben: Finde deine eigene Stimme!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt