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Ich fühle mich so leer, so zerbrochen und allein. Unendlich allein. Für den Moment sind die Tränen versiegt und doch kann ich sie hinter meinen Augenlidern bereits wieder brennen spüren, obwohl ich die ganze Nacht durchgeweint habe. Es grenzt an ein Wunder, dass ich es am Vorabend noch nach Hause in mein Bett geschafft habe. Ich weiß nicht, wie viel Zeit seitdem vergangen ist. Nur, dass es irgendwann draußen wieder hell geworden ist und meine Mutter zuerst zum Frühstück und später zum Mittagessen gerufen hat. Wahrscheinlich denkt sie, dass ich immer noch schlafe, oder gar nicht erst nach Hause gekommen bin, aber das ist mir egal.

Seit Stunden habe ich mich kein bisschen gerührt, liege nach wie vor hier und starre stumpf auf die Pinnwand über meinem Bett. Zwischen all den Bildern von meiner Familie und meinen Freunden ist er. Grinst mir glücklich entgegen, während er den einen Arm um mich und den anderen um seine Schwester gelegt hat und hinter uns eine Achterbahn in die Tiefe saust. 

Erneut schießen mir Tränen in die Augen, während mich sein Anblick in einen Strudel voller Erinnerungen zieht:

Einmal mehr versinke ich in dem warmen Blick seiner kristallblauen Augen. Spüre, wie er mir sanft eine Haarsträhne hinters Ohr klemmt. Wie seine Stirn gegen meine sinkt, bevor seine Lippen mich zärtlich küssen. Wie ich in seiner beschützenden Umarmung liege, seinen berauschenden Duft einatme und seinem Herzschlag lausche, der kraftvoll in meinem Takt schlägt.

Und parallel zu den Szenen höre ich immer wieder seine samtige Stimme: "Was machst du mit mir?" "Egal, wo wir uns auf der Erde befinden, wir alle schauen hinauf zu den gleichen Sternen." "Das hier ist nicht das Ende sondern der Anfang, Baby."

Leise Tränen laufen mir die Wangen hinunter. Erst quälend langsam und dann immer schneller, während mein Herz aufs Neue zerreißt. Durch den Tränenschleier hindurch blicke ich auf den Liebesbrief in meinen leblosen Händen. Ich muss die Worte nicht lesen können, um zu wissen, was darin steht. Denn mittlerweile kenne ich sie in und auswendig: 

Liebe Emma,

du weißt, dass ich nicht so gut mit Worten umgehen kann, wie all deine Autoren, deshalb lasse ich lieber andere für mich sprechen:

"Lass mich das Kissen sein, auf den du deinen Kopf legst,

die Decke, die dich wärmt, wenn du schläfst

- und der Sonnenstrahl, der dich wach küssen darf."

Du fehlst mir schon jetzt.

Dein Basti

Zum Teufel mit seinen leeren Worten! Zum Teufel mit ihm! Wütend knülle ich den Zettel zusammen und schleudere ihn quer durch den Raum. Soll er sich doch wieder von seiner Sylvie um den Finger wickeln lassen! Es ist mir scheißegal! Genauso scheißegal wie es mir ist, ob sie gestern bei ihm übernachtet hat oder was sie da so lange getrieben haben! 

Und dann brechen erneut alle Dämme in mir. Und eine Sturzflut von Sehnsucht, Selbstmitleid und Tränen erfasst mich. Auch der Schmerz in meiner Brust wird wieder stärker. Warum zerspringt mein Herz nicht einfach auf einen Schlag in eine Handvoll saubere Scherben? Warum fühlt es sich so an, als lässt es sich lieber unendlich Zeit dabei, die alten Wunden wieder und wieder aufzureißen, neue hinzuzufügen und Salz hinein zu streuen? Ich krümme mich unter der Bettdecke zusammen und umschlinge meine angezogenen Knie in dem Versuch, alles zusammenzuhalten. Vergeblich.

 Wie hatte ich erneut so naiv sein können? 

Das zwischen uns beiden hat sich so echt angefühlt. Doch offensichtlich bedeutet Sylvie ihm noch etwas. Und statt Basti auf meine Bedenken hinsichtlich ihr anzusprechen, habe ich sie aus lauter Angst lieber verdrängt, um ein Stück länger träumen zu können. 

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