Kapitel 3

680 62 6
                                    

29.01.2015, Donnerstag

es gibt nicht viel zu erzählen. Und das, was es zu erzählen gibt, ist nicht besonders unterhaltsam. Louis liegt immer noch wie ein Toter im Bett, die Verwandlung fängt jetzt langsam an. Er hat sich heute bewegt, geschrien und gezappelt. Es tut so weh, das mit ansehen zu müssen, immer wieder muss ich daran denken, wie es für mich war - und bei mir war es ein Monat. Am Liebsten will ich ihm helfen, aber soll ich es tun? Soll ich den Schmerz wirklich auf mich nehmen? Ich würde es sofort tun - keine Frage. Aber was mir Bedenken bereitet, ist, dass er trotzdem nicht aufwachen würde - und das ist es, was ich will. Oder? Und ich habe Schuldgefühle. Ich habe ihm gesagt, meine Eltern wären umgebracht worden, was so ja auch stimmt. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Wenn ich daran zurückdenke, kommen mir die Tränen und ich will es mit allen Mitteln vermeiden. Doch es geht nicht, und das bringt mich innerlich um.

Harry xx

Als Harry den Stift weglegte, rollte ihm eine Träne über die Wange, hastig wischte er sie weg und blickte wieder zu Lou. Wie er da lag, so kraftlos und klein. Harrys Herz schmerzte, er krümmte sich zusammen und versuchte, sich auf schöne Dinge zu konzentrieren. Er wusste, dass gleich ein Anfall folgen würde, und bereitete sich innerlich darauf vor. Kurz darauf zuckte er auch schon zusammen und Schmerzenssignale durchzuckten seinen Körper und schienen ihn zu durchlöchern wie Schweizer Käse. Ein unterdrücktes Stöhnen kam ihm über die Lippen und er biss sich fest auf die Lippe. Seine Augen waren zusammengepresst und er zitterte unregelmäßig. Bald ist es vorbei, dachte er sich und wartete noch ein paar Minuten. Langsam entspannten sich seine strapazierten Nerven und der Schmerz ebbte ab. Seine grünen Augen waren feucht vom Weinen des Schmerzes, wie immer. Er fragte sich, wann die Anfälle weggehen würden.

Schmerzlich lächelnd nahm er Louis´ kleine Hand in seine und sah, dass sie perfekt ineinander passten. Harrys war groß, Louis klein. Ein echtes Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen, und diesmal bildeten sich Grübchen in den Backen. Seine Mutter hatte immer gesagt: 'Deine Grübschen sind so weich wie dein Bauch, so lieb wie dein Charakter und so wundervoll wie dein Herz.'  Immer wenn sie das gesagt hatte, hatte Harry Tränen in den Augen bekommen und sie ganz fest an sich gedrückt. Immer. Bis er verwandelt wurde und sich nicht beherrschen konnte. Fest biss er sich auf die Faust und wartete, bis er sich wieder beruhigt hatte. Währenddessen lag Louis nur da und bekam nichts mit.

30.01.2015, Freitag,

warum dauert es so lange? Es sind mittlerweile schon drei Tage vergangen - ich weiß, dass das wenig ist. Aber es tut so weh, zu wissen, dass man jemanden haben könnte, den man liebt, und nicht alleine in einer Hütte herumzugammeln und Tagebucheinträge zu schreiben. Ich hatte heute Nacht wieder einen Anfall, schlimmer als je zuvor. Wann geht es endlich weg? Mit der Zeit werde ich immer kraftloser und werde irgendwann so schwach sein, dass ich nicht mal mehr mein Essen besorgen kann. Wenn das eintritt, will ich sterben. Eigentlich will ich auch jetzt sterben, aber ich kann nicht. Ich muss für Lou da sein. Was würde er denken, wenn er aufwacht und ich nicht da bin? Und ich glaube nicht, dass ich es schaffen würde, Selbstmord zu begehen - auch wenn es nur zehn Minuten dauert. Der Schmerz ist das Schlimmste, was es gibt - nicht einmal der Schmerz des Anfalls kommt an ihn heran. Man hält das nicht so lange aus, dass man immer noch sterben will. Dafür ist der Preis zu hoch.

Harry xx

Flying high to vampire LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt