11. Kapitel

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Ich folgte dir durch den Mischwald und mir fiel immer mehr auf, dass du mich wirklich nicht zu erkennen schienst. So vieles deutete darauf hin. Du behandeltest mich wie eine Fremde, wirktest misstrauisch und mustertest mich, als würdest du mich nicht kennen. 

Lag es daran, dass mein Fell jetzt nicht mehr komplett braun war? 
Oder daran, dass ich aufgrund der Nächte weit weg von meinem ehemaligen Clan nicht mehr so stark nach LaubClan roch? 
Oder lag es einfach daran, dass du die Zeit bei uns verdrängt hattest? Dich nicht mehr daran erinnern wolltest?

Vielleicht lag es daran. Oder, weil ich nicht mehr ganz so selbstbewusst auftrat. Ich war nie besonders selbstsicher und vorlaut gewesen, meine Taktik war eher, die Katzen erst kennenzulernen und einfach schüchtern zu sein. Doch trotzdem hätte ich mich wohl nicht vor dir her stoßen lassen und wäre nicht mit angelegten Ohren und leicht gebückter Körperhaltung gelaufen, weil ich mich vor deinem neuen Ich fürchtete. Weil ich dich nicht einschätzen konnte, nicht wusste, was du tun würdest, wenn ich etwas falsch machen würde. Du kanntest mich nicht. Oder du tatst nur so. Ich wusste es nicht. 

Du hast mich damals plötzlich am Nackenfell zurückgezogen und vor dir abgesetzt, als wäre ich ein kleines Junges. 

"Benimm dich. Du bist erstmal nur ein Neuankömmling", hast du gesagt und ich habe dich erstmal verdutzt angeguckt, bevor ich genickt habe und du mich zwischen ein paar Büschen hindurch auf eine große Lichtung gezogen hast. Ich wollte stehenbleiben und mich kurz umblicken, doch du hast mich einfach weiter in die Mitte des Lagers, das anscheinend dir gehörte, geschoben und ein Jaulen ausgestoßen. 

Sofort sind zwei Kater aus den aus Büschen bestehenden Bauen gekommen und haben sich genähert. Den einen erkannte ich sofort; es war Kratzer, der entspannt angelaufen kam, aber auch nicht zu wissen schien, wer ich war. Hatte ich denn so wenig Wiedererkennungswert? 

Der andere Kater hatte graues Fell und kam zähnefletschend herangeeilt. Sein Blick huschte immer wieder zu dir herüber und wenn ich mich nicht täuschte, versuchte er nur, dir mit seiner Einstellung zu gefallen. Sehr sympathisch. Hatte ich nicht letztens ein Fellbüschel von ihm in einem Busch hängen sehen? 

"Lilie wird sich uns anschließen, ihren Rang werde ich später noch festlegen", hast du verkündet und mir von hinten leicht auf den Rücken gedrückt, sodass meine Körperhaltung nicht mehr ganz so aufrecht war, ich habe es geschehen lassen. 

"Sie riecht nach Clan", murmelte der Graue und schnüffelte kurz an mir, bevor er zurücktrat. 

"Ich war eine Einzelläuferin", log ich notgedrungen und fühlte mich so schlecht, dass ich meine Herkunft leugnete. Meine Familie. Doch es ging nicht anders. Er schien so aggressiv! 

"Red keinen Unsinn, Fels!", fügtest du ebenfalls hinzu, vermutlich, um deinen Einfluss zu stärken. Es war klar, dass man dir noch nicht komplett gehorchte. Kratzer sowieso, aber der Andere? Anscheinend nicht ganz, auch, wenn er dir gefallen wollte. 

Immerhin wusste ich nun den Namen des anderen Katers. Fels. Das passte zu ihm. Felsen waren ebenso grau wie seine Augen und sein Pelz. 

Kratzer schien mich nachdenklich zu mustern, etwas in seinen Augen hatte sich verändert. Vielleicht hatte er es endlich verstanden? Vermutlich nicht, denn er sagte nichts. Vielleicht verschwieg er es den anderen auch einfach. 

"Fels, du wirst Lilie herumführen", hast du damals schließlich angeordnet und Fels ist zügig losgetappt, während ich erstmal aufholen musste.
Doch er ist immer dann schneller gegangen und hat weniger gesagt, wenn ich ihn fast eingeholt hatte, also gab ich es irgendwann einfach auf und lief hinter ihm her.
Es kam mir so erniedrigend vor, doch ich wusste, dass du - Blutfänger - uns auch beobachtetest; wahrscheinlich, um uns zu prüfen und uns einschätzen zu können. Vielleicht war es vorerst einfach die bessere Lösung, sich unterwürfig und unauffällig zu verhalten. Vielleicht hatte ich ja auch bald die Möglichkeit, dich abzupassen und ein klärendes Gespräch zu führen. 

Nachdem Fels mir die Baue gezeigt und dann recht schnell aus meinem Blickfeld verschwunden war, sah ich mich noch einmal alleine um. Es schien nicht so, als wäre hier ein aufgefüllter Frischbeutehaufen. 
Es war so ungewohnt. Aber vermutlich lohnte sich das auch gar nicht, bei drei Katzen - oder jetzt vier. 

Plötzlich wurde ich von dir angetippt und ich fuhr zu dir herum. Du sahst mich mit nahezu versteinertem Gesichtsausdruck an und bedeutetest mir mit einem Winken deines Schweifs, dir zu folgen, was ich auch tat. 

Du führtest mich wieder zur Mitte der Lichtung und sprangst auf einen hohen Stein, der mir zuvor gar nicht aufgefallen war. Vielleicht, weil ich nur auf dich und auf die Anderen geachtet hatte. 

"Lilie. Du wirst den Rang einer Soldatin einnehmen. Doch zuerst musst du einen Schwur leisten."

Fels und Kratzer sahen mich erwartungsvoll und teils abschätzig an, doch ich achtete nicht darauf. Was für ein komischer Brauch - ein Schwur. Aber war das nicht auch das, was wir auch leisten mussten, wenn wir Krieger werden wollten? 

"Sprich mir nach: 
Ich schwöre, den Reißern treu zu sein und immer für Beute und Mitglieder zu sorgen. Ich werde alles geben, um ihnen und meinem Anführer die Macht zu geben, die ihnen zusteht!"
, wiest du mich an. 

Ein komischer Schwur - genau wie der Brauch. Und irgendwie fantasielos. Doch ich tat, was du verlangest. Etwas unsicher wiederholte ich das Gesagte und du sprangst wieder zu mir herunter. 

"Sehr gut. Dann wirst du ab heute eine Soldatin der Reißer sein - bis du dich bewiesen hast, unter Kratzer und Fels."

Du nicktest mir zu und ich versuchte, meine Verwirrung zu verbergen. Warum unter Kratzer und Fels? Ich war doch auch eine Soldatin! War das nicht so etwas Ähnliches wie Krieger?

Es tat weh, dich so zu sehen. So bemüht emotionslos. So auf Macht erpicht, als würde sie dir dein ganzes Leben schön machen. Tat sie das nicht auch? In gewisser Weise? 
Aber für mich war das trotzdem keine Entschuldigung. Ich wollte dich zurück, ich wollte Royal  zurück - und nicht Blutfänger. 

Den Royal, der mich einmal angegrinst und "Vielleicht, vielleicht, Fischteich", zu mir gesagt hatte. 
Den Royal, der immer so nett zu mir gewesen war, dessen Lächeln mehr war als alle Rufe meiner Clangefährten zusammen. 
Dem ich bis über die Grenze und noch weiter gefolgt war, nur, weil er weggegangen war und er mich anzog wie ein Magnet. 

Den ich so schrecklich vermisste. 

Warrior Cats - Als du kamstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt