1. Kapitel

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Ich wünschte, du hättest damals einen anderen Zeitpunkt gewählt. Es wäre besser gewesen. Und es hätte mein Leben nicht einfach ruiniert. 

Ich war Schülerin, damals. Lilienpfote hieß ich. Ich mochte meinen Namen, denn er war schön - und ich mochte Lilien. Ich mag sie eigentlich immer noch. 

Ich weiß noch, dass ich gerade mit Himbeersturm kämpfen geübt habe, denn meine Schwester war ziemlich ehrgeizig. Sie wollte immer die Beste sein, in allem - im Kämpfen, im Jagen, im Klettern, im Rennen. Eben in Allem. Und das war sie auch meistens - und das war wohl auch der Grund dafür, dass sie vor uns Kriegerin geworden ist, obwohl sie genauso alt war, wie Lockenpfote, Kleepfote und ich. Ihre Zeremonie war ein Tag vorher gewesen. 

Manchmal waren wir auch genervt davon. Immer war sie es, die nach Lob verlangte, immer musste sie einfach alles machen, um besser in etwas zu sein als wir. Und oft wollte sie auch mit uns trainieren, um besser zu werden. Aber trotzdem war Himbeersturm eine gute Freundin und Schwester, und sie hatte ja auch einen Konkurrenten: Strömpfote.

Strömpfote war ähnlich. Er war schon immer schwierig und störrisch gewesen und widersprach Himbeersturm ständig, aber er konnte auch nett sein. Wenn er wollte. Und das hatte er wahrlich nicht oft getan. 

Gerade verpasste die drahtige braune Kätzin mir einen gezielten Schlag an den Kopf und ich taumelte stöhnend zur Seite. Kämpfen war nicht so richtig mein Ding, ich konnte es zwar einigermaßen, aber ich war auch nicht gerade die Beste, nein: Das war ja Himbeersturm. Die meisten älteren Krieger kämpften sicher besser, aber mein Kopf zählte sie irgendwie immer noch zu den Schülern, was es das anging. 

Ohne darauf zu warten, dass ich mich wieder erholte, rammte sie mich in die Seite und ich wurde in den Staub geschleudert. Sie war einfach besser als ich. Schon spürte ich ihre starken Pfoten auf meinem Rücken und ich konnte mich nicht mehr rühren. So lief unser Kampftraining eigentlich immer ab. 

"Ich ergebe mich", flüsterte ich resigniert und Himbeersturm gab mich frei, hastig rappelte ich mich auf. Plötzlich merkte ich, dass es still geworden war. 

Kurz schüttelte ich mich, um den Staub in meinem dichten Pelz loszuwerden, dann richtete ich meinen Blick auf den Lagereingang. Und da standst du.

Schon im ersten Moment, als ich dich sah, wusste ich, dass du anders warst. Ich war mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht war, aber du hattest etwas an dir, was mich irgendwie faszinierte. Vielleicht war es die Tatsache, dass du so verzweifelt aussahst, aber trotzdem Macht ausstrahltest? Ich hätte mich einfach nie für dich interessieren sollen, das wäre wohl besser gewesen. 

Ein Jaulen tönte über die Lichtung, und mit Erstaunen habe ich damals gemerkt, dass du das gewesen bist. 

"Kann uns irgendwer helfen? Unser Freund ist krank und wir wissen nicht, wie wir ihm helfen sollen!"

Du hast uns flehend angeblickt und auf einmal ist mir aufgefallen, dass dein Augenmerk auf mir lag; Aus deinen bernsteinfarbenen Augen hast du mich angeblickt und irgendetwas an diesem Ausdruck war anders. Als würdest du etwas von mir erwarten.

"Minzbart...?", murmelte ich den Namen unseres Heilers und meine Clangefährten nickten zustimmend. Minzbart würde helfen können. 

"Tragt ihn in meinen Bau!", rief der junge Heiler, der schon angestürmt kam und vorsichtig half, den grauen Kater mit dem struppigen, ungepflegten Fell von dem Rücken des Braunen in den Heilerbau zu transportieren. Sogar aus einigen Katzenlängen Entfernung konnte ich sehen, dass die grünen Augen des Kranken stumpf und glasig waren, der Glanz, der ihnen wahrscheinlich mal inne gewohnt hatte, war nicht mehr da.

Eine Schildpatt-Kätzin trat aus dem Anführerbau und schritt mit hoch erhobenem Schweif und funkelnden Augen auf die Streuner zu: Regenstern, unsere Anführerin.

"Was ist hier los?"

"Seid gegrüßt", du neigtest nun endlich grüßend den Kopf, "Unser Freund ist krank und braucht Hilfe, der schwarze Kater hat ihn in den Bau da drüben gebracht."  Du hast mit dem Schweif auf den Heilerbau gedeutet und ich glaube, du warst eigentlich genauso groß wie Regenstern, aber ich habe genau gesehen, wie du dich leicht geduckt hast. Als hättest du jemals Respekt vor unserer Anführerin gehabt. 

"Minzbart. Gut."  Regenstern nickte und zuckte nachdenklich mit den Ohren. "Wollt ihr bei uns bleiben, bis euer Freund wieder gesund ist?"

Sichtlich erleichtert über dieses Angebot hast du genickt, ein Schnurren konntest du auch nicht unterdrücken.

"Vielen Dank für diese Gastfreundschaft, wir nehmen das Angebot gerne an", hast du geantwortet und der Kater neben dir hat zustimmend genickt.

"Das ist doch selbstverständlich. Wir helfen gerne. Einer der Schüler wird euch herumführen und euch euren Schlafplatz zeigen." 

Mitleid schwang in Regensterns Stimme mit, als sie das sagte, und nicht gerade zu meiner Überraschung konnte ich einen Funken Wachsamkeit in ihren zu Schlitzen verengten Augen sehen. Wenn sie euch misstraute, warum durftet ihr dann in unserem Lager verweilen?

Die Krieger schienen Regensterns Meinung zu teilen, denn sie machten alle Platz, sodass sie ein wenig Abstand hielten und erkennbar war, dass wir  die Schüler waren. Himbeersturm und ich blickten uns an und mir war sofort klar, wer euch herumführen würde. 

"Ich muss noch zur Jagdpatrouille", erklärte die schlanke Kätzin und ich nickte nur, während ich ein Seufzen unterdrückte. Sie hatte gar nicht erst erwähnen müssen, dass sie ja schon Kriegerin war. 

Meine Schwester strich mir noch einmal aufmunternd mit dem Schweif über die Schulter, dann machte sie sich auf den Weg zu Rillenschweif, ihrem ehemaligen Mentor und zweiten Anführer. 

Ich schluckte, als ihr mich entdecktet und auf mich zukamt. Sollte ich euch jetzt wirklich herumführen? Ihr wart Fremde, ich kannte euch nicht. Ihr würdet mir sicher Fragen stellen. Was, wenn ich zu viel verriet? Wenn ich euch Dinge erzählte, von denen ihr nichts wissen solltet?

Nervös wartete ich, bis ihr vor mir standet und kurz nahm ich mir Zeit, euch erstmal anzuschauen. Prüfend musterte habe ich euch gemustert und mich gefragt, ob ihr nett seid oder doch eher unfreundlich.  

Heute wünsche ich mir, ich hätte euch damals nicht so genau angeschaut. Vielleicht wäre es dann alles nicht passiert. Vielleicht hätte ich mir dann einfach gedacht, ja, das sind Streuner, Punkt. Doch das Schicksal schien es damals anders zu wollen... 

Als ich euch ansah, stach mir sofort die Farbe deines mittellangen Fells ins Auge. Es war leuchtend rot, nicht feuerrot, sondern ein bisschen dunkler. Blutrot. Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich konzentrierte mich, um den Blick nicht abwenden zu müssen. Klare, bernsteinfarbene Augen, aus denen ich Neugier und Sorge herauslesen konnte.
Heute frage ich mich, ob das wirklich deine Gefühle waren oder ob du mir sie so zeigen wolltest

Dein Freund sah äußerlich schon netter aus. Er hatte braunes Fell, das mit kreisförmigen schwarzen Flecken übersäht war und bernsteinfarbene Augen, die ähnliche Gefühle zeigten wie du: Sorge und vielleicht auch ein klein wenig Neugier, die aber von der Erleichterung verdeckt wurde. Du warst ernsthafter als er, das war klar. War das jetzt gut oder schlecht?

"Ich bin Royal, und das ist Kratzer. Wie heißt du?"

Deine Worte ließen die Gedanken und Fragen in mir verpuffen und sofort fokussierte ich mich wieder auf euch, hoffentlich war ich nicht so rot, wie mein Gesicht sich heiß anfühlte. Verlegen scharrte ich mit meiner Pfote im Boden. 

Deine Stimme war warm, so sanft. Keinerlei Ungeduld oder dergleichen. Du schienst nur aus Ruhe und Wärme zu bestehen und mein Bauch fing an zu kribbeln. Was war das denn?

"Ich... bin Lilienpfote", habe ich leise zu dir gesagt und die Blicke auf mir ruhen gespürt. Habe ich mich denn so seltsam benommen, damals? Vielleicht. 

Ihr saht mich abwartend an und ich winkte unsicher mit dem Schweif. Los geht's. 

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Sooooo. :D
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