6. Kapitel

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"Royal, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?", hat Regenstern kühl gefragt und die Krieger, die dich flankierten, haben dich anklagend angeknurrt, während du nur den Kopf hobst und der Schildpattkätzin in die Augen sahst. 

"Ich habe nichts getan, was mir vorgeworfen werden kann."

"Da liegst du leider falsch", entgegnete Regenstern eisig, "Du hast nämlich gerade ein unschuldiges Junges getötet und eine Königin schwer verletzt. Bringt ihn in den Ältestenbau, Fichtenfuß, Rosenpelz - Reisigmaul, du hältst Wache."

Die angesprochenen Katzen nickten grimmig und Fichtenfuß und Rosenpelz haben dich aus dem Bau gestoßen, während Himbeersturm von einem besorgten Vater namens Flauschpelz in den Heilerbau getragen wurde, damit Minzbart sie versorgen konnte. Soweit ich es verstanden hatte, war die Halsschlagader nicht erwischt worden, weswegen Himbeersturm eine Chance hatte, zu überleben, wenn sie nicht gerade verblutete. 

Ich konnte nicht hinsehen, als meine Schwester an mir vorbei kam. Ich habe damals gedacht, es wäre alles meine Schuld. Ich hätte Alarm schlagen sollen, hätte dich verraten sollen. Aber weiß, ob ich das überlebt hätte, und es wäre so falsch gewesen, so schrecklich falsch - Verrät man seine Liebe in so einem Fall? Wen nimmt man, Schwester oder Liebe? Ich weiß es nicht, aber ich bin mir sicher, dass mich damals keins von beidem glücklich gemacht hätte, weil du so oder so weitergemacht hättest. Und hätte ich den Tod meiner Schwester und ihrer Jungen mit meinem Gewissen vereinbaren können? Sicher nicht. 

Du warst wütend. Enttäuscht. Und man hatte ja gesehen, wohin das führte. 
Zu Toden und Verletzten. 

Voller Kummer bin ich schließlich aus der Kinderstube geschlurft und wurde sogleich von Mondkristall aufgehalten, die mich warm betrachtete. 

"Geh schonmal in den Kriegerbau und schlaf, Liliensee. Ich sage Lockenreif und Kleefall noch, dass sie das auch tun sollen. Ihr habt euren Dienst erfüllt und den Clan beschützt, vor allem du."

Ich nickte nur und änderte wortlos die Richtung. Sie hatte nicht gesehen, was in mir passierte. Das war doch eigentlich gut, oder nicht? Ich war mir nicht sicher. Ich konnte gar keinen richtigen Gedanken fassen, mein Kopf nahm die Sinneseindrücke gar nicht richtig an, jedenfalls kam es mir so vor. Fühlt es sich so an, wenn die Enttäuschung größer ist als die Hoffnung? Bin ich gerade dabei, zu verlieren? Du bist doch noch da, jedenfalls physisch. Du sitzt vermutlich gerade im Ältestenbau, der zum Gefangenenbau umfunktioniert wurde und denkst hoffentlich darüber nach, was du getan hast. 

Und ich hoffe so sehr, dass du dich entschuldigst, dass alles nur ein Albtraum war und alles so ist wie vorher. Ich will diese Wendung in meinem Leben nicht, ich will nicht, dass du dich veränderst. 

Aber was brachte mir Schlafen jetzt? Es änderte doch auch nichts daran, dass du ein unschuldiges Junges kaltblütig ermordet hattest und ich gerade in einem Sumpf aus Alpträumen versank. 

Ein langgezogener Seufzer entwich mir, als mir auffiel, dass ich noch Moos für mein neues Nest brauchte. Oder vielleicht doch nicht? Es gab noch eine andere Möglichkeit. 

Ich bin so faul geworden, ist mir damals durch den Kopf geschossen, als ich im Schutze der schon schwindenden Dunkelheit mussmutig mein zum Glück erst kürzlich erneuertes Nest aus dem Schülerbau gezogen habe. Dabei habe ich Reisigmaul schon in wachsamer Körperhaltung vor dem Ältestenbau stehen sehen und erneut stieg Bitterkeit in mir auf, der Klumpfen in meinem Hals schien immer dicker und größer zu werden. 

Wohl eher Gefangenenbau, raunte mir eine Stimme in meinem Inneren zu und ich konnte ihr leider nur zustimmen. Ich war zwar noch nie in so einer Situation gewesen, dass wir einen Mörder im Lager hatten, doch genau deswegen hatte ich damals das Recht, so eine Methode zu hinterfragen, finde ich. Und ich hätte dadurch eigentlich auch erkennen müssen, dass es am Besten gewesen wäre, dich einfach zu töten, als wir die Chance dazu hatten. So vieles wäre nicht passiert... 

Ich habe das Nest hinter mir her in den Kriegerbau gezogen, es einfach irgendwo an dem Rand des Baus abgelegt, wo noch Platz war, und mich seufzend hineinfallen lassen. Der Geruch des alten, aber doch auch angenehm nach Wald riechenden Mooses stieg mir in die Nase und ließ das Lager trotz der Umstände vertraut wirken. War das Heimat? Ich glaube schon. 

Das war also der Platz, der mir als frischernannte Kriegerin zustand. War das nicht eigentlich ziemlich unfair? Ich meine, wir waren doch die jüngsten und damit auch fittesten Krieger des Clans. Da sollten wir doch auch den besten Platz bekommen, oder nicht? 

Du hast die Prüfung nur knapp bestanden und außerdem haben die älteren Krieger mehr Erfahrung und haben mehr geleistet, ermahnte ich mich selbst in Gedanken und ich spürte die Streifen-Zeichnung auf meiner Stirn unangenehm pochen. Ich hasste die orange-braunen Streifen auf meiner Stirn, die wie eine Federkrone nach außen gingen und mich wie die arrogante Angeberin aussehen ließen, als die ich mich auch fühlte, wenn ich an unsere Rollenspiele als Junges dachte. 

Neben mir hörte ich das leise Atmen meiner Clangefährten, die meisten von ihnen hatten sich schon wieder schlafen gelegt. Hatte Mondkristall nicht gesagt, ich sollte das auch tun? Ich musste meine Gedanken ausschalten, sonst würde ich niemals einschlafen. Krampfhaft versuchte ich, an etwas Schönes zu denken und tatsächlich fiel ich bald in einen unruhigen Schlaf. 

Ich erinnere mich noch genau an diesen grässlichen Traum. Du auch? Ich glaube, ich habe dir mal davon erzählt. Aber wenn nicht... Vielleicht hörst du mich ja gerade, irgendwo da oben. 

Ich habe dich gesehen. Überall waren kämpfende Katzen und du hast jemanden zu Boden gedrückt, aber ich konnte nicht sehen, wen. Ich roch Blut, ich schmeckte Blut, ich sah Blut. Blut. Blut... 

Ich habe geschrien, als ich aufgewacht bin. Einige Krieger blinzelten müde und sahen mich alarmiert an, doch ich starrte nur durch den Eingang auf einen undefinierbaren Punkt da draußen und nach einigen Sekunden war wieder nur leises Schnarchen zu hören, eine Eule schrie. 

Ich hätte dich damals einfach nur aus meiner Welt verbannen und dich vergessen sollen. 

Warrior Cats - Als du kamstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt