Alte Gespenster lauern schon

6 1 4
                                    

Sof lässt mir den Freiraum, den ich benötige. Sie behandelt mich ganz normal, so wie immer und wartet geduldig, dass ich ihr erzähle, wie das alles angefangen hat und warum ich nicht mit ihr reden konnte.
Heute ist Samstag und wir haben uns zum Lernen verabredet, da nächste Woche noch ein paar Tests anstehen, bevor wir zwei Wochen Herbstferien haben. Ich habe Sofia gebeten schon vormittags zu kommen, zum einen, dass wir genug Zeit für den ganzen Stoff haben, zum Anderen, dass ich ihr endlich erzählen kann, was los ist und welche Gefühle tief in mir drin schlummern und nur manchmal zum Vorschein kommen.

Es klingelt, gerade mal 9.30 Uhr. Sie scheint zu wissen, dass es nicht nur wegen des Lernens ist, dass sie so früh her kommen sollte. Ich öffne die Tür.
"Hey", begrüße ich sie schüchtern. Wir umarmen uns und gehen direkt in mein Zimmer.
"Womit wollen wir denn anfangen?", fragt Sof und ich weiß genau, dass sie nicht nach den unterschiedlichen Fächern fragt.
"Mit dem Schwierigsten zu erst?", stelle ich ihr eher eine Gegenfrage, als wirklich eine Antwort zu geben. Sie nickt und legt ihre Schultasche beiseite. Wir setzen uns auf mein Bett und ich beginne zu erzählen.

"Es sind eigentlich viele verschiedene Sachen", beginne ich. "Das habe ich mir schon gedacht", nickt sie zustimmend. "Fang an, wo immer du willst."
Ich entschließe ihr von der 6. Klasse zu erzählen.

"Wir sind gerade umgezogen, da mein Dad uns, wie du weißt einfach so verlassen hat, ohne je irgendwas gesagt zu haben. Er war einfach weg. In der Schule wurde ich dann gemobbt. Meine Freunde, nun, die Leute, von denen ich dachte, dass sie meine Freunde sind, haben hinter meinem Rücken schlecht über mich geredet und quasi den ganzen Jahrgang gegen mich aufgebracht...", ich erzähle weiter und erzähle ihr, warum der Umzug in dem Augenblick das beste und schlimmster zugleich war.

01.09.2015 (7. Klasse)

Liebes Tagebuch,

ich habe meinen ersten Schultag an der neuen Schule überstanden. Es war schlimmer, als ich geahnt habe. Es gab so viele Leute, die auf mich zukamen und mit mir befreundet sein wollten, allen habe ich gesagt, dass ich keine Freunde brauche. Es war so schlimm. Ich weiß, dass es mir besser gehen wird, wenn sie mich endlich alle in Ruhe lassen, aber ich habe nichts.
Ich habe das Ballett verloren, meine Freunde. Zumindest dachte ich, dass es meine Freunde sind. Ich habe mein Zuhause verloren und jetzt soll ich mich hier zurecht finden. Neue Schule, neue Lehrer.
Ich will einfach nur allein sein und die paar Jahre hinter mich bringen, dass ich endlich ein Leben beginnen kann, was mir wirklich Spaß macht. Was das sein soll, weiß ich nicht.
In der Schule wurden wir heute gefragt, was wir später mal werden wollen, ich konnte darauf keine Antwort geben. Vielleicht kommt die Antwort noch in den nächsten Jahren, ich meine wie viele, die jetzt schon wissen, was sie machen wollen, werden auch wirklich genau das? Ich habe noch Zeit.
Naja, bis morgen.

"Ich habe ein paar Wochen gebraucht, bis mich wirklich jeder in Ruhe gelassen hat. Es war eine Qual, weil ich nicht allein sein wollte, aber allein sein musste. Ich wollte mein Herz schützen. Es hat so weh getan, als meine angeblichen Freunde mich verraten haben." Sof lässt mich erzählen und nickt lediglich an manchen Stellen. Sie unterbricht mich nicht, vermutlich aus Angst, dass ich dann aufhöre zu erzählen. "Ich habe damals meiner besten Freundin erzählt, dass mein Vater auf einmal nicht mehr da war und sie hat mich ausgelacht, statt mich zu trösten."

01.05.2015 (6. Klasse)

Liebes Tagebuch,
ich habe Luisa erzählt, dass Dad gestern seine ganzen Sachen mitgenommen hat und einfach weg war, als ich nachmittags mit Mom nach Hause kam. Sie hat mich ausgelacht. Ich habe geweint und sie saß neben mir und hat mich ausgelacht, dafür, dass ich jetzt allein mit meiner Mutter wohnen muss und dass das nur bedeutet, dass mein Leben weniger Wert ist und ich jetzt dümmer werde, denn Kinder die nur bei einem Elternteil aufwachsen, lernen nicht so viel, als wenn beide da wären.
Ich bin sauer auf Dad, dass er einfach so gegangen ist. Ich bin sauer auf mich, dass ich dachte, dass ich es Luisa erzählen kann. Ich dachte, sie ist meine Freundin, meine beste Freundin, aber sie ist es nicht. Wer ist denn dann überhaupt mit mir befreundet? Habe ich dann überhaupt richtige Freunde?
Ich habe sie gebeten, es niemandem zu erzählen, aber sie hat es jedem erzählt, den sie irgendwie noch gesehen hat an dem Tag. Von jedem hab ich irgendein blödes Kommentar hören müssen, dass ich jetzt arm werde, weil ja nur Männer für Familien sorgen könnten und Mütter nicht in der Lage dazu seien. Ich habe Angst, Mom davon zu erzählen,ich habe gehört, wie sehr sie gestern Nacht geweint hat, als sie dachte, dass ich schlafe. Außerdem kann sie ja auch nichts tun. In der Schule würden sie weiter reden. Aber vielleicht können wir ja jetzt umziehen. In eine neue Stadt oder so. Dann könnte ich von vorne anfangen, aber dann würde ich keine Freunde haben. Ich möchte nicht nochmal so verletzt werden.
Du verletzt mich nie. Bis morgen, Tagebuch

Wäre es nicht deutlich einfacher zu gehen? (Wird Überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt