Wochenendtrip

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Ich weiß nicht, wie lange ich in ihren Armen lag, schluchzte und vor Wut zitterte, aber sie hielt mich. Die ganze Zeit. Sie stellte noch keine Fragen. Mom fasste sich schneller, als ich es überhaupt konnte. "Alles ist gut", sagt sie nur und umarmt mich ebenfalls. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich nicht mehr weinen konnte. Mein Tränenspeicher ist vollkommen ausgeschöpft und buchstäblich ausgetrocknet. Ich befreie mich aus Sofias und Moms Umarmung und richte mich auf. "Es ist alles okay", sage ich laut, eher zu mir selbst, als zu den Anderen. Es ist alles okay. Es ist okay. Ich wiederhole diese drei Worte immer wieder in meinem Kopf. Wie ein Mantra, wiederhole ich diesen kleinen Satz, bis sich mein Körper vollständig beruhigt hat.
Mom unterbricht als erste die Stille. "Ich setze frischen Tee auf und mach uns ein paar Pancakes zum Frühstück." Mehr sagt sie nicht. Sie versucht sich abzulenken. Sucht eine Beschäftigung um nicht über das alles nachdenken zu müssen. Ich kann es ihr nicht verdenken.
Als ich mich entgültig gefasst habe, schaue ich in Sof's Gesicht und ich sehe ihr sofort an, dass ihr mindestens hundert Fragen durch den Kopf schwirren. "Nur zu", sage ich schließlich. Ich fühle mich bereit ihre Fragen zu beantworten. "Frag, was du so dringend wissen möchtest", füge ich hinzu. Sof ist sich nicht ganz sicher, ob ich wirklich dazu bereit bin ihre Fragen zu beantworten, ob ich nach diesem Gefühlsausbruch in der Lage bin zu antworten, ohne wieder in Tränen auszubrechen. Sie schüttelt den Kopf. "Das kann warten", fügt sie an.
Während meine Mom also in der Küche Frühstück vorbereitet, gehen Sof und ich in mein Zimmer um unsere Schlafanzüge gegen Alltagskleidung zu tauschen. Ich sehe Sof's besorgtes Gesicht, aber sie sagt nichts. Ich bleibe still. Als wir jedoch dabei sind uns Make-up aufzutragen, durchbricht sie die Stille. "Hast du den Song über ihn geschrieben?" Ich nicke nur, da kein Wort so recht meine Lippen verlassen möchte. Ich werde wohl noch genug reden und erklären, da spare ich mir meine Stimme für später auf. Nachdem wir fertig sind, gehen wir runter in die Küche, in der Mom schon mit den fertigen Pancakes und dem aufgebrühten Tee wartet.

"Nun frag schon. Ich sehe dir förmlich an, dass dich mindestens hundert Fragen quälen", sage ich, als wir mit dem Frühstück fertig sind und keine wirklich weiß, was sie sagen soll. "Na gut", gibt sie sich schließlich geschlagen. Sie schaut noch einmal zu meiner Mom um sicher zu gehen, dass es für sie ebenfalls okay ist, wenn sie Fragen stellt über das, was sie heute Morgen gesehen hat. Mom nickt nur und drückt als zusätzliche Zustimmung Sofs Hand. Dann mal los. Das hier ist auf jeden Fall günstiger als jede Therapiesitzung, an der ich nie teilgenommen habe, aus zu viel Angst mit der Wahrheit konfrontiert zu werden.
"Was genau ist heute morgen eigentlich vorgefallen?", stellt sie als erste offensichtlichste Frage. Mom übernimmt das Antworten. "Die ganzen Blumengestecke, die wir gestern für diese riesige Hochzeit vorbereitet haben... Nun, bisher hatte ich immer nur mit der Braut geredet, der Bräutigam hat sich, was die Blumen betraf zurück gehalten. Wohl aus gutem Grund, wie ich heute Morgen feststellen musste. Sie hat auch nie den Namen ihres jetzt Mannes erwähnt, geschweige denn den Nachnamen, den sie heute wahrscheinlich angenommen hat. Dementsprechend war es ein absoluter Schock, als ich ihn heute Morgen sah, als ich die Blumen ausgeliefert habe und alle Blumen an Ort und Stelle räumte." "Er ist damals einfach ohne ein Wort abgehauen", werfe ich ein, "Er hat sich nie wieder gemeldet. Sechs Jahre ist es her, dass wir ihn zuletzt gesehen haben."

Sof stellt noch jede Menge Fragen. Die Meisten beantwortet Mom, da ich zu viel darüber nachdenke und die meisten Fragen dann über höre. Es interessiert mich nicht, dass er geheiratet hat, dennoch Frage ich mich, ob es Zufall oder Absicht war, dass die Braut ausgerechnet Moms Laden für die Blumen ausgesucht hat.

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01.06.2015 (6. Klasse)

Liebes Tagebuch,
es ist mittlerweile einen Monat her, dass Dad hier war. Ich habe damit abgeschlossen und versuche zu verdrängen, dass es ihn je gab. Meine Mitschüler machen es nicht leicht. Jeden Tag aufs Neue erinnern sie mich daran, dass mein Vater uns verlassen hat. Es wird nicht weniger. Ich will Mom aber nicht auch noch damit belasten. Sie weint immer noch jeden Abend, auch wenn ich das Gefühl habe, dass es langsam weniger wird. Sie hat zudem angefangen unsere Sachen zu packen und die Erinnerungen an meinen Vater auszusortieren. Sie sagte, dass wir in den Sommerferien umziehen, wofür ich mehr als dankbar bin. Ich komme darum herum ihr zu erzählen, was in der Schule wirklich los ist und muss kenne dann an der neuen Schule niemanden und kann die Schule ganz für mich allein beenden.
Ich lebe dann mit Mom allein und vielleicht findet sie ja wieder einen kleinen Laden, in dem sie ihre Blumen und Pflanzen verkaufen kann.
Ich war noch nie so dankbar umzuziehen. Nur noch wenige Wochen.
Bis morgen!

Wäre es nicht deutlich einfacher zu gehen? (Wird Überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt