Kapitel 2

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Das Gesicht vor Namjoon erinnerte ihn an einen Geist. Ein Geist der Vergangenheit, den er von Zeit zu Zeit sah. Immer unwirklich. Nicht wirklich da. Aber die Worte aus dem Mund des Geistes schienen real. Deshalb brauchte Namjoon einen Moment, um sich zu sammeln.

Er war wieder da.

"Lange nicht mehr gesehen", sagte der Geist seines ehemaligen Freundes. Zumindest hatte er ihn als Freund betrachtet. Sein einziger Freund. Das hatte sich am Ende als Lüge herausgestellt, also fühlte sich Namjoon nicht schlecht für seine nächsten Worte.

"Wer hat dich eingeladen?", seine Worte waren hart gesprochen, aber das Grinsen auf Jin's Gesicht zu sehen, ließ seine Worte im nachhinein kindlich und spielerisch erscheinen.

"Wie ist es dir ergangen, alter Freund?" fragte Jin ihn, das Lächeln immer noch auf seinem Gesicht.

Freund. Schon wieder dieses Wort.

"Gut", seine Antwort war immer noch knapp. Oder zumindest war sie das in seinen eigenen Ohren: "Wo bist du gewesen?" Es war nicht Neugierde, die ihn diese Frage stellen ließ. Eher ein Test. Und wenn Jin sich noch daran erinnerte, wie er war, würde er es als die Falle erkennen, die es wirklich war.

"Überall." war Jins kurze Antwort.

"Schwachsinn", schnaubte Namjoon. Das Arschloch hat bestanden.

"Als ob du das nicht wüsstest", Jin drehte den Kopf zur Seite und steckte die Hände in die Taschen, die Geldscheine immer noch in der rechten Hand.

"Ich wusste es nicht."

"Blödsinn."

Namjoon lachte daraufhin. Und wenn sein Lachen einmal begonnen hatte, wollte es nicht mehr aufhören. Vielleicht lag es daran, dass er sich gerade von der Auseinandersetzung mit den Männern in dem schicken Sportwagen erholte, die vor wenigen Augenblicken stattgefunden hatte. Oder vielleicht war es das Wiedersehen mit Jin nach so vielen Jahren. Was auch immer es war, Namjoon fand die ganze Sache urkomisch.

Jin stimmte nach einer kurzen Pause ein. Ihr beider Lachen hallte in der leeren Tankstelle wider.

Nach einiger Zeit verebbte ihr Lachen. Und was folgte, war eine angenehme Stille. Davon hatten er und Jin früher oft genug. Früher.

Beide standen sich immer noch gegenüber und bewegten sich keinen Zentimeter.

Die Stille wurde von Namjoon gebrochen: "Woher wusstest du, dass ich noch hier bin?"

"Weil ich dich kenne", sagte Jin.

"Nein, tust du nicht."

Jin zuckte daraufhin zusammen. Es war kaum merklich, aber Namjoon sah es. Und er hätte sich schlecht gefühlt, wenn er nicht trotzdem einen Hauch von Wut auf ihn verspürt hätte.

Aber Jin ließ diesen Moment der Schwäche nicht auf sich beruhen, sondern erwiderte: "Offensichtlich tue ich das. Wenn man bedenkt, dass du hier vor mir stehst."

Namjoon rollte sich auf den Fußballen ab, während er sich zur Straße drehte: "Ich bin ein Gewohnheitstier. Ich schätze, das hier könnte man als mein altes Revier bezeichnen."

"Unseres. Meinst du", Jin's leichtes Lächeln blieb immer noch auf seinem Gesicht.

Unseres. Sie hatten eine Menge alter Treffpunkte. Orte, an die sie gehen würden, um zu fliehen. Alle, die Namjoon jetzt nicht mehr aufsuchte. Bis auf die Tankstelle. Irgendwie muss man ja die Rechnungen bezahlen.

Nachdem Jin aus heiterem Himmel gegangen war. Keine SMS. Keine Anrufe. Namjoon hatte sich eine Zeit lang ein wenig verloren gefühlt. Bis er sich zusammengerissen hatte. Bis er sich daran erinnerte, wer er war. Danach war die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, nur noch eine Erinnerung. Etwas, das er bei vielen Gelegenheiten zu vergessen versucht hatte, aber es war ihm nicht gelungen.

Blood // Water (GER)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt