Kapitel 10

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Es gab eine klare Linie die Taehyung, zwischen seinem Leben draußen in der realen Welt und dem, das er zu Hause führte, gezogen hatte. Die Unterscheidung zwischen den beiden war ausschlaggebend. Nicht nur, um seinen Vater aus ersterem herauszuhalten, sondern auch, um seinen eigenen Verstand zu bewahren. Denn er wusste, dass die Freiheit, die er erleben konnte, wenn er auf sich allein gestellt war, in klarem Widerspruch zu dem Gefängnis stand, das er zu Hause ertragen musste.

Es war nicht so, dass das Leben außerhalb dieser vier Wände etwas Aufregendes war oder gar etwas, das ihn glücklich machte. Das war schon so lange der Fall gewesen, wie er sich erinnern konnte. Aber in letzter Zeit war alles ein bisschen anders.

Nach ein paar Wochen in seinem und Jungkook's kleinem Arrangement wusste Taehyung, dass er eine Art Fortschritt mit dem steinerne Jungen gemacht hatte. Und obwohl es nicht viel gab, was seine stählerne Panzerung wirklich durchdrang, gab es doch ein paar Dinge, die Taehyung an dem Kerl überrascht hatten.

Zum Beispiel seine Vorliebe für scharfes Essen. Oder die Art und Weise, wie er eine hohe Geruchsempfindlichkeit hatte, was dazu führte, dass er weiche, fruchtig riechende Weihrauch am meisten mochte. Oder die Tatsache, dass er eine tolle Gesangsstimme hatte. Letzteres hatte Taehyung herausgefunden, als Jungkook leise vor sich hin gesungen hatte, während er die Böden in dem Laden wischte, in dem Taehyung als Teil ihrer sogenannten "Vereinbarung" arbeitete.

Diese kleinen und gütigen Tatsachen wären es nicht wert gewesen, bemerkt zu werden, wenn Taehyung dem kleinen Dieb nicht große Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Diese kleinen Leckerbissen seines Lebens ließen das Gangsterkind, als den er sich normalerweise darstellte, irgendwie wie eine Fassade erscheinen, die er für die Welt aufsetzte. Und Taehyung wusste nur zu gut, wie wichtig es war, eine gute Fassade aufrechtzuerhalten.

"Was hast du zum Abendessen bekommen?", kam die schroffe Stimme seines Vaters.

Kaum hatte Taehyung einen Fuß in den kleinen, schäbigen Wohnkomplex gesetzt, zeigte sich die schlechte Laune seines Vaters. Anhand der Abwesenheit von Alkoholflaschen, die normalerweise im Wohnzimmer herumstanden, war es offensichtlich, dass sein Vater noch nicht mit seiner nächtlichen Routine begonnen hatte.

Ich weiß nicht, was schlimmer ist, er nüchtern oder sturzbetrunken, dachte Taehyung, als er sich geräuschlos in die Wohnung bewegte, "Ich fange gleich damit an."

"Deine Schwester hätte schon längst alles vorbereitet."

Bei der Erwähnung seiner Schwester biss Taehyung die Zähne zusammen und ging in die angrenzende Küche, ohne ein Wort auf den Spott seines Vaters zu sagen. Die gesamte Wohnung bestand nur aus einem Schlafzimmer, einem Bad, einer Küche und einem Wohnbereich. Alles zusammengedrängt auf einem winzigen Raum, der seinen beiden Bewohnern keinen Platz ließ, um schnell genug voneinander wegzukommen. Egal, wie sehr sich Taehyung das auch wünschte.

Solange Taehyung sich erinnern konnte, war dieser Ort ein lebender Albtraum für ihn gewesen. Wann immer er konnte, flüchtete er aus diesem Ort, nur damit er ein wenig leichter atmen konnte. Das Gleiche konnte man von seiner Schwester nicht behaupten. Und sieh nur, wohin sie das gebracht hat.

Er schüttelte die Melancholie ab, die sich über ihn legte, wann immer die Gedanken an seine Schwester unvermindert in seinen Kopf eindrangen, und machte sich an das Abendessen. Er war keineswegs ein geübter Koch, eher verbrannte er das Essen, als dass er etwas Essbares zubereitete. Aber jahrelange Übung und die Erinnerung an die Stiche im Gesicht, die ihm die Hand seines Vaters zugefügt hatte, reichten ihm, um etwas zuzubereiten, das als Essen durchging.

Die Erinnerung an diesen Tag reichte nicht aus, um den Schmerz, der sich über seine Brust gelegt hatte, zu dämpfen, aber sie zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht.

Blood // Water (GER)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt