Kapitel 12: for one second

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Es wurde ein langer Tag. Ein wahnsinnig langer Tag, da ich mich auch die ganze Zeit kaum auf etwas konzentrieren konnte. Dementsprechend war es wirklich ein Vorteil gewesen, dass ich dieses Jahr in einem Doppelstuhl saß und Stefanie für mich das Reden übernehmen konnte. Und das tat sie zu meinem Glück auch sehr gerne.
Ich bewunderte, wie voller Lebensfreude und Spaß die Jüngere war und fragte mich, ob es genau das war, was Männer an jüngeren Frauen so viel interessanter fanden.
Im Lack des schwarzen Pianos glänzte mein Spiegelbild schwach vor sich hin und ich konnte nicht anders als zu versuchen mich darin zu erkennen. Lag es an meinem Alter? Oder lag es an mir?
Zu meinem 36ten Geburtstag hatte ich in einem Interview bereits gesagt, dass es für mich erst komisch werden würde, wenn eine 4 vor der zweiten Zahl steht, aber dass es sich bewahrheiten würde und sich auch noch an meinem Freund abzeichnen würde, hätte ich dennoch nicht erwartet. Was Samu überhaupt dazu bewogen hatte mich küssen zu wollen, wenn er eine so hübsche Freundin zu Hause hatte, war mir wirklich fragwürdig.
„Dad war sehr gut!", hörte ich Stefanie auf einmal in die Hände klatschen, nachdem unser letztes Battlepaar geprobt hatte, unbemerkt, wie sehr ich wirklich abgeschaltet hatte und wie die Zeit vergangen war.
Ich sah von meinem Platz neben dem Piano auf und lächelte freundlich, als hätte ich aufgepasst und würde ihr zustimmen wollen. Als Stefanie dann noch zufrieden nickte, tat ich es ihr einfach gleich, in der Hoffnung, dass es nicht auffallen würde, dass ich nur so tat als wäre ich informiert.
„Das Battle wird der hammer! Aber auch super schwer für uns werden sich bei euch zu entscheiden."
„Ohjaa!", pflegte ich bei und sah zu, wie die Talents verlegen lächelten. Dann verabschiedeten sie sich von uns und auch Stefanie und ich bestritten unseren Weg zu den Garderoben. An Steffs Blick konnte ich genau erkennen, dass sie bemerkt hatte, wie geistesabwesend ich gewesen war, denn es lag Sorge in ihrem Blick. Sorge mit einem Fünkchen neckischem Charm, von welchem ich genau wusste, wo er herrührte. Irgendwie schien Steff die Vorstellung von Samu und mir brennend zu interessieren, aber wenn ich ehrlich war, machte gerade das alles noch viel schwieriger für mich. Ich ignorierte ihren Blick jedoch gekonnt und war froh, als wir uns dann an meiner Garderobe mit einer freundlichen Umarmung voneinander verabschiedeten. Denn auch wenn ich Steff schon sehr ins Herz geschlossen hatte, so gab es doch Dinge, über die ich nicht bereit war zu reden, geschweige denn hätte reden können, ohne einen Gefühlsausbruch zu erleben.
Denn selbst wenn ich versuchte alles zu überspielen, so hatten mich die Ereignisse der letzten Woche stark mitgenommen. Nicht umsonst, war ich Samu so gut es ging ausgewichen und hatte darauf geachtete, dass immer auch noch jemand anders bei uns war, wenn wir uns dann doch begegneten, denn die Vorstellung mit ihm alleine zu sein und auszuleben, was wir beide fühlten, schmerzte zu sehr, da es einfach nicht ging. Völlig in Gedanken trat ich also in meine Garderobe und lief unaufmerksam zu meiner Kleiderstange, doch gerade, als ich mich umziehen wollte, hörte ich eine tiefe, mir nur allzu bekannte Männerstimme hinter mir und zog mir mein T-Shirt ganz schnell wieder nach unten.
„...I mean, I wouldn't mind, but Ich dachte es wäre besser du weißt, dass ich bin hier, bevor you change your cloths."
Mit einem Schwung drehte ich mich um und sah Samu erschrocken an. Hatte ich die Tür nicht hinter mir zu gemacht?
„Sorry, I didn't want to scare you.", schmunzelte er über mein kurzes Aufschrecken noch und trat einen Schritt auf mich zu. Ich ging aber gar nicht erst darauf ein, sondern lächelte nur verlegen.
„Wird das jetzt zur Gewohnheit?", fragte ich, obwohl ich eigentlich gerade nichts lieber getan hätte, als rückwärts zurück durch die Tür zu flüchten. Wir zwei wieder alleine in meiner Garderobe...ich wusste, dass ich mir selbst nicht trauen konnte und es war Samus Freundin gegenüber nicht fair.
Als er daraufhin etwas verunsichert wirkte, was ich denn meinte, führte ich das Ganze noch kurz aus: „du in meiner Garderobe...kommt in letzter Zeit ganz schön oft vor."
Jetzt schien es bei ihm Klick zu machen und er musste tatsächlich kurz auflachen. Gott, wie ich sein Lachen liebte.
„Well, seems like I can't stay away from you."
Mit spielerischen Augen, die auf mich gerichtet waren, trat er noch einen Schritt auf mich zu, wodurch ich automatisch von ihm weg wich, einen Schritt in die andere Richtung, einen Schritt in Richtung Tür.
„Samu...", entglitt es wieder etwas verzweifelt meinen Lippen und ich erinnerte ihn mit gesenktem Blick daran, dass er so etwas nicht einfach sagen konnte. Wusste er denn nicht, wie schwierig mir das alles hier fiel, wie sehr ich mich versuchte zusammenzureißen und wie sehr es schmerzte, wenn wir doch genau wussten, dass es bei Flirtereien bleiben musste?
„I am sorry...but Yvonne, I..."
„Nein Samu...", unterbrach ich ihn schnell, noch bevor er seinen Satz zu Ende sprechen konnte. Was auch immer er gerade sagen wollte, was auch immer er damit bezwecken wollte, ich wusste, dass es nur wieder irgendetwas total liebes sein würde, dass mich in den Knien weich werden ließ und das war doch gerade das, was ich vermeiden wollte.
„Ich glaube wir sollten noch ein bisschen Abstand gewinnen...", beschloss ich ihm also kurzer Hand mitzuteilen, noch während ich es laut aussprach, und ging einfach weiter in Richtung Tür. Wenn es mit dem emotionalen Abstand noch nicht so ganz zu funktionierte, dann doch wenigstens mit dem physischen. Ich hielt es einfach für überhaupt keine gute Idee jetzt mit ihm alleine in meinen eigenen kleinen vier Wänden zu sein, nicht, wenn mein Bauch so mulmig kribbelte, wie jetzt gerade. Wieso machte er das nur mit mir? Wieso konnte er es nicht einfach gut sein lassen, aufhören ständig meine Nähe zu suchen, wenn er doch genau wie ich alle Fakten kannte.
Ein wenig Wut kam nun auch in mir auf. Wut darüber, dass Samu einfach immer und immer wieder diese imaginäre Grenze übertrat, die es mir so schwer machte nicht einfach schwach zu werden und mich in seinen Armen fallen zu lassen.
„Du solltest lieber gehen Samu.", versuchte ich energisch zu sagen, doch alles was herauskam, war ein dünnes Gekraksel, also versuchte ich es mit meinem Blick und einer kleinen Geste, in welcher ich ihm die Tür zu meiner Garderobe auf hielt.
Doch in seinen Augen konnte ich erkennen, dass er nicht einmal im Traum daran dachte jetzt zu gehen, als er wieder auf mich zukam und stattdessen einen flehenden Blick aufsetzte. Ich wusste mir einfach nicht mehr anders zu helfen, als der Situation selbst zu entfliehen, weshalb ich mich etwas drehte, um selbst durch die Tür zu gehen, doch seine Stimme hielt mich für einen kurzen Augenblick zurück.
„Yvonne, please wait, I need to talk to you!"
Ich konnte nicht mehr.
„Siehst du denn nicht, wie schwer du es mir damit machst?!", schrie ich auf einmal und spürte plötzlich, wie ich den Tränen nahe war. Mit großen Augen hatte Samu mich nun angesehen, doch er war verstummt, hatte er doch nicht mit diesem Ausbruch von mir gerechnet.
Ich spürte, wie mein Körper zu zittern begann, ein Zeichen, dass ich die Tränen nicht mehr lange würde zurückhalten können und da ich jetzt auf keinen Fall wieder anfangen wollte vor ihm zu weinen, versuchte ich meinen Weg durch die Tür fortzusetzen. Doch bevor ich es hinaus schaffte, hatte Samu die Tür vor meiner Nase zugeknallt und mich an meinem Arm zurück zu ihm in den Raum gezogen und in seine Richtung gedreht. Was war sein verdammtes Problem?!
Blitzartig presste er leidenschaftlich seine Lippen auf die meinen, so schnell konnte ich gar nicht gucken, und drückte mich gegen eben die Tür, die er gerade schwungvoll geschlossen hatte. Ich wollte mich wehren, doch in jenem Moment, in welchem seine Lippen die meinen berührten, wusste ich schon gar nicht mehr wogegen ich mich überhaupt wehrte. Alles in meinem Körper zog sich zusammen und reagierte, auf unseren leidenschaftlichen Kuss, welcher nur noch intensiver wurde, als er verlangend mit seiner Zunge über meine Lippe strich und um Einlass bat, welchen ich ihm, übermannt von dem Gefühlschaos in mir, gewährte. Seine linke Hand ruhte auf meiner Hüfte, während er die rechte direkt neben meinem Kopf an der Tür platziert hatte.
Es fühlte sich so gut an, so richtig, weshalb ich für einen Moment alle Zweifel vergaß und mich ihm hingab. Doch als Samu sich dann langsam von mir löste und ich meine Augen öffnete, kehrten all die Sorgen und Befürchtungen ruckartig wieder zurück und ich stieß Samu mit flachen Händen von mir weg. Irritiert sah er mich an, als ich mich an ihm vorbei quetschte und hektisch begann durch den Raum zu laufen, versuchte möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen.
„Was soll das?!", fuhr ich ihn an, mittlerweile mit meinen Gefühlen und meiner Kontrolle völlig am Ende. Ich hatte es leid der rationale Part zu sein, wenn er doch eigentlich derjenige mit einer Freundin war. Oder machte es ihm einfach Spaß mit meinen Gefühlen zu spielen? Die Grenzen meiner Selbstbeherrschung und seiner Wirkung auf mich auszutesten?
„Willst, oder kannst du nicht verstehen, wie weh das tut?!", brach es weiter wutentbrannt aus mir heraus. „Wie sehr du mich damit verletzt?"
„Bist du wirklich so blind, oder ist es dir einfach scheiß egal?!"
Ich erwartete keine Antwort von ihm, als ich immer noch aufgeregt von A nach B lief, ohne ihn wirklich anzuschauen, denn das hätte ich jetzt gar nicht gekonnt, in meiner Fassung, die ich nicht mehr trug. Meine Hände fuhren aufgeregt durch meine Haare und ich hörte, wie Samu zu einer Antwort ansetzen wollte, doch ich kam ihm zuvor: „Du bist diesmal derjenige mit einer Freundin! Du bist in einer Beziehung, die du versuchen solltest zu retten und nicht ich!"
Ich verstand einfach nicht, wie er so sein konnte, so hatte ich ihn nicht eingeschätzt, so hatte ich ihn nicht kennengelernt!
Wieder wollte Samu etwas erwidern, doch ich sprach einfach weiter. Es platze auf einmal alles aus mir heraus. Alles, was ich die letzten Tage gedacht hatte, alles, was ich die letzten Wochen gespürt hatte und die Fragen die in meinem Kopf kreisten, seit wir uns 2017 das erste Mal geküsst hatten.
„Ist dir das total egal..., wie es mir dabei geht? Wie es deiner Freundin dabei wohl geht?! Ich kann einfach nicht...", aber weiter kam ich mit meiner Rage nicht.
„Would you please just let me talk for one second?", brach es nun fast verzweifelt aus Samu heraus, als er mich an meinen beiden Armen vorsichtig festhielt und dadurch endlich mal zum Stehen bleiben brachte. Wie lange ich jetzt schon ziellos in meiner Garderobe hin und her gerannt war, konnte ich nicht sagen, aber es war auf jeden Fall zu lange gewesen.
„Was?!", schrie ich ihm reflexartig entgegen und verstummte sofort schuldbewusst, als ich nun in seine perplexen und doch gleichzeitig auffordernden Augen sah.
„Yvonne, you realy schould stop worrying sometimes and let the others talk!", lachte er nun plötzlich und ließ mich vorsichtig los, als er bemerkte, dass ich mich etwas beruhigt hatte. Wobei es wohl doch eher die Verwirrung war, die gerade überwog und ich nicht verstand, wieso er auf einmal lachte. Hatte ich irgendwas nicht mitbekommen?
Seine Hände hingen mittlerweile locker an seiner Seite herunter und sein eindringlicher, liebevoller Blick lag auf mir, wodurch ich mich wie ganz von automatisch beruhigte. Wie schaffte er das nur immer wieder?
Noch einmal atmete ich tief durch und schaute auf den Boden vor mir. Meine Irritation schrie danach Antworten zu bekommen, denn gerade verstand ich rein gar nichts mehr, fast als wäre ich in einem falschen Film.
„Du hast Recht.", meinte ich nun etwas ruhiger und setzte mich, immer noch etwas unsicher und durcheinander, auf die Couch hinter uns. „also, was wolltest du sagen?"
Sofort musste Samu bei meinem seltsamen Emotionswechsel etwas schmunzeln, tat es mir dann aber gleich und ließ sich neben mir in das Polster fallen.
„You weird germans always react, before you get all your points straight.", sagte Samu lächelnd und schaute mich dabei eindringlich an. Ich verstand nur noch Bahnhof, und das konnte man meinem Gesicht auch durchaus ansehen, als ich meine Stirn runzelte und fragend meinen Kopf schüttelte.

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Hallo ihr Lieben^^
Da ich bemerkt habe, dass ich Morgen doch keine Zeit haben werde, um etwas zu posten, bekommt ihr einen Tag vorweg das neue Kapitel :*
Ich hoffe es gefällt euch! :)
Guten Rutsch, bleibt gesund!!! Bis zum nächsten Jahr XD

Blurs of the mirrorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt