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Bild: Pinterest, food.enthusiast, Schoko-Kokos-Riegel mit Dattel-Karamell


Welche Taktik würden Sie wählen, um diesen flachen, leicht bewaldeten Landstrich in ihre Kontrolle zu bringen? Lautet die letzte Prüfungsfrage.

Am liebsten würde ich schreiben: Alles in die Luft sprengen!

Ich bemühe mich etwas Zusammenhängendes aus den Fingern zu saugen. Mein Kopf ist wie leergefegt.

Mit meinen Fingern massiere ich die Schläfen und schliesse die Augen. Da sehe ich wieder Ezra und sein erschrockener Gesichtsausdruck.

Dann der Gong – Mittagessen, ich komme!

Den misslungenen Test lege ich beim Herausgehen dem Dozenten in die Hände.

Gemässigten Schrittes bewege mich mit genug Abstand auf alle Seiten in Richtung Spind. Ich brauche mich nicht umzuschauen, ob ich jemanden kenne mit dem ich mich über den Test austauschen könnte. Für Low's ist der Kontakt zu Studenten ausserhalb der Gruppe des Vertrauens untersagt. Ausgenommen sind Gruppenarbeiten: Der Dozent meldet die Erweiterung des Kontaktkreises dem Sekretariat, damit es die Anpassungen vornimmt.

Von meinem Kontaktkreis bin ich die Einzige, die um diese Zeit Mittag hat.

Mein Kontaktkreis hat sich gestern ja erweitert, heute Abend will ich unbedingt herausfinden was hinter Leif, Iron oder ID steckt.

Plötzlich kommt Bewegung in den trägen Menschenfluss.

Ohne den Kopf auffällig zu drehen, erkenne ich aus meinem Augenwinkel den dunkel gekleideten Ezra. Er bewegt sich zielstrebig durch die Menge. Sein Blick schaut dabei eifrig suchend nach links und rechts. Dabei durchbricht er den vorgeschriebenen Abstand zu Mitstudierenden. Er überschreitet so klar die Distanzregel, dass er sogar Studenten anrempelt. Ist er von Sinnen?

Ich will mir gar nicht ausmalen, was ein solches Vergehen für mich bedeuten würde. Doch für High und angehende Doktoren gelten wohl andere Spielregeln.

Auf keinen Fall will ich von ihm angerempelt werden. So gut es geht, mache ich mich klein und lasse mich unauffällig treiben im Fluss der Menge. Mit meinen braunen Haaren und den dezenten Kleidern sollte ich quasi unsichtbar sein.

Bei meinem Spind verstecke ich mich so gut es geht hinter der Türe und lege die Bücher rein. Auf dem Display der Türinnenseite will ich die Zeit meines Lunchslots überprüfen. Dabei springt mir nichts ins Auge. Mit der flachen Hand schlage ich mir gegen die Stirne. Der Brief gestern hat mich so aus dem Konzept gebracht, dass ich vergessen habe, mich für das Mittagessen einzutragen. Ich schaue nach, ob es vielleicht kurzfristig freie Slots gibt, Fehlanzeige. Heute Mittag ist also ausschliesslich geistige Nahrung auf dem Service-Plateau.

Vielleicht ist das auch eine Chance. Ezra ist sicher in der Mensa.

Demotiviert verziehe ich mich vorsichtig Richtung Bibliothek. Sie ist weitläufig und verwinkelt, ein idealer sicherer Rückzugsort.

Während dem Gehen texte ich Marion, die wohl gerade wieder Vorlesung hat. Sie hat mir nach wie vor noch nicht gesagt, ob bei ihr auch ein Brief eingetroffen ist. Das ungünstige Timing und das lange Warten auf eine Antwort nehme ich gerne ich kauf, wenn ich dadurch eine neue Perspektive erhalte.

Ich: Hey

Nicht gerade der kreativste Einstieg in einen Chat. Doch zu was Besserem bin ich definitiv nicht fähig.

Mein Mobile will ich gerade zurück in meine Tasche scheiben, als es vibriert.

Marion: Auch Hey

Lillemors - WiegenliedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt