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Ich versuche mich auf die Prüfung in «Theorie der Taktik» vorzubereiten. Doch meine Gedanken schweifen immer wieder ab zu diesem Brief. Es gelingt mir nicht abzuschätzen, was er für mich bedeutet und wieviel Entscheidungsfreiheiten ich habe und wie ich das überstehen soll, ohne aus dem Rahmen zu fallen.

Mein Gedankenkarussell und der Lerndruck machen mich fertig. Ich stehe auf und beginne auf dem hellgrünen Korkboden auf und ab zu gehen. In der Regel schaffe ich es so Druck abzubauen.

Trotzdem beginnt mein ganzer Körper zu schwitzen. Die Wirkung des einen Equis hat bereits nachgelassen. Das hat sich verändert im Vergleich zu vor sechs Monaten. 

Jetzt beginnt das Hyperventilieren.

Ich muss mich unbedingt in Griff kriegen.

Ruhig atmen – atmen – atmen ich darf nicht schon wieder ein Equi nehmen.

Darum egal wie ungünstig ein Anruf mitten am Nachmittag an eine Studentin in einer Vorlesung ist, ich muss Reden! Jetzt!

Bitte, Marion, geh an dein Mobile!

Vielleicht hat meine einzige Freundin auch ein solches Schreiben erhalten. Dann wäre alles ein allgemeiner Prozess meiner Altersstufe. Das würde mich eindeutig gelassener stimmen.

Meinen Bürohocker spüre ich in den Kniekehlen. Während ich mich auf das ausgehende Signal konzentriere, erlaube ich meinen Beinen erschöpft nachzugeben. Ich lasse mich fallen.

Der kleine bewegliche, hyper-ergonomisch geformte Hocker weicht aus. Er ist nicht gemacht für Schwung.

Der Hocker rutscht nach hinten und ich knalle auf den Boden. Ein schmerzhaftes Stöhnen entweicht mir. Sternchen flimmern vor meinen Augen. Mir kommen die Tränen. Das Steissbein schmerzt.

Auch das noch. Dank dem aktuellen Programm, welches ach so bedacht ist auf den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung wurden in der Uni letzte Woche alle Bürostühle ausgetauscht.

Dafür stehen jetzt diese Hocker da, nur das Beste für die Wirbelsäule. Wer das glaubt!

Erwartet wird wohl auf der Gegenseite, dass noch mehr Stunden hinter dem Schreibtisch verbracht werden. Rückenschmerzen sind also neuerdings ausgeschlossen und alle Studierenden sollen das System noch stärker stützen können.

Wer trägt die Konsequenzen? Mein verkümmerter Schwanz, mein Steissbein, ich.

Ich rappele mich auf. Setze mich in Ruhe richtig hin, balanciere etwas, damit ich möglichst wenig Schmerzen empfinde und lasse dann meinen Blick über den Schreibtisch schweifen. Alles schön ordentlich.

Marion ist am Mobile nicht zu erreichen. Ich starte meine Working-Station. Vielleicht über Skype?

Marion und ich kennen einander, seit wir zehn sind. Wir wurden bei den Field Fights als Zweier-Team rekrutiert. Wir harmonieren enorm gut, als Team in einem Fight aber auch privat. Auf privater Basis erlaubt die Regierung nur restriktiven Kontakt. Deswegen war damals meine Erleichterung gross, als wir auf derselben Uni angenommen wurden. Sie studiert Food-Technology. 

Wir wohnen jedoch nicht im gleichen Komplex. Sie gehört zu den High, ich –

«Hey», meldet sie sich flüsternd.

«Huhu, was ist?»

«Vorlesung?»

«Sorry,» brummle ich und versuche mit meiner Atmungstechnik ruhig zu bleiben.

«Lillemor, du schnaufst wie ein altes Walross! Komm schnell zur Sache. Gemeinsame Atemübungen sind kaum der Grund, für deinen Anruf mitten in meiner Vorlesung!»

Lillemors - WiegenliedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt