Eigentlich habe ich heute garkeinen Unterricht mehr nach der 8.Stunde, wir treffen uns aber trotzdem immer erst, wenn die allermeisten Schüler und Lehrer bereits Zuhause sind. Das ist einfach sicherer. Geantwortet habe ich immer noch nicht, sitze aber schon 10 Minuten da und starre auf die Nachricht. Was soll ich nur antworten?
Wir haben am Anfang Regeln aufgestellt: Wir reden nicht über persönliche Angelegenheiten, wir treffen uns nur in "neutralem" Umfeld, also nicht bei einem von uns zuhause, kein "Kuscheln" danach, was auch auf den Tischen im Klassenraum eher schlecht funktionieren würde, und so weiter. Aber die zwei wichtigsten Regeln sind, dass wir unter keinen Umständen jemandem auch nur ein Sterbenswort davon erzählen, was ja logisch ist, und, dass wir unter keinen Umständen Gefühle entwickeln. Das würde die Sache nur komplizierter machen als sie ohnehin schon ist. Aber wie war es anders zu erwarten, ich habe Gefühle für ihn entwickelt, und zwar so richtig. Ich will dauerhaft in seiner Nähe sein, und zwar nicht nur für Sex. Ich will mehr über ihn erfahren und ihm mehr über mich erzählen. Ich habe mich einfach Hals über Kopf verliebt.
Seit einigen Wochen stehe ich bei jedem unserer Treffen kurz davor es ihm zu sagen, traue mich aber dann doch nicht, weil ich ihn dann vermutlich verlieren würde. Und das will ich auf garkeinen Fall. Bis jetzt habe ich es vorgezogen weiter, zwar verdammt guten, aber bedeutungslosen Sex zu haben, und ihm dadurch nahe zu sein, als ihn zu verlieren. Aber ich kann es einfach nicht mehr. Jedes Mal, wenn wir uns direkt danach wieder anziehen und ohne viele Worte zu wechseln getrennte Wege gehen, zerreißt es mir fast das Herz.
Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird meine Antwort. JA, ich muss ihm für heute zusagen. Und ich MUSS ihm heute sagen was ich empfinde, auch wenn ich das schlimmste befürchte. Ich weiß zwar noch nicht wie aber ich muss es tun. Also entsperre ich mein Handy wieder und tippe mit zittrigen Fingern.
A: Geht klar.
Die nächste Stunde vergeht wie im Flug. Ich habe mir die gesamte Zeit Gedanken darüber gemacht, was genau und wie ich es sagen soll und dabei mindestens 7 Zigaretten geraucht. Zu einem Ergebnis bin ich immer noch nicht gekommen als die Schulglocke das Ende der aller letzten Stunde bekannt gibt. Also gut, jetzt geht es los.
Weiterhin in Gedanken versunken laufe ich Richtung besagtem Klassenzimmer und komme dabei nur an wenigen Schülern vorbei, die sich darüber freuen endlich nach Hause zu kommen. Noch wenige Meter und ich stehe vor der Tür des Raumes C12 und ich fühle mich alles andere als bereit. Aber ich muss das jetzt durchziehen. Vor der Tür hole ich noch einmal tief Luft und los geht's
Wie immer steckt ein Holzkeil in der Tür, um sie einen Spalt weit offen zu halten. Und wie immer trete ich mit einer kurzen Begrüßung ein und drehe den Schlüssel, der bereits im Schloss steckt, einmal um und wende mich ihm zu. Er sitzt auf dem Pult und wartet keine Sekunde bevor er aufspringt und mit einem dicken Grinsen auf mich zukommt. Als sich unsere Blicke treffen werden meine Beine sofort weich und ich muss mich gegen die Tür lehnen um nicht um zu fallen. Weil ich dem Blick nicht mehr standhalten kann schaue ich nach unten, so, dass er einen Finger unter mein Kinn legt und meinen Kopf anhebt. Bevor seine blauen Augen mein Vorhaben wieder zunichte machen, muss ich jetzt eingreifen. Aber es ist schon zu spät, seine Lippen liegen bereits auf meinen. Halbherzig erwidere ich den Kuss, so, dass ich nicht vollkommen die Kontrolle verliere.
Anscheinend merkt auch er, dass etwas nicht stimmt, denn er unterbricht den Kuss und schaut mich schief an.
"Was ist los mit dir?"
"Ich.. ähm... nichts", stotter ich vor mich hin.
"Verarschen kann ich mich selbst Anna. Ich weiß wir haben ausgemacht nicht über Privates zu reden, aber du kannst es mir trotzdem sagen", sagt er und zwinkert mir zu.Okay ich brauche Abstand. Also drücke ich mich von der Tür ab, schiebe mich an ihm vorbei und gehe ans andere Ende des Raumes. Erstmal muss ich mich sammeln und dafür laufe ich im Raum hin und her. Ich hole tief Luft und beginne zu reden: "Michael, ich..", weiter komme ich nicht, weil ich nicht weiß wie.
Ich drehe mich zu ihm um seine Reaktion zu sehen, aber er schaut mich nur interessiert an und nickt mir ermutigend zu. Also schließe ich nochmal kurz die Augen, zähle stumm bis drei und beginne erneut.
"Ich kenne unsere Regeln und ich habe alles dafür getan mich an alle zu halten. Aber ich kann das hier nicht mehr."
"Was meinst du damit?"
"Ich hab mich in dich verliebt, und zwar so richtig. Ich will nicht, dass das mit uns endet, aber ich kann das so wie es jetzt ist nicht mehr", schießt plötzlich alles aus mir heraus.Anstelle einer Antwort starrt er mich nur an und schweigt ohne sich zu bewegen. Eine Ewigkeit. Als es mir allmählich zu lange dauert beschließe ich zu gehen. Ich durchquere einmal den Raum, ganz langsam, in der Hoffnung er sagt noch etwas. Aber erst als ich schon in der Tür stehe erhebt er seine Stimme: "Anna..". Irgendetwas an seiner Stimme lässt mich zögern, ich drehe mich aber trotzdem um, anstatt einfach weiter zu gehen.
Sein Lächeln ist komplett aus seinem Gesicht gewichen, was mir ein bisschen Angst macht, was gleich wohl kommen mag.
"Vertraust du mir?", fragt er und ich weiß nicht so genau, was er meint. Trotzdem antworte ich etwas zögerlich mit "Ja.".
"Geh raus und warte vorm Eingang auf mich. Wenn ich an dir vorbei gekommen bin folge mir mit genug Abstand", sagt er. "Damit uns niemand zusammen sieht, falls doch noch ein Schüler oder Lehrer hier ist", fügt er noch hinzu, als er meinen verwirrten Blick sieht.
Ich tue was mir gesagt wurde und warte draußen. Als er aus der Tür kommt geht er einfach an mir vorbei, ohne mich weiter zu beachten. Mit einigen Metern Abstand laufe ich ihm 10 Minuten hinterher in eine Gegend, in der ich noch nie war. Wir sind jetzt mitten in einem Wohngebiet mit vielen kleinen Mehrfamilienhäusern und ich frage mich, so langsam, was hier eigentlich vor sich geht. Ich sehe, dass er in den Hof eines der Häuser einbiegt. Als auch ich einige Sekunden später zögerlich zur Haustür schaue und auf sie zu gehe, werde ich etwas nervös. Was hat er vor?
Die Tür ist einen Spalt offen, also trete ich ein und gehe die Treppe nach oben, weil ich oben noch seine Schritte höre. Ich erklimme die Treppen mit zittrigen Beinen, bis ich ganz oben im 3. Stock angekommen bin, wo eine der beiden Wohnungstüren bereits offen steht, in der mit etwas Abstand von der Tür Michael auf mich wartet.
"Komm rein", sagt er und nickt mir aufmunternd zu. Jetzt ist die letzte Chance meinen Rückzug anzutreten. Das tue ich aber nicht, sondern trete ein, woraufhin er sich im schmalen Gang an mir vorbeizwängt um die Tür zu schließen. Anschließend kommt er wieder auf mich zu, nimmt meine Hand und führt mich weiter in die Wohnung hinein, bis wir in einem großen Raum stehen, der wohl Wohnzimmer, Küche und Esszimmer in einem darstellen soll. Mitten im Raum bleibt er stehen und dreht sich so, dass er direkt vor mir steht und auf mich runter schauen kann.
"Wo sind wir hier? Und was soll das alles?", frage ich verwirrt.
Jetzt schleicht sich langsam sein Lächeln zurück in sein Gesicht und er antwortet: "Ich dachte mir, was du kannst kann ich schon lange. Wir sind bei mir zuhause, was bedeutet, dass ich noch eine Regel mehr gebrochen habe als du."
"Eine mehr? Welche hast du denn sonst noch gebrochen?", frage ich irritiert.
"Eine der wichtigsten... Ich habe mich schon vor Wochen in dich verliebt. Wenn ich ehrlich sein soll, schon bevor die Regel überhaupt aufgestellt wurde. Ich wollte es nur nicht wahrhaben, weil ich nicht alles so unglaublich kompliziert machen wollte, aber ich glaube genau das haben wir mit den Regeln eigentlich überhaupt erst bezweckt."
Okay, wow, das war das letzte was ich erwartet hätte. Ich bin etwas aus dem Konzept gebracht und kann im Moment Garnichts sagen. Das ist aber auch nicht schlimm, denn er beginnt wieder zu reden.
"Lass uns heute noch ein paar Regeln brechen", sagt er grinsend und zwinkert mir zu.
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Und das haben wir auch getan. Wir haben miteinander geschlafen, so richtig, ohne Eile, Angst erwischt zu werden und vor allem in einem richtigen Bett. Wir haben gekuschelt und stundenlang geredet, bis die Sonne den nächsten Tag ankündigte. Meine Eltern, die es interessieren könnte, dass ich nicht zuhause bin, sind mit meinem Bruder zu meinen Großeltern gefahren.
Ich weiß nicht wie das jetzt weiter gehen soll, da er ja zumindest die nächsten Monate noch mein Lehrer ist, aber das werden wir irgendwie schaffen.
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So, das war es. Ich hoffe es hat euch gefallen und würde mich sehr über Rückmeldung freuen