Kanutour (3)

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Ich weiß, es ist schon eine halbe Ewigkeit her, dass ich die ersten beiden Teile geschrieben habe. Da aber immer noch gelegentlich Kommentare kommen, ich solle zu der Story mit der Kanutour eine Fortsetzung verfassen, habe ich das hiermit getan. Wie sagt man so schön: "Besser spät als nie":) Ich hoffe es gefällt euch.

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"Marco?!". "Sina?".

Wir schrecken sofort auseinander, als wir die Stimme von Herrn Brusius hören, die nur wenige Meter entfernt zu sein scheint. Bleich vor Schreck starrt mich Herr Wagner mit leicht geöffnetem Mund an. Schnell schiebe ich ihn von mir weg, glätte aus Reflex den Pulli und schaue in die Richtung aus der die Stimme gekommen zu sein scheint. Mittlerweile hat sich auch Herr Wagner vom Schock, erwischt worden zu sein, erholt und ruft: "Hier", während er Richtung Ufer geht und sich noch schnell die Haare etwas richtet.

Nach zwei Schritten dreht er nochmal seinen Kopf in meine Richtung und formt stumm die Worte "Bitte, sag nichts" mit seinen Lippen. Erst jetzt wird mir langsam so richtig bewusst, was hier eigentlich gerade vor sich gegangen ist. Ich habe gerade verdammt noch mal eine wilde Knutscherei mit meinem Lehrer hinter mir. Und das auch noch mit dem Lehrer den ich am aller wenigsten leiden kann. Dem arroganten, selbstverliebten Herr Wagner. Aber stimmt das überhaupt? Kann ich ihn wirklich nicht leiden? Das Kribbeln in meinem Bauch sagt was ganz anderes. Das Gefühl kann ich nicht richtig einordnen, es ist eine wilde Mischung aus Schreck, Zuneigung und so vielem mehr. Was ich aber weiß ist, dass sich trotz meinem unfreiwilligem Bad im eiskalten Wasser bei 15 Grad diese mysteriöse Hitze in meinem gesamten Körper ausbreitet.

"Sina, kommst du?". Bei seiner Stimme zucke ich zusammen, als sie mich aus meinen Gedanken reißt. Schnell hebe ich meine nassen Klamotten auf, rolle meinen BH ein wenig in die anderen Sachen ein und setze mich auch in Bewegung. Am Ufer liegt unser Kanu neben dem, das Herr Brusius jetzt ebenfalls ein Stück an Land gezogen hat. Daneben stehen Herr Brusius und Herr Wagner, der ihm gerade erzählt, dass ihr Kanu gekentert ist und sie gerade wieder los fahren wollten. Die ganze Geschichte, ausgeschlossen mancher Details, erzählt er fast völlig gelassen. Aber nur fast. In seiner Stimme höre ich immer noch den Schreck mitschwingen, und noch irgendetwas anderes. Angst? Ich weiß es nicht.

Zu meinem eigenen Erschrecken hört anscheinend auch Herr Brusius den seltsamen Unterton heraus, denn er mustert erst ihn und dann mich etwas misstrauisch. Zu allem Übel lässt er auch keinen Zweifel an seinem Misstrauen, als er fragt: "Und das hat so lange gedauert sich schnell einen trockenen Pulli überzuziehen?"

Fuck, er hat uns bestimmt gesehen. Irgendwo durch die Hecke durch, als er nach uns gesucht hat. Er hat uns gesehen, als wir eng umschlungen da standen. Als wir völlig vergessen haben wo wir sind, wer wir sind und in was für eine Gefahr wir uns da gerade bringen. Wie viel Zeit war überhaupt vergangen? Haben die anderen schon eine halbe Stunde am Ziel gewartet? Dann wäre jede harmlose Ausrede vollkommen unplausibel und unglaubwürdig. Ich will nicht von der Schule fliegen oder noch mehr "schlechte" Aufmerksamkeit auf mich lenken unter meinen Mitschülern. Was ich aber noch weniger will, und ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage, ist, dass Herr Wagner wegen diesen dummen, völlig verantwortungslosen Minuten sein Leben zerstört bekommt und wahrscheinlich auch noch im Gefängnis landet.

Trotz meiner aufsteigenden Panik versuche ich so ruhig wie möglich zu antworten. "Naja, wir hatten erst einmal Schwierigkeiten das Kanu an Land zu bekommen, weil überall Gestrüpp war. Außerdem mussten wir die Tonne mit unseren Sachen noch herausfischen", sage ich etwas zögerlich und schaue dabei ganz kurz zu Herrn Wagner, der fast unmerklich nickt.

"Wie auch immer, wir müssen jetzt wirklich los. Der Bus wartet sicher schon", sagt Herr Brusius dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, in der meine Nerven bis zum zerreißen angespannt waren aus Angst er würde die Ausrede nicht schlucken.

Schweigend bereiten wir uns alle drei darauf vor weiter zu fahren. Herr Brusius schiebt sein Kanu zurück ins Wasser und steigt ein, während wir unsere Sachen einräumen und danach ebenfalls in unser Kanu steigen. Ohne weitere Worte zu wechseln paddeln wir hinter Herr Brusius her, der ein ganz schönes Tempo vorlegt.

Erst als Herr Brusius sein Handy zückt und zu telefonieren beginnt höre ich Herr Wagner leise hinter mir flüstern: "Danke, dass du nichts gesagt hast. Mein ganzes Leben hättest du zerstören können." Kurz überlege ich etwas nettes zu sagen. Dass ich so etwas nie tun würde. Dass es mir ja auch gefallen hat und ich vielleicht doch die ganze Zeit nicht nur Abneigung gegen ihn empfunden habe. Aber aus irgendeinem Grund, den ich eigentlich selbst nicht verstehe, entscheide ich mich dazu meine abweisende Haltung wieder einzunehmen und antworte: "Ich weiß. Ich hab es aber sicherlich nicht für dich getan. Habe einfach keine Lust auf noch mehr Gerede über mich."

Damit ist das Gespräch dann auch beendet und ich habe keine Ahnung, wie er meine Antwort aufgenommen hat, weil ich mit dem Rücken zu ihm sitze und mich auch nicht umdrehen will.

Nach weiteren 10 Minuten in etwas bedrücktem Schweigen kommen wir an der Anlegestelle für die Kanus an. Wir ziehen die Kanus an Land, ich nehme meine eigenen Sachen und gehe geradewegs zum Bus, in dem schon alle Schüler sitzen. Als ich hereintrete werde ich von allen angestarrt und von überall ist Getuschel zu hören. Sarahs Blick ist besonders böse, was ich allerdings ignoriere. Der ganze Mist wäre gar nicht passiert, wenn sie nicht so eine Verräterin wäre. Zum Glück muss ich nicht durch den ganzen Bus, weil sowieso nur noch die erste Reihe frei ist. Erleichtert endlich von den Blicken abgeschirmt zu sein rutsche ich zum Fenster durch und schaue hinaus.

Ein paar Meter vom Bus entfernt steht immer noch Herr Wagner und diskutiert jetzt mit Frau Saller. Von Herrn Brusius ist nichts zu sehen. Über was reden die da? Hat Herr Brusius Frau Saller schon von seinem vermeintlichen Verdacht erzählt? Ist sie selbst auf die Idee gekommen? Vielleicht reden sie aber auch über etwas ganz anderes. Oh man ich werde glaube ich verrückt. Ich kann meine Gefühle überhaupt nicht einordnen. Aber irgendwie wird mir bewusst, dass ich keine Reue verspüre, aber sollte das nicht eigentlich so sein? Ich bin so durcheinander.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen als sich jemand neben mich setzt. Wie nicht anders zu erwarten war, ist es natürlich Herr Wagner. Viele andere Möglichkeiten als einer von den Lehrern waren ja nicht vorhanden. Und Herr Wagner ist mir dann doch noch am liebsten. Bevor ich noch die ganze Fahrt mit Fragen gelöchert werde.

Herr Wagner hält außerdem eine Decke in der Hand, die er mir mit fragendem Blick entgegenstreckt. Dankbar nehme ich sie an, weil mir mittlerweile nicht mehr so warm ist. Als ich sie dann auf unser beider Beine ausbreite, weil ich sehe, dass auch er ein wenig zittert, schenkt er mir ein kleines Lächeln, sagt aber weiter nichts. Auch ich muss unwillkürlich Grinsen, obwohl ich das doch gar nicht will. Also drehe ich mich von ihm weg und schaue aus dem Fenster.

Nach kurzer Zeit spüre ich etwas an meiner Hand und will sie sofort wegziehen, lasse es aber doch sein als ich merke, dass es Herr Wagners Hand ist. Unauffällig schaue ich auf die Plätze um uns herum, aber keiner hat diese kleine Berührung mitbekommen. Wie auch, die Decke liegt ja über unseren Händen und Armen. Nachdem ich beschlossen habe, dass es halbwegs sicher ist, lasse ich zu, dass er seine Finger mit meinen verschränkt. Irgendwie ist es ein gutes Gefühl als sich die Wärme von vorhin durch die Berührung wieder in meinem Körper ausbreitet.

Ohne ein Wort zu wechseln oder uns nochmal anzuschauen sitzen wir die ganze Fahrt so da, mit verschränkten Fingern. Und es fühlt sich verdammt gut an.

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Wie immer würde ich mich sehr über Rückmeldung von euch freuen:)

Lehrer×Schüler OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt