Kapitel 9 - Jamie

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Ich hasste dieses Korsett jetzt schon, es erdrückte mich und erschwerte mir das Singen. Ich konnte nicht genug Luft holen für die langen Töne, oder überhaupt irgendwelche Töne. Man hatte mich so fest in dieses Ding geschnürt, dass ich mich währenddessen am Türrahmen festgekrallt hatte. Die Zofe hatte sich sichtlich darüber amüsiert.

Nach dem Einsingen ging ich in dem Damensalon ein paar Schritte auf und ab, um meine Nerven zu beruhigen. Bei jedem Atemzug, den ich tat, pressten meine schmerzenden Rippen gegen die feinen Metallstreben des Korsetts. Unvorstellbar, dass adelige Damen den ganzen Tag in diesen Kleidern aushielten; auch die hohen Schuhe waren eine einzige Qual und nicht nur einmal stolperte ich über den Saum des bodenlangen Kleides. Ich blickte zum Himmel empor, dessen wunderschönes Farbspiel mich ablenkte. Die Sonne tauchte den Horizont in ein feuriges Rot, ein letztes Aufbäumen bevor die Nacht hereinbrach. Ein atemberaubender Anblick, den ich vor langer Zeit aufgehört hatte zu bewundern, da ich während den langen, anstrengenden Schichten in der Fabrik nie eine Ahnung hatte, wann ein Tag endete, oder wann ein Tag anfing. Dumpfes Stimmengewirr aus dem angrenzenden Ballsaal drang zu mir durch und machte mir bewusst, warum ich hier war. In einigen Minuten war es soweit, das Schicksal klopfte an die Tür und stellte mich vor eine Herausforderung, die über meine Zukunft und die meiner Familie entscheiden würde. Ich würde lügen, wenn ich sagte, ich wäre nicht nervös, doch ich schaffte es, mich nicht von meiner Aufregung beherrschen zu lassen. Eine Fertigkeit, die mir nicht oft gelang. Natürlich gab es keinen Grund nervös zu werden, da es sich nicht um meinen ersten Auftritt handelte, doch hierbei stand so viel mehr auf dem Spiel.

„Der Himmel strahlt heute in besonders schönen Farben, finden Sie nicht?" Miss Souris, die Haushälterin, trat neben mich und schaute bewundern zum Himmel auf. Ich hatte nicht bemerkt, wie sie den Salon betreten hatte, so versunken war ich anscheinend in meinen Gedanken.

„Das stimmt, der Himmel erschien mir schon lang nicht mehr so bunt" Meine Worte waren nicht mehr als ein leises Flüstern, andernfalls glaubte ich diesen Moment zu zerstören. Miss Souris wandte den Blick vom Himmel ab und schaute mir entschlossen in die Augen. Ich wusste, was sie sagen wollte und kam ihr zuvor, auch wenn das bedeutete mich meiner Nervosität zu stellen.

„Showtime!" Miss Souris nickte und führte mich aus dem Salon hinaus auf den Flur. Mit jedem Schritt, den wir uns der Tür näherten, wurden die Geräusche lauter. Menschen lachten, unterhielten sich und die Ausgelassenheit, die in der Luft lag, war zum Greifen nahe und auf einmal standen wir vor der Tür, hinter der die Feierlichkeiten tobten. Miss Souris hielt inne und schaute mich prüfend an. Mit einem einfachen Nicken bestätigte ich ihr, dass ich soweit war. Sie öffnete die Tür ein wenig und unbemerkt schlüpften wir in den Ballsaal. Augenblicklich erhöhte sich die Temperatur, Schuld daran waren die vielen Menschen.

Damen in prunkvollen Kleidern mit geschmückten Häuptern flüsterten hinter vorgehaltenen Fächern miteinander, Männer in stolzen Uniformen und glänzenden Orden tranken Wein, Diener streiften ungesehen durch die Massen und füllten Gläser auf oder räumten Teller ab. Gegenüber der großen Tafel, in der Mitte des Saals, an der König und Königin speisten, war ein goldenes Podest aufgebaut, auf dem ein schwarzer, glänzender Flügel stand. Der Pianist ließ seine Finger anmutig über die Tasten gleiten ohne auch nur eine davon zu berühren. Anscheinend hatte auch er sich schon eingespielt und wartete darauf, sein Konzert zu beginnen. Er wartet auf mich.

Miss Souris drängte mich vorwärts und schob mich am Rand der Gesellschaft entlang, direkt auf das Podest zu. Widerstandslos ließ ich mich führen, auch die Hand des Pianisten nahm ich zur Hilfe, um auf das Podest zusteigen, wie es sich für eine anständige Dame ziemte, obwohl ich das auch sicherlich alleine geschafft hätte.

„Wissen Sie, Jamie, dass Ihr Name seit Tagen in allen Gesprächen zuhören ist? Man munkelt, dass Ihre Stimme so rein und klar klingt, dass selbst die vergessenen Götter zurückkommen würden, um zu lauschen" Es überraschte mich nicht, dass auch der Pianist meinen Namen kannte und gleichzeitig lieferte er mir auch die Antwort woher er ihn kannte. Doch warum tratschten die Leute nur über mich? Woher kannten sie mich? Unmöglich konnte das Aufsehen, das mein Talent genoss, den ganzen Weg von Rhoa bis in die Hauptstadt gemacht haben. Es gab Hunderte, die sich so ihr Geld verdienten.

Nightingales CageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt