Kapitel 6 - Jamie

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Die Stadt war erbaut auf einem sanften Hügel, trotz der unüberwindbaren Stadtmauern, konnte man sie im Falle eines Angriffs leicht verteidigen. Die Geschäfte aus hellem Stein und ihren bunten Markisen strahlten fröhlich in der Nachmittagssonne und bildeten den äußersten Ring der Stadt. Hier tummelten sich die Reichen und schlenderten gemütlich umher, während Näherinnen, Bäcker und Juweliere versuchten ihre Wahren zu verkaufen. Nicht anders als zuhause lief auch hier alles unter dem Augen der Wachen ab, wenngleich sie viel diskreter waren und keine Waffen offen zur Schau stellten. Wir rollten mit dem Auto, nicht schneller als Schrittgeschwindigkeit, an neugierigen Passanten vorbei, die sich die Hälse verrenkten um ein Blick ins Innere zu erhaschen. Die breite Paradestraße, auf der wir abbogen, verlief in einem unnatürlich geradem Weg direkt auf den Palast zu und ich beobachtete die Veränderung gespannt durchs Fenster. Denn je näher wir dem Palast kamen, desto größer und prunkvoller wurden die Anwesen, mit Gärten so groß wie Obstplantagen. Anscheinend gab es selbst unter den Adeligen Unterschiede die ich nicht kannte. Doch all die ohnehin schon beeindruckenden Villen waren nichts im Vergleich zu dem Palast, der im Herzen der Stadt aufragte. Ich stieg aus dem Auto aus und riss den Kopf in den Nacken, doch selbst dann konnte ich nicht das ganze Ausmaß erfassen. Die Sonne spiegelte auf dem grauen Marmorwänden und Fenster so hoch wie Türen waren darin eingelassen. Säulen säumten den Treppenaufgang und der Vorderteil wurde von einer Kuppel gekrönt, die scheinbar im Himmel verschwand. Die Fassade war schmucklos, doch trotzdem raubte mir der Anblick den Atem.

Wir schritten die prachtvollen Treppen zum Eingangsbereich empor und es trennten mich nur noch wenige Räume von dem König. Ich schluckte schwer, als die zwei Wachen, die uns die ganze Zeit begleitet hatten, das massive Portal aufdrückten. Dahinter erschien eine geräumige Empfangshalle, die weit aus protziger war, als das Äußere vermuten ließ. Über die Decke zog sich ein verblassendes Gemälde eines Basilisken, der mit angsteinflößenden Augen auf mich nieder starrte. Ich zögerte auf der Schwelle, die Ungewissheit was mich erwarten würde machte mir zu schaffen. Nur einen Schritt müsste ich in diesen wunderschönen Käfig setzten und man könnte alles mit mir machen. Alles. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab und mir kam der Gedanke zu fliehen. Doch wohin? Ich blickte mich nach rechts und links um, als gäbe es tatsächlich eine Möglichkeit von hier zu verschwinden, doch das waren lächerliche Vorstellungen einer Närrin. Und als hätte Miss Souris die Absichten hinter meinen Blicken erahnt, durchquerte sie zügig die Empfangshalle, womit ich gezwungen war ihr zu folgen.

„Der König wartet nicht gerne und du willst ihn doch nicht reizen. Ich habe gehört er soll heute keine gute Laune haben", sagte sie mit einer Gelassenheit, während sie unbeirrt auf einen Gang rechts neben der Treppe, die nach oben führte, zusteuerte. Auch wenn diese Worte nur dazu da waren mir angst zu machen, stolperte ich dennoch unbeholfen hinter ihr her, um sie so schnell wie möglich einzuholen. Ich biss die Zähne auf einander, innerlich tadelte ich mich selbst dafür, trotz solch leerer Worte zu spuren wie ein gut dressiertes Pferd. Ich hatte zu viel Angst um etwas zu erwidern, es war dieselbe Angst die einem ganzen Land die Sprache verschlug und der Verantwortliche dieser Angst war...Abrupt kam ich vor einer Tür zum Stehen. Anscheinend hatte ich mich so in meinen Gedanken verloren, dass mir erst jetzt bewusst wurde das wir vor dem vermeintlichen Thronsaal standen, doch das war schwer zu sagen, da diese Tür so unscheinbar wirkte wie jede andere. Blindlings war ich Miss Souris gefolgt und hatte meine Aufmerksamkeit nicht darauf gelegt wohin wir gelaufen waren.

Verdammt.

„Man wird dich hereinrufen, erst dann betrittst du den Raum. Sei respektvoll und denke dran dich zu verbeugen!", mahnte sie mich, bevor sie hinter den Türen verschwand. Eine unerträgliche Stille legte sich über den Flur in dem ich stand, kaum das Miss Souris verschwunden war. Keine Wachen, kein Gemurmel andere Höflinge war zuhören, nicht einmal ein Dienstmädchen, das unbemerkt wie ein Schatten umher huschte. Mein Körper spannte sich wie eine Bogensehne vor Nervosität und ich zwang mich meine Atmung zu kontrollieren. Minuten oder waren es vielleicht doch nur Sekunden zogen sich dahin. Es fühlte sich an, als würden meinen Nerven gleich zerreißen so groß war die Anspannung, als endlich mein Name gedämpft hinter der Tür erklang. Mit zitternden Händen schob ich mir eine Strähne hinters Ohr, tat einen Schritt nach vorne und drückte die Tür vorsichtig auf. Ein letztes Mal atmete ich tief ein, beruhigte mein rasendes Herz, bevor ich den Thronsaal mit gesenktem Blick betrat. Ein Schritt vor den anderen, dachte ich mir, denn meine Knie drohten unter meinem Gewicht nachzugeben, während ich auf den König zuschritt, beobachtet von allen Anwesenden. Ich fühlte ihre Blicke und wie sie sich in meine Haut brannten, angewidert und doch zu gleich neugierig, was ein solch schmutziges Mädchen, wie mich, veranlasste hier zu sein.

Nightingales CageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt