Kapitel 5 - Jamie

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Tage wurden zu Wochen und die sommerliche Hitze nahm mit jedem weiteren Tag der verging zu. Mit jedem Auftritt wuchs mein Publikum und mit ihm auch mein Selbstbewusst sein. Der kleine Beutel, versteckt unter meinem Kissen, füllte sich beachtlich schnell, sodass ich bald schon ein neues versteck für das Geld suchen musste. Weder Mutter noch Vater schöpften Verdacht und Holly bewahrte unser Geheimnis gut. Dennoch forderte es seinen Tribut, die ständige Müdigkeit verfolgte mich noch hartnäckiger als sonst.

Ich wachte aus einem kurzen Schlaf auf. Träge schwang ich mich von meiner Pritsche und schleppte mich ins Bad, dort drehte ich den Wasserhahn auf und hielt meine Hände unter das eiskalte Wasser, das in einem schwachen Rinnsal aus der alten Leitung tropfte. Sachte wusch ich mir das Gesicht in der Hoffnung davon wach zu werden. Ein Schauer wanderte durch meine Körper, als mich die Kälte traf. Ich blickte in den Spiegel, meine Haare standen unordentlich von meinem Kopf ab und dunkle Ringe zeichneten sich unter meinen Augen ab. Doch trotz der ganzen Anstrengungen der letzten Wochen schien meine goldene Haut förmlich zu strahlen, ebenso wie meine Hoffnung. Mit jedem Diné, den ich verdiente, schöpfte ich neue Kraft, ertrug ich die Arbeit und das Leben unbesorgter. Nachdem ich mich angezogen und meine Haare gebändigt hatte, begab ich mich nach unten. Normalerweise verließ ich das Haus am Morgen ohne etwas zu essen, da wir uns den Luxus eines Frühstücks nicht wirklich leisten konnten, doch auf einmal verspürte ich eine große Lust genau das zu tun. Ich hatte genug Geld verdient, um einen feinen Leib Brot zu kaufen, oder vielleicht sogar zwei und gezuckerte Marmelade. Bei diesem verlockenden Gedanken von Normalität zog ich meine Lederstiefel vor der Tür wieder aus. Heute würde ich nicht in die Fabrik gehen, um mich zu Tode zu schuften. Es war mir egal welche möglichen Konsequenzen das nachziehen würde, doch meine Familie hatte nichts zu fürchten, dafür sorgte mein Talent.

Ich ging zu unserem alten grünen Sofa und legte mich hin. Sicherlich würde ich nicht mehr einschlafen können, dennoch schloss ich meine Augen um mich ein wenig zu entspannen. In Gedanken kehrte ich noch einmal zu den letzten Auftritten zurück, sog das berauschende Gefühl von jubelnden Menschen, vibrierenden Zähnen und erschöpften Lungen in mir auf. Jedes Mal merkte ich wie meine Augen durch das Publikum wanderten und eine ganz bestimmte Person suchten. Asran war nach unserer ersten Begegnung noch ein paar Mal dagewesen, bis seine Besuche aufhörten. Leider fand ich nie die Gelegenheit mit ihm zu reden, denn so plötzlich er auftauchte, so plötzlich verschwand er auch wieder. Sein frühzeitiges verschwinden stimmte mich aus unergründlichen Dingen traurig. Ob er mich schon vergessen hat? Er trifft täglich so viele Menschen, möglich wäre es.

Als dann schließlich die Sonne aufging, verließ ich das Haus mit einem Beutel Münzen und einem Korb. Gemütlich schlenderte ich über den Marktplatz, der wie ausgestorben war, da die meisten Arbeiten waren, oder sich vor der flirrenden Hitze nach drinnen retteten. Fröhlich plauderte ich mit den Verkäufern, kaufte frisches Roggenbrot, das herrlich duftete und die süßeste Apfelmarmelade die ich finden konnte. Der Tag kann nur gut werden, dachte ich mir. Zuhause angekommen deckte ich den Tisch und bereitete alles vor. Die Gesichtsausdrücke von Mutter und Holly waren unbezahlbar, als sie die Treppe hinunterkamen. Holly sprühte vor freudiger Überraschung. „Jamie woher kommt das ganze Essen? Dafür haben wir nicht das nötige Geld", sagte Mutter besorgt. Ich verkniff mir ein kleines Schmunzeln, als ich zu Holly blickte, die mich verschwörerisch angrinste. Sie wusste genau woher das Geld kam. „Lass das mal meine Sorge sein Mom", war alles was ich dazu sagte und mit einer ausladenden Handbewegung bat ich sie zu Tisch, „Und nun lasst uns essen".

Die Uhr schlug 11 Uhr, als ich glücklich und mit gefülltem Magen die Teller abräumte. Eine Kleinigkeit ließ ich für Vater draußen stehen, bevor ich Marmelade und Brot im Schrank verstaute. Noch eine ganze Weile saßen wir drei plaudernd am Tisch und unser Lachen erfüllte das Haus wie Musik, als es plötzlich an der Tür klopfte. Ich sah Mutter an und fragte verwirrt: „Erwarten wir Besuch?". Sie schüttelte den Kopf und sofort stand ich auf. Holly kam angelaufen und stellte sich dicht neben mich, während ich wachsam beobachtete wie Mutter zu Tür ging und sie ein Spalt breit öffnete. Eine unbekannte Frauenstimme ertönte und murmelte etwas undeutlich. Meine Anspannung verstärkte sich, als eine zweite tiefere Stimme hinzukam. Ich unterdrückte das Verlangen selbst zur Tür zu gehen um unsere Besucher in Augenschein zu nehmen, da öffnete Mutter die Tür ganz und gab den Blick auf eine Frau und zwei muskulöse Riesen frei. Das unangenehme Gefühl, das hier etwas nicht stimmte, breitete sich weiter in mir aus, weshalb ich nach Hollys Hand griff und sie festdrückte. Sie erwiderte den Druck und blickte mich unsicher an. Irgendetwas stimmte mit diesen Männern nicht, woraufhin ich sie genau musterte. Mein Atmen stockte, als mein Blick an den in Gold gestickten Basilisk hingen blieb. Königswächter. Der Himmel drohte über mir einzubrechen und alles was ich konnte war dazustehen und zu zusehen wie sie eintraten. Die Frau lief lächelnd direkt auf mich zu, ihre perfekten Locken wippten im Takt ihrer Schritte. Die Wachen flankierten sie, die Waffen im Anschlag bereit zu schießen falls nötig. Ich hörte wie Mutter ihnen etwas zu trinken anbot mit einer Selbstverständlichkeit und Ruhe die ich nicht von ihr erwartet hätte, doch mir viel ein das sie als Rebellin schlimmerem gegenübergestanden hatte. Freundlich lehnte die Frau ab und zog stattdessen einen Brief aus ihrer Tasche. „Von Ihrer Majestät König Varon von Arona, wenn sie gestatten lese ich vor", sie schaute meine Mutter an die zustimmend nickte. „Auf Befehl des Königs wird Jaime Quinn ohne Umwege so schnell wie möglich und mit sofortiger Wirkung in die Hauptstadt eskortiert, wo sie genaueres in einer Audienz mit Ihrer Majestät höchstpersönlich erfahren wird". Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, es war ein. Klarer Befehl und sie würden mich der Gnade des Basilisken aushändigen. Doch warum ich?!

Nightingales CageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt