Kapitel 17 - Nesryn

11 1 4
                                    


Je weiter wir nördlicher fuhren, desto mehr sehnte ich mich nach meinem Zuhause. Ich vermisste jetzt schon die trockene Hitze der Südlande, selbst wenn in Arona Sommer war und die Menschen schwitzten, die ich durch die getönte Scheibe des Wagens beobachtete, so konnte man ihn nicht mit dem Sommer in Rivera vergleichen.

Ich wand den Blick ab und lehnte mich tiefer in den gepolsterten Sitz des Fahrzeugs, ich hatte genug von diesem Fremden Land gesehen. Jedes Dorf an dem wir vorbei fuhren war armselig, nicht die absolute Armutsgrenze, aber dennoch sehr nah dran. Wenn ihre Dörfer so aussahen, wollte ich dann überhaupt die Hauptstadt sehen? Nun in wenigen Stunden würde ich es erfahren. Doch in der Zeit hatte ich mich zu gedulden, ich würde noch lange genug in der Hauptstadt verweilen, denn Vater hatte nie erwähnt wie lange der Aufenthalt dauerte. Er hatte sich am Tag meiner Abreise lediglich mit einem, ich werde dich vermissen, und einem unsagbar traurigem Lächeln verabschiedet. Auch auf Mutter und meiner kleine Schwester hatte diese eigenartige Trauer gelastet, wahrscheinlich waren sie in Sorge, um mein Wohlergehen, da allseits bekannt war, wie sehr der König von Arona unser Land hasste für einen Mord den wir nie begangen hatten. Aber anscheinend war er bereit uns zu vergeben, wenn er mich, als Botschafterin an seinen Hof einlud. Der Einzige der mich strahlend Lächelnd verabschiedet hatte war Minjo. Minjo. Ich seufzte leise, ihn würde ich neben meiner geliebten Familie am meisten vermissen. Er war mein bester Freund, meine Sonne und mein Mond und ich liebte ihn, genauso wie er mich. Ich könnte diese Liebe von dem höchsten Turm des goldenen Palastes in die Welt hinausschreien, jedoch war es keine kluge Idee, da niemand von uns erfahren durfte. Es lag nicht daran das Minjo zu wenig Geld hatte, ganz im Gegenteil er war einer der reichsten, jüngst und erfolgreichsten Kaufmänner des Landes. Er war gebildet, wusste mit Worten umzugehen und verdankte seinem klugen Kopf und gerissener Art seinen Erfolg, desweiteren genoss er hohes Ansehen und Wohlwollen bei meinem Vater, also eigentlich die besten Voraussetzungen um um meine Hand anzuhalten, wären die verdammten Traditionen nicht.

Der Adel heiratet nie unter seinem Stand, nur seines gleichen, um die Reinheit der royalen Blutlinien zu garantieren, hörte ich mein Kindermädchen und spätere Anstandsdame tadeln sagen.

Das hieß im besten Fall, dass man seinen Seelenverwandten unter den Adelssprösslingen fand, oder man heiratete aus politischen Gründen. Angewidert kräuselten sich meine Lippen bei diesem Gedanken, doch trauriger Weise war dies die Realität. Meine Realität. Denn Minjo war reich, ja, aber es floss kein Tröpfchen blaues Blut durch seine Venen und das machte es uns unmöglich. Im Kreise des niedrigem Adel wurden diese Traditionen, die aus der Zeit unserer heiligen namenlosen Götter stammten, nicht immer ernst genommen. Dort konnte es dazu kommen, dass eine unbedeutende Lady einen reichen Kaufmann heiratete, so lang es der Familie zu mehr Wohlstand und ansehen verhalf. Nur war ich eben keine einfache Lady, sondern die stolze Erbin eines Thrones, den ich wollte, und eines stolzen Landes, das ich über alles liebte. Nicht nur einmal habe ich in den dunklen Moment kurz vor dem Einschlafen darüber nachgedacht abzudanken, um ihn zu heiraten, um für immer an seiner Seite zu sein. Der Verlust jedoch wäre hoch. Ich würde meine Familie entehren und verlieren und allein der Gedanke daran löste einen tiefen Schmerz in meiner Brust aus, doch die Zukunft die sich dadurch erbot war verlockend.

„Diese Traditionen", murmelte ich vor mich hin und verschränkte die Arme vor der Brust und kuschelte mich tiefer in den gepolsterten Sitz, um es mir die letzten Stunden noch bequem zu machen.

Das nächste Mal als ich aus dem Fenster schaute fuhr der Wagen auf einen weiten Platz der unweigerlich zum Palast gehörte, da wir hielten und der Motor erlosch. Unruhig öffnete ich meine Autotür selbst und stieg ins Freie aus, was eine wahre Erlösung für meine Beine war, die ganz steif von der langen Fahrt waren. Ich raffte die Röcke, als ich einen Schritt auf den weiß – schwarzen Boden setzte und bemerkte das der Platz wie ein riesiges Schachbrett angeordnet war.

Nightingales CageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt