❄︎𝗛𝗼𝗹𝗹𝘆❄︎
Tage vergehen. Die Zeit fließt nur so an mir vorbei, ohne dass ich es merke. Manchmal habe ich Angst, in das Loch zu fallen. Das große schwarze Loch, denn ich hänge mit den Fingerspitzen am Abgrund und manchmal will ich stürzen. Doch wenn ich versuche loszulassen, sind da diese grünen Augen. Diese unglaublich grünen Augen, die mich bitten dazubleiben in meinen Träumen, in Momenten, immer dann wenn ich nicht mehr will. Dabei gehören die grünen Augen zu jemanden, der seit Tagen nicht mehr in die Mensa kommt. Wo bist du Noah?Die Zeit fließt und die Uhr geht stetig weiter. Meistens langsam. Nur schwer scheint sich der Zeiger vom Zifferblatt zu lösen, doch sie geht. Die Zeit geht. Sie bewegt sich, ohne Pause und Rast. 《Wirst du nie müde? Wieso?》frage ich. 《Nein.》antwortet sie. Ich werde wirklich verrückt hier drinnen. Habe ich gerade ernsthaft laut mit einer Uhr gesprochen? Habe ich mir gerade ernsthaft eingebildet, die Uhr würde mir ein Nein zuflüstern? Ich muss wirklich verrückt geworden sein.
Die Zeit vergeht, ohne weitere Gespräche mit der Uhr und ehe ich mich versehe, ist es Weihnachten. Das erste Mal seit einer Woche wache ich mit einem Lächeln im Gesicht auf. Sogar die Klinik hat Erbarmen und gibt uns heute einen freien Tag. Zwar dürfen wir nicht raus, aber alle Sitzungen sind abgesagt für heute.
Ich nehme mir ein Buch in die Hand. Ja, ein Tag nur im Schlafanzug klingt vielversprechend. Der Titel lautet "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak. Das Buch ist gut. Der Schreibstil klingt vielversprechend. Schnell wird klar, dass der Erzähler der Tod ist. Doch, was ich an diesem Buch mag. Der Tod wird hier nicht als böser Sensenmann dargestellt. Er verfolgt auch nicht die Menschen. Vielmehr ist er von Menschen verfolgt und steht vielem neutral gegenüber. Er hat keinen Lichtblick in seinem Leben, bis dort jemand ist. Nichts weiter Besonderes, nur ein Kind, nur ein kleines Kind, was sich über ihren toten Bruder beugt und nachher bei seiner Beerdigung ein Buch stielt. Und dennoch will er mehr von dem Mädchen wissen. Er verfolgt es, sieht es zwei weitere Bücher stehlen, macht Bekanntschaft mit ihrem Umfeld. Es ist nur ein Kind. Ein Mädchen, was im zweiten Weltkrieg aufwächst. Von neun zu vierzehn Jahren altert. Es endet traurig. Drei dicke Tränen kullern meine Wangen hinab und ich will den Autor anschreien. Ich will ihn anschreien, fragen, wieso er das getan hat. Wieso er den Tod in diese Stadt gebracht hat. Und da wird mir klar, dass das Buch wirklich gut war. Der Schreiber hat in mir Emotionen hervorgerufen, wie es noch kein anderes Buch geschafft hat.
Ich gucke auf die Uhr und dann aus dem Fenster. Ist es wirklich schon 17 Uhr? Wie kann es so spät sein? Eben war doch noch 10 Uhr. Habe ich wirklich sieben Stunden gelesen? Ohne Essen, ohne Pause? Das Buch war zu fesselnd. Wirklich viel zu fesselnd.
Ich begebe mich ins Bad. Vielleicht sollte ich mich duschen und anziehen. Wenigstens am Weihnachtsabend möchte ich halbwegs schön aussehen. Ich verwende das Duschzeug, was mir zugeschickt wurde von Mum und Dad. Ich habe es extra für besondere Anlässe aufbewahrt. Ich seufze als ich den Duft auf meinem Körper wahrnehme. Einen Tag kein ekliges Klinikshampoo und Duschgel verwenden. Nur einen Tag. Nur einen Tag wieder den Alltag meines Lebens bevor sich die Ereignisse überschlugen, fühlen. Nur einen Tag über nichts traurig sein. Nur einen Tag ohne Schuldgefühle. Diesen einen Tag werde ich hinkriegen. Denn heute ist Weihnachten und Weihnachten ist besonders. So viel schöner als mein Geburtstag. Auch soviel schöner als Silvester oder Halloween. Weihnachten muss gefeiert werden in unserem Herzen. Und ich werde Weihnachten feiern.
Ich steige aus der Dusche und wickele mich in ein flauschiges Handtuch. Ich ziehe mich an und lege mir etwas Wimperntusche, Rouge und einen dunkelroten Lippenstift auf meine vollen Lippen auf. Leider hat mir niemand ein schönes Kleid zugeschickt, aber das ist jetzt egal. Mein Magen knurrt und ich überlege kurz, ob ich mich in die Küche stehlen und mir dort etwas klauen soll, aber dann verwerfe ich den Gedanken wieder. Es gibt ja in einer Stunde sowieso Essen.
Plötzlich klopft es an der Tür. Langsam gehe ich dort hin und öffne sie. 《Überraschung!》ruft jemand und plötzlich finde ich mich in seinen Armen wieder. 《Dad, ihr seid da. Ich habe euch so vermisst.》Ich drücke Dad noch fester an mich. Dann tippt mich jemand von hinten an. Es ist Olivia, meine kleine Schwester. 《Livy!》rufe ich glücklich. Ich drücke sie ganz fest an mich. Erstaunt stoße ich sie plötzlich von mir.《Du bist ja schon fast so groß wie ich.》Stolz nickt die kleine oder auch große Livy. 《Aber du bist doch erst 12? Wie? 》Livy grinst.《Tja, musst du dich eben damit abfinden, dass ich dich schon bald überragen werde.》Ich grinse.《Noch bin ich größer als du!》Frech lächelt sie mich an.《Noch.》
Und dann schiebt sich Mummy vor sie.《Jetzt lass mich mein großes Kind doch auch mal drücken.》und stößt Livy sanft beiseite. Gespielt keucht Livy auf und macht schon Anstalten Mummy zurückzuschubsen, als Dad sie bei den Schultern packt und ihr irgendetwas von 《Lass Mummy doch auch mal.》ins Ohr flüstert, bleibt sie bei ihm stehen und erklärt sie würde nun mit Daddy zum Auto gehen.Mum löst sich aus meiner Umarmung und bugsiert mich ins Zimmer.《 Naja, wir durften dich nicht zu uns holen, also dachten wir, wir holen Weihnachten zu dir. Und nachdem ich dann noch sah, dass an Weihnachten Familienangehörige hier erlaubt sind, war die Sache geritzt.》 Mum blickt hinter sich und dort steht Livy in der Tür mit einem kleinen Weihnachtsbaum, der fast die ganze Livy verdeckt im Arm. Schwer keuchend stellt sie ihn vor mir ab. Dankend nicke ich ihr zu und erlaube ihr auf meinen Schoß zu krabbeln.
Dann keuche ich erneut auf, als Daddy mit einem Haufen von Geschenken und einem Kleid in der Hand dort steht.《Wir wissen doch wie sehr du es liebst, dich an Weihnachten schick zu machen.》Ich falle ihnen allen gleichzeitig um den Hals. Unbändiges Glück durchströmt mich.《Danke, danke und nochmal danke. Ihr seid alle so lieb zu mir.》《Ach Schatz.》Mum streichelt meinen Arm.《Das ist doch selbstverständlich. Wir sind doch deine Familie.》《Die Geschenke darfst du aber erst morgen öffnen. Wir sind ja hier in Amerika und nicht in Deutschland oder so.》Ich nicke unter Tränen lächelnd.《Natürlich Livy.》
《Aber jetzt lasst uns mal Essen gehen.》ertönt Dads Stimme von der Tür aus. 《Ich habe Hunger. Natürlich gehen wir erst wenn du dein Kleid angezogen hast.》fügt er noch hinzu.Der Abend ist voll von Lachen, weinen und Umarmungen. Meine Familie erzählt mir die neuesten Dinge aus der Außenwelt und was ich alles verpasst habe und wie Olivia ihre erste Fünf bekommen hat. 《In Mathe natürlich.》fügt sie erklärend hinzu. Schließlich müssen sie gehen. Ich kehre wieder in mein Zimmer zurück. Es wirkt so leer ohne sie. Jedoch kann ich Ihren Geruch immer noch vernehmen. Zuhause, endlich riecht es hier nach Zuhause. Glücklich schlafe ich ein. Die Nacht verläuft traumlos.
⌨︎A/N☕︎
Na, wie findet ihr Hollys Familie so?Ich dachte, wenigstens wenn im Buch Weihnachten ist, brauche ich mal ein schönes Kapitel.
Übrigens habe ich die Bücherdiebin erst kürzlich gelesen und das Buch ist wirklich gut geschrieben. Am Anfang musste ich etwas reinkommen aber danach war ich wie gefesselt. Kleine Buchempfehlung am Rande hihi.
Have a nice day.
DU LIEST GERADE
How to live
Romance1. Platz beim Autumn Leaves Award "Das erste, was ich wahrnehme sind grüne Augen. Grüne Augen, die den Raum abscannen. Grüne Augen, die gleichzeitig leer und voll sind. Grüne Augen, die so angefüllt mit neuen Eindrücken und Emotionen sind und gleich...