"Die Papiere bitte!" Man hörte es bis hier hinten. Die Schlange war lang und die zwei stämmigen Männer vor ihr sahen nicht so aus, als würden sie einen einfach so vorbeilassen. Ausnahmslos wurde jeder nach seinen Einreisepapieren gefragt. Laut und deutlich vor allen anderen. Ich hasste sowas, aber wenn ich nach Stormbrooke wollte, musste ich da durch. Anders kam man ja laut Miranda nicht rein.
Wir bewegten uns einen Schritt nach vorne. Es ging zäh voran. Vorallem als dann noch ein alter Mann entdeckt wurde, der nicht in diese Reihe gehörte. So wie ich das verstanden hatte musste er nach Stoneworth und hatte die falsche Abzweigung genommen. Laut den Muskelprotzen am Eingang ein fataler Fehler. Zumindest ärgerten sie sich dementsprechend. Einer von ihnen packte den Mann unsanft am Arm und führte ihn zur Gabelung zurück, während der andere weiter seinem Job nachging. Aber eben langsamer.
Gelangweilt standen die Leute auf der Brücke herum. Wenigstens das war ein Highlight. Überall, rund um diese war nämlich Himmel. Strahlend blauer Himmel. Ein paar Wolken waren auch dabei, aber die waren klein und versteckten sich teilweise unter dem Steg. Wir mussten echt hoch über der Erde sein. Komischerweise war es hier auch gar nicht so kalt wie erwartet, ganz im Gegenteil: Die Fackeln auf den Geländer spendeten genug Wärme für alle. Trotzdem bließ der Wind mir immer wieder meine Haare ins Gesicht, was ziemlich nervig war.
Ich beobachtete weiter die Gegend. Eine Mauer umgab die schwebende Stadt vor uns. Hinter dem Tor, wovor jetzt nur noch ein Typ stand, erhob sich eine riesige Dächerlandschaft. Alle Arten von rot strahlten mir entgegen. Viel konnte man von meinem Standpunkt aus nicht erkennen, aber ich bildete mir ein, dass hinter der Maueröffnung ein riesiger Platz war, auf dem ein wunderschöner Brunnen sein Wasser sprudeln ließ. Drumrum standen Häuser, bei denen teilweise die Ladenschilder herunterhingen. Menschen liefen über den Platz, saßen in Café's und unterhielten sich.
Vor mir stand eine Frau, die die ganze Zeit nervös auf ihren Füßen hin- und herwippte. Gerne hätte ich ihr gesagt, dass das hier nur ein Traum ist und der Mann ganz vorne ihr nichts antun kann, aber dann wäre vermutlich der Traum vorbei gewesen und das wollte ich nicht. Es war gerade zu schön. Ich wurde von der Seite angesprochen. "Hi, ich bin Daisy und wer bist du?"
Ein kleines Mädchen sprang neben mir aufgeregt auf und ab. Mit funkelnden Augen schaute sie zu mir herauf. Ich musste schmunzeln. Das ist jetzt schon das dritte Mal, dass ich mich vorstellen muss an einem Tag. Neuer Rekord würde ich sagen! "Ich heiße Seraphina." Sie lachte. "Der Name ist komisch!" Jetzt musste ich auch lachen. "Du kannst mich ja Phinchen nennen. Das tun meine Freunde auch." Ihr Lächeln erlischte. Oh-oh.
"Was ist los?" Ich ging neben ihr in die Hocke. Die Tränen begannen zu kullern. "Ich werde sie nie wieder sehen.", schluchzte sie. Was? Wen? "Wen meinst du?" "Meine Freunde." Sie warf sich in meine Arme. Überfordert streichelte ich über ihren Rücken. Er vibrierte bei jedem Schluchzer. Was meint sie damit, ihre Freunde? Hat sie wirklich keine? Dann war das ein ganz schlechtes Thema... Suchend blickte ich die Schlange runter. Nirgends war ein Elternteil, das sein Kind suchte zu sehen. "Hey... du hast doch jetzt mich. Ich bin deine Freundin, okay?" Die Schluchzer hielten inne. Meine Hand fuhr solange weiter auf dem kleinen Körper hoch und runter, bis sie sich langsam wieder beruhigt hatte und die Krokodilstränen versiegt waren. Sie löste sich von mir und nickte, schon wieder mit einem kleinem Lächeln im Gesicht. "Okay." Gott sei Dank. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Inzwischen war die Reihe auch schon ein bisschen weiter nach vorne gerückt. Hand in Hand stellten wir uns wieder hinter die nervöse Frau, die sich bei Daisy's kleiner Heulattacke nur kurz umgedreht und dann wieder abgewendet hatte. Daisy erzählte mir Sachen aus ihrer bisherigen Zeit im Kindergarten und an manchen Stellen musste ich sogar auch schmunzeln. Kinder sind einfach so süß. Irgendwann kamen wir dann auf das Thema Eltern, bei welchem ich gleich mal eine Frage stellte, die mir schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte: "Wo sind deine eigentlich?"
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Dead Days
Fantasy》Mein Atem wurde immer weniger. Meine Augenlider wogen Tonnen. Nein Seraphina! Du schläfst jetzt nicht ein! Bleib wach!, ermahnte ich mich selbst. Aber es war so schwer... Mit verschleiertem Blick beobachtete ich meine Eltern und meine Schwester. Im...