Chapter 8

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Die Nacht hatte ich heulend in meinem Zimmer verbracht. Meine Taschentücher sollten eigentlich mittlerweile leer sein, so viel hatte ich geweint. Waren sie aber nicht. Die Taschentuchbox sah genauso aus wie davor. Mein Kopfkissen sollte durchweicht sein, war es aber nicht. Ich hatte viele Sachen heute Nacht über mich herausgefunden. Ich konnte den Kugelschreiber so oft ich wollte auf den Boden schmeißen, er kam nie auf. Jedes Mal, wenn ich ihn fallen ließ, lag er im selben Moment wieder neben mir.

Zudecken konnte ich mich auch nicht. Es war, als hätte sich die Decke gegen mich verschworen. Sobald ich mich hingelegt hatte, gab es einen kleinen Ruck und die Decke lag zusammengefaltet am anderen Ende des Bettes. Ich hatte alles versucht, wollte irgendwie beweisen, dass ich falsch lag. Sämtliche Utensilien, wie Kochtöpfe, Gläser ode sogar eine Fahrradklingel hatten nichts gebracht. Sie hatten mich weder gehört, noch gesehen. Ich war ein Geist. Und so wie es aussah, auf unbestimmte Zeit.

Zwischendurch war Thea kurz vorbeigekommen, hatte ihre Klamotten geholt und war dann wieder verschwunden. In der Hoffnung, sie würde mich entdecken, nahm ich ihre Klamotten aus dem Koffer und versuchte sie anzuziehen, aber vergeblich. Alles, was ich damit erreicht hatte waren imaginäre blaue Flecken auf meinem Hintern und ein noch schnelleres Verschwinden meiner Schwester. Da sie ganz rein offensichtlich nichts mit unseren Eltern zu tun haben wollte, versuchte ich außerhalb des Hauses mit ihr zu reden. Fehlanzeige. Bis zum Gehweg hatte ich mir meinen Mund fusselig gequatscht und zwei Kieselsteine im Schuh, aber keine Reaktion ihrerseits.

Ich wollte ihr noch weiter folgen, klatschte dann aber, sobald wir durch das Gartentor gingen, gegen eine unsichtbare Wand, die mich sofort wieder auf unser Grundstück schleuderte. Schreiend und mit Anlauf rannte ich immer wieder dagegen. Sie war meine Schwester! Ich musste ihr folgen! Sie würde es verstehen! Irgendwann, Thea war schon längst in das Auto einer Freundin eingestiegen und davongefahren, gab ich auf. Eine weitere Regel als Geist: Du darfst nie dein Haus verlassen.

Erledigt sank ich an der Wand herunter. Wiedereinmal liefen dicke Krokodilstränen meine Wange hinunter. Ich kam hier nicht weg. Nie wieder. Verzweifelt raufte ich mir die Haare. Was sollte ich denn tun? Warten und Däumchendrehen? Das war mir zu langweilig. Die Tulpen, die meine Mum sorgfältig neben der Grünfläche angepflanzt hatte, wehten im Wind. Die Bäume raschelten. Eigentlich war es ein wunderschöner Tag, die Sonne schien, kaum ein Wölkchen war zu sehen und es war total warm. Für jeden anderen Menschen traumhaft. Für mich einfach nur der blanke Horror. Warum konnte es denn jetzt nicht regnen? Es sollte gefälligst blitzen, der Himmel soll sich verdunkeln und am besten sollte so viel Regen fallen, dass es eine Überschwemmung gab. Und hageln, hageln sollte es auch.

Ich stieß einen leisen Schrei aus und wimmerte vor mich hin. War es denn zu viel verlangt? Konnte nicht wenigstens einmal in meinem Leben irgendetwas klappen? Obwohl, es war ja kein Leben mehr in mir. Mein Körper lag vermutlich irgendwo in einem Sarg, begraben auf einem Friedhof. Hoffentlich war wenigstens der Grabstein schön. Ob sie wohl Blumen dort eingepflanzt hatten? Wenn ja, welche? Meine Lieblingsblumen, Gänseblümchen?

So langsam versiegten meine Tränen. Ich stand auf und ging wieder ins Haus rein. Ewig konnte ich da ja sowieso nicht sitzen bleiben. Meine Eltern saßen wieder in der Küche. Dad las in der Zeitung und Mum stand gedankenverloren in der Küche, eine Tasse Tee in der Hand. Laut schniefend stampfte ich die Treppen hinauf. Hörten sie das? Ich streckte den Kopf nach unten. Ganz rein offensichtlich nicht. Oben angekommen ließ ich mich auf mein Bett fallen und steckte den Kopf ins Kissen. Es war zum Verzweifeln. Warum war ich hier? War das meine Strafe dafür, nicht rechtzeitig eingezogen zu sein? Hatte ich dies alles dem Tod zu verdanken? Auf keine dieser Fragen hatte ich eine Antwort parat. Und das störte mich gewaltig. Ich wollte wieder zurück! Zu Daisy, Gus, Mira und natürlich Jamiro! Sie alle waren mir in der kurzen Zeit, die ich im Totenreich war, ans Herz gewachsen. Ich konnte sie nicht einfach so vergessen. Das ging einfach nicht. Plötzlich hob ich den Kopf aus dem Kissen. Können Geister sterben?

Dead DaysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt