Die Handtasche hing auf meiner Schulter, der Haustürschlüssel zwischen meinen Zähnen. Der Ordner unterm linken Arm. In der rechten Hand mein Handy, in der linken Hand mein Portemonnaie.
Natürlich konnte ich auch Handy und Portemonnaie in meine Handtasche hineinlegen. Das wäre eine Option gewesen, hätte ich nicht verschlafen oder meine wichtigsten Utensilien in der gesamten Wohnung verteilt. Es bestände auch die Möglichkeit mein Hab und Gut bereits abends vorzubereiten, dafür müsste ich mir jedoch die Mühe machen. Das machte ich nicht. Das machte ich nie. Aus diesem Grund war ich nun auch spät dran.
Es hatte eine Ewigkeit gedauert alles zusammenzusuchen. Das Portemonnaie hatte in der roten Handtasche von Freitag gelegen und das Handy hatte ich unterm Waschbecken im Badezimmer gefunden. Ich konnte mich noch nicht einmal daran erinnern, es dort liegen gelassen zu haben.
Meine braunen Haare bändigte ein Zopf, doch kleine abgebrochene Strähnen standen in alle Richtungen ab. Die Bluse hing mir noch aus der Hose und wagte ich einen Blick an mir herab, war ich mir ziemlich sicher, dass die Schnürsenkel meines rechten Turnschuhs nicht zugebunden waren.
Froh endlich das Haus verlassen zu haben, verfrachtete ich nun doch das Handy in die schwarze Tasche und zog den Schlüssel aus den Zähnen. Der bittere Geschmack von Metall blieb auf meiner Zunge. Geschmack von Metall erinnerte mich stets an Blut. Angewidert verzog ich das Gesicht.
Ich schloss die Haustür zweimal ab. Bräche jetzt Jemand ein, haftete zumindest die Versicherung und ich stände nicht komplett mittelos dar.
Das Auto stand neben dem kleinen Schotterweg zum Haus. Ich öffnete die Beifahrertür, schmiss Ordner und Tasche hinein und schloss die Tür wieder, um mich auf die Fahrerseite zu bewegen. Sobald ich hinterm Lenkrad saß, steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss und drehte diesen.
Die Kupplung musste ich langsam und mit Bedacht kommen lassen, das alte Mädchen wollte nicht mehr, wie es noch ein paar Jahre sollte. Der Motor schrie auf und weckte noch die letzten müden Zellen in meinem Körper. Ja, der Wagen war alt. Natürlich brauchte ich einen Neuen. Aber reichten meine Ersparnisse dafür? Wohl eher nicht.
Ich verließ beinahe Kenmore. Die Kleinstadt in Schottland endete am Fluss Tay. Doch bevor die Stadt endete, fuhr man über diese unglaublich ruhige Landstraße. Kleine Häuschen säumten die von Bäumen umgebene Prärie. In der Ferne erblickte man das Wasser und roch die frische des Flusses und das Grün der Pflanzen. Ich konnte mir keinen anderen Ort auf der Welt als Kenmore vorstellen, an dem man die Reinheit der Natur in sich aufnehmen konnte.
Kurz bevor die Straße endete und die Brücke begann, stand ein Haus. Dieses eine Haus, das mich bereits als kleines Mädchen in meinen Träumen verfolgte. Eine schmale Straße verlief in der Nähe der Brücke fast ganze fünfhundert Meter. Am Ende der Straße stand dieses weiße Haus. Eine ausladende Veranda umrundete das komplette Gebäude. Dunkles Holz akzentuierte die Fassade und verlieh dem Haus eine moderne, dennoch rustikale Optik.
Ich wollte morgens auf der Terrasse sitzen, auf das Wasser starren und meinen Kaffee genießen, während die Sonne aufging. Es war das Haus. Dieses eine Haus, für das ich bei der ersten Gelegenheit meine Seele geopfert hätte.
Es stand jedoch nicht zum Verkauf. Auch wenn es zum Verkauf stünde, könnte ich es mir dennoch nicht leisten. Das brachte mich aber nicht davon ab regelmäßig die Immobilienanzeigen im Internet zu durchforsten, in der Hoffnung, das Haus stünde zumindest für eine Besichtigung zur Verfügung.
Ich schüttelte meinen kleinen Tagtraum ab. Ich besaß ein Haus. Ein Haus, für das mein Vater hart arbeitete, damit er es mir eines Tages vermachen konnte. Dieses Haus war mein Vermächtnis. Ich sollte aufhören von einem Haus zu träumen, dass eben nur ein Traum war. Dennoch wagte ich einen letzten Blick durch den Rückspiegel. Ein Seufzen entwich meinen Lippen. Meinen Vorsätzen in allen Ehren, das Haus verwurzelte sich dennoch in meinem Herzen.
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Blindly Fallen
RomanceAdriana, du kannst mich riechen. Du kannst mich hören. Du wirst mich definitiv auf dir spüren. Ich werde dich beherrschen. Wenn du die Maske herunter nimmst, ist das Spiel vorbei. Bist du bereit , die Kontrolle abzugeben? Bist du bereit, deine...