„Wie Franz von Assisi sagte: Der Tod ist das Tor zum Licht am Ende eines mühsam gewordenen Weges. Marianna Walkers Weg war mühsam und schwer. Gott schütze ihre Seele und schenke ihr die letzte Ruhe", beendete der Pfarrer seine Trauerrede. Ich sah auf das Loch im Boden. Nach all den schweren Jahren, nach all der Trauer und der Wahrheit, wünschte ich meiner Mutter ihren Frieden. Sie hatte meinen Vater nicht töten wollen. Es war ein Unfall gewesen. Sie hatte gelitten, mehr als ich geahnt hatte. Nicht nur, dass sie die Liebe ihres Lebens verloren hatte. Sie war dafür verantwortlich gewesen. Meine Mutter war der Abhängigkeit nicht nur der Trauer wegen verfallen. Es war die Schuld und das schlechte Gewissen, die sie in den Tod getrieben hatten. Ich hatte versucht ihr zu helfen, hatte versucht ihr beizustehen, doch meine Kraft reichte nur bedingt aus. Dieses Ende war kein schönes. Es war traurig und tat vor allem mir weh, doch es war nicht aufzuhalten. Vielleicht war es vorbestimmt gewesen.
Ich spürte Maxime festen Druck an meiner Hand. Er gab mir immer wieder Kraft und Halt, wenn ich es am meisten benötigte, und ich war ihm dafür so unheimlich dankbar. Ich brauchte ihn mehr in meinem Leben, als ich es vor mir selbst zugab. Ohne ihn, hätte ich die Wahrheit nicht so gut weggesteckt. Er war mein Fels in der Brandung und ich ließe ihn nie wieder gehen. Mit Tränen in den Augen lehnte ich mich an seine Schulter und sah mich auf dem Friedhof um. Es waren nicht viele Menschen gekommen. Es standen nur die wichtigsten Personen meines Lebens um uns herum. Leann stand neben mir und hielt meine andere Hand, während Ryan ihre hielt. Sie hatte mich zusammengehalten, als ich es selbst nicht konnte. Sie war immer für mich da gewesen. Leann war nicht nur meine beste Freundin, sie war auch meine Schwester. Eine, die ich niemals wollte, doch umso glücklicher war ich, sie an meiner Seite zu wissen.
Nicht weit von uns standen Carson Haddow und Bean MacGillivray, die sich in den letzten Wochen als gute Freunde erwiesen hatten. Sie waren für mich da und achteten auf mich. Das war meine neugewonnene Familie. Ich konnte mich glücklich schätzen, solche Menschen in meinem Leben zu haben.
Der Sarg wurde hinuntergelassen. Ein paar Sonnenstrahlen brachen aus der dichten Wolkendecke hervor und wärmten mir den Scheitel. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Meine Mutter hatte ihre Ruhe verdient. Nach all dem Leid und dem selbst erbauten Gefängnis war ich erleichtert, dass es endlich vorbei war. Ein paar Tränen fielen auf meine Wangen. Ich ließ sie herunterlaufen. Es war okay zu weinen, sich manchmal dem Schmerz hinzugeben, solange man weiterkämpfte. Der Sarg erreichte den Boden. Ich ließ Maximes und Leanns Hand los. Langsam schritt ich als Erste auf das Grab zu. Ich nahm eine rote Rose in die Hand. Mit tränenverschleierten Augen sah ich hinunter. „Ich vergebe dir, Mam. Ich hoffe, du bist jetzt glücklich", flüsterte ich dem Holzdeckel zu, ehe ich die Blume hinunterwarf. Ich wandte mich vom Grab ab und lief auf meine neue Familie zu. Der Rest der Truppe erwies ihr die letzte Ehre. Weitere Rosen landeten auf dem Sarg mit einem dumpfen Geräusch. Als letztes trat Maxime dem Grab entgegen. Er spielte mit dem Stiel der Blume, drehte sie in seinen Fingern. „Ich bin dir für deine Tochter dankbar. Ruhe in Frieden, Marianna", damit ließ er sie los und kam langsam auf mich zu.
Er schlang die Arme um meinen Körper. Sanft gab er mir einen Kuss auf den Scheitel. „Willst du noch bleiben?", fragte er mich leise. An seine Brust gedrückt schüttelte ich den Kopf. „Lass uns gehen", murmelte ich. Er ließ mich los, nur um meine Hand zu ergreifen. Leann gesellte sich zu uns und schnappte sich meine andere Hand. „Fahren wir?", hakte sie mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen nach. Ich nickte. „Ja", antwortete ich. Ohne Eile liefen wir über den Friedhof von Kenmore. Mit jedem Schritt verlor ich ein Stück meines eigenen Leids und des Schmerzes in meiner Brust. Die Ketten fielen von mir ab. Ich konnte endlich frei atmen. Es war vorbei.
Wir blieben an den Autos stehen. „Ich weiß, du wolltest keine Anschlussfeier. Wie wäre es mit dem Royal Oaks und ein paar Gläsern Whiskey?", schlug Leann neben mir vor. Ich lachte befreit über ihren Willen zurück in die Normalität zu finden. „Wir sehen uns dort", stimmte ich zu und sah zu Maxime hinauf. Ihn hatte ich gar nicht gefragt. Er schmunzelte zurück. „Steig schon ein", grummelte er nicht im Mindesten zornig. Ich setzte mich in den Wagen und schnallte mich an. Maxime ließ sich hinters Lenkrad fallen. Zärtlich legte er die Hand auf meinen Schenkel. „Geht es dir gut?", verlangte er zu wissen und sah mir prüfend in die Augen. Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln. „Es geht mir endlich besser."
Der Wagen verließ den Parkplatz. Maxime beeilte sich nicht zum Pub. Gemächlich fuhren wir die Straße entlang. „Es gibt einen Interessenten für das Haus. Er hat ein Angebot über dem Marktwert abgegeben", informierte er mich. Ich legte meine Hand auf seine. Wärme durchflutete meine kalten Finger. „Das ist doch gut, oder?" Maxime sah weiter auf die Straße. „Sehr gut sogar. Du müsstest vorerst nicht mehr arbeiten. An meiner Seite müsstest du überhaupt nicht mehr arbeiten", erwiderte er. Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. „Das gehört zu meinem Wesen. Ich kann nicht Zuhause bleiben und nichts tun", gab ich zurück. Maxime lächelte leicht. „Das verlange ich nicht. Ich möchte das alte Gebäude an der Lakestreet kaufen und eine kleine Bar eröffnen. Du wärst perfekt für die Buchhaltung und ich müsste dich nicht mehr aus den Augen lassen", gab er zurück. Ich strich mir die Haare zurück. Maxime hatte bereits an alles gedacht. Er hatte mich in letzter Zeit durchgehend beobachtet und hatte auf einen Zusammenbruch meinerseits gelauert, doch es passierte nicht. Ich war entspannt geblieben, hatte getrauert und die Geschehnisse mit seiner Hilfe verarbeitet. Es war sein Verdienst, dass ich nicht durchgedreht war.
„Ich werde es mir überlegen", gab ich zurück. Der Job in der Apotheke machte mir zwar Spaß, es war jedoch nicht mein Traumjob. Für Maxime zu arbeiten bedeutete Privilegien zu haben. Ich könnte mir meine Arbeitszeit selbst einteilen und das käme uns gelegen. Ich trug nämlich ein kleines Geheimnis in mir, dass ich ihm noch nicht gebeichtet hatte. Unser Versöhnungsabend war nicht ohne Folgen geblieben, denn scheinbar hatte die Pille versagt. Es hatte mich nicht verwundert nach all dem Stress. Ich wusste nur noch nicht, wie ich es ihm beibringen sollte. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und blickte auf sein markantes Profil, das die Liebe in mir anschwellen ließ. Ich liebte ihn mit all seinen Facetten und Macken. Ich liebte ihn für seine Grobheit und seine Zärtlichkeit. Er war perfekt für mich.
„Ich bin schwanger", flüsterte ich.
Scharf bremste er ab. Wir standen mitten auf der Straße. Ich war froh, dass kein Verkehr herrschte. „Was?", fragte er mich schockiert. Ich grinste leicht. „Ich bin Schwanger", wiederholte ich meine Worte. Verloren sah er mich an. Sein Blick wanderte von meinen Augen auf meinen Bauch, auf dem ich eine Hand abgelegt hatte. Mehrfach wiederholte er diese Prozedur. „Schwanger?", hakte er abermals nach. „Ja." Er zog die Augenbrauen zusammen. „Wann? Wie?" Ich lachte erheitert über seinen verwirrten Gesichtsausdruck. „Der Abend als du mich aus dem Pub wie ein Neandertaler geschleppt hast", klärte ich ihn auf. Fahrig fuhr er sich durch die Haare. Er starrte mir fast ein Loch in den Bauch, ehe er mir wieder in die Augen sah. „Du gehst überhaupt nicht mehr arbeiten", herrschte er mich plötzlich an und seine Augen glänzten wild. „Wie bitte?"
Zärtlich legte er eine Hand auf meinen Bauch. „Nur über meine Leiche, Adriana. Bis unser Kind auf der Welt ist, will ich nichts mehr von Arbeit hören. Ich werde euch zwei nicht gefährden", zischte er leise. „Ich bin schwanger und nicht sterbenskrank", rief ich aus. Er legte seine Hand in meinen Nacken und zog mich nah an sein Gesicht heran. „Nein. Keine Kompromisse. Wenn es notwendig ist, kette ich dich an unser Bett", warnte er mich. „Okay", zuckte ich mit den Schultern. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion. Er zeigte mir aber deutlich, dass er das Kind wollte. Er wollte es genauso sehr wie ich. Auf den Job konnte ich verzichten, solange ich Maxime und unser Kind hatte. Irgendwann konnte ich in die Buchhaltung der Bar miteinsteigen. Es war okay für mich.
Hart drückte er seine Lippen auf meinen Mund, nahm mich in Besitz. Sein Kuss markierte mich, versengte jeden Teil meines Körpers. Seine Zunge spielte sanft mit mir, bis ich mich stöhnend an ihn lehnte. Zaghaft löste er sich von mir. Seine Stirn lehnte weiter an meinem Kopf. Ein Kampf tobte in seinen Augen. Er atmete durch. Wieder und wieder nahm er einen Atemzug. Ich fühlte, dass er versuchte sich zu sammeln.
„Ich liebe dich", sprach er zum ersten Mal die Worte, auf die ich so lang gewartet hatte, aus.
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Blindly Fallen
RomanceAdriana, du kannst mich riechen. Du kannst mich hören. Du wirst mich definitiv auf dir spüren. Ich werde dich beherrschen. Wenn du die Maske herunter nimmst, ist das Spiel vorbei. Bist du bereit , die Kontrolle abzugeben? Bist du bereit, deine...