Aussprache

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Ich hatte mich die restliche Woche meines Urlaubs im Gästezimmer meines Exfreundes verschanzt, dabei hatte ich mir erlaubt zu weinen. Ich wusste nicht, weshalb ich genau geweint hatte. Mein Herz war nicht nur wegen des Todes meiner Mutter gebrochen, sondern auch wegen Maxime. Erinnerungen hatten mich gefangen gehalten, dabei hatten sie mich zurück in meine Teenagerzeit zurückbefördert, als meine Welt noch perfekt war. Ich hatte mich an die gemeinsamen Sonntage mit meinen Eltern erinnert. Sie hatten sich immer Zeit für mich genommen, obwohl mein Vater selbstständig gewesen war. Er hatte mir das Angeln beigebracht, während meine Mutter für uns ein Picknick vorbereitet hatte. Es war eine schöne Zeit gewesen, so schlimm auch die nachfolgenden Jahre gewesen waren. Ich war dankbar, dass ich mich wenigstens an die guten Dinge erinnern konnte, auch wenn mich das Bild im Badezimmer nicht mehr losließ.

Keith war sehr zuvorkommend zu mir gewesen. Er hatte darauf geachtet, dass ich genug aß und versuchte mich aus meiner Festung der Einsamkeit zu holen, doch es war vergeblich gewesen. Obwohl er wirklich lieb zu mir gewesen war, war er nicht der Mann gewesen, den ich um mich haben wollte. Das hatte mich am meisten geärgert. Ich musste damit beginnen Maxime loszulassen. Mich hatte er wahrscheinlich auch längst vergessen.

Mittlerweile war Montag und der Alltag holte mich ein. Ich parkte vor der Apotheke und blickte zum Gebäude herüber, nicht sicher, ob ich wirklich arbeiten wollte. Es fühlte sich alles so surreal an, als stände ich neben mir und ließe das Leben einfach geschehen. Seufzend stellte ich den Motor ab, ehe ich ausstieg, meine Tasche schnappte und den Wagen abschloss. Unmotiviert lief ich in die Apotheke. Wie an jedem anderen Morgen schloss ich meine Tasche im Schließfach ein und zog meinen Kittel über, bevor ich die Computer im Backoffice startete. Carson Haddow tauchte neben mir auf. „Was machst du denn hier?", fragte er mich verblüfft. Ich zog die Augenbrauen in die Höhe und starrte in seine hellen Augen. „Arbeiten", gab ich zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Das sehe ich. Hältst du das für eine gute Idee?", hakte er nach. Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte das Verständnis für gute Ideen verloren. Woher sollte ich das also wissen? „Es hat sich also schon herumgesprochen? Das erspart mir zumindest Erklärungsversuche. Die Arbeit tut mir vielleicht gut."

Carson sah mich missbilligend an. „Wenn es dir zu viel wird, dann gib mir Bescheid. Wenn du gehen musst, dann geh. Es ist okay jetzt neben sich zu stehen." Dankbar für sein Mitgefühl nickte ich. Carson kannte mich von klein auf. Ich war mit meiner Mutter hier gewesen, wenn die Haushaltsapotheke aufgefüllt werden musste und ich hatte hier meine Ausbildung beendet. Er war stets fordernd, aber auch großzügig zu mir gewesen. Sein Mitgefühl konnte ich gutannehmen. Er war einer der wenigen Menschen, der mich wirklich kannte. „Danke. Ich bleibe erstmal hier", lehnte ich seinen Vorschlag ab. Carson nickte. „Es tut mir leid, Adriana. Marianna hat das nicht verdient", bekundete er sein Beileid. Dieses Mal nickte ich nur, wobei sich ein Kloß in meinem Hals bildete, den ich unter Gewalt versuchte herunterzuwürgen. Ich bräche bestimmt nicht auf der Arbeit zusammen. Mein Chef wandte sich ab und verschwand aus dem Backoffice, um seinen Weg in sein Büro fortzusetzen. Ich öffnete derweil das E-Mail-Programm und brachte damit etwas Routine zurück in mein Leben. Noch bevor ich mir die erste Mail durchlas, rauschte Leann herein. In den Händen hielt sie zwei Kaffeebecher von Tillys Coffeeshop. Das war mein liebstes Café in Kenmore und das wusste Leann. Ihr Haar war nicht so glänzend wie sonst und ihre Augen waren gerötet. Sie gab das Bild ab, das ich hätte abgeben müssen. Ich hielt mich jedoch ziemlich gut. Vielleicht war es die Jahrelange Vorbereitung auf diesen Tag. Meine beste Freundin blieb neben mir stehen und reichte mir einen der Becher. „Hey Seilcheag, schwarz mit Vanilleextrakt, genauso wie du ihn magst", grüßte sie mich leise.

Dankend nahm ich den Becher entgegen. „Du hast mich nicht zurückgerufen", begann sie ein Gespräch, für das ich jetzt keinen Nerv hatte. „Ich habe mein Handy gemieden. Das Ding ist aus", ging ich auf ihren Vorwurf dennoch ein. Die Wahrheit war, dass ich mich nicht traute meine Nachrichten abzuhören. Es waren wahrscheinlich die letzten Worte meiner Mutter vor dem Tod auf der Mailbox und ich hatte Angst. Lee nickte und trank einen Schluck. „Es tut mir so leid, Süße. Ich weiß nicht, was ich sagen soll", versuchte sie das Gespräch am Laufen zu halten. Ich schätzte ihre Mühe wirklich, aber ich konnte jetzt nicht darauf eingehen. Ich wollte zurück in meine Routine, um wieder zu mir zurückzufinden. „Lee, können wir darüber nach der Arbeit sprechen? Ich möchte einfach nur arbeiten." Leann sah mich traurig an, bevor sie mir zustimmte und mich allein ließ. Das war das Beste, was sie jetzt für mich tun konnte. Ich hatte viel nachgedacht als ich allein war und so sauer ich noch auf Maxime, Leann und mich war, war es nicht Leanns Schuld. Leann hatte nicht die Nadel in den Arm meiner Mutter gejagt. Ich wusste, ich musste noch mit Lee sprechen. Ich hatte sie in der Woche komplett ausgeschlossen. Sie hatte nicht nur mich angerufen. Sie hatte es auch auf Keith Handy versucht und war vor seiner Wohnung aufgetaucht. Auf meine Bitte hin, hatte Keith sie wieder nach Hause geschickt.

Blindly FallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt