Elf

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Der Duft von Heu erfüllte die Luft im Stall. Jetzt im Sommer wo die Pferde nur nachts in den Boxen waren, roch es nach nichts anderem als Heu. Ich saß ganz oben auf den Stapel der Heuballen, die im Stall gelagert wurden. In den zwei vergangenen Tagen war ich Amy so gut es ging aus dem Weg gegangen. Ich war einfach nur wütend, enttäuscht und einfach nur verwundert über ihre Dreistigkeit. Sie bildete sich einfach ein das sie das machen konnte. Das sie das Recht hatte mich auszuspionieren und das Vertrauen, das ich für sie entwickelt hatte einfach gefühllos niederzutrampeln.

Heute waren mir meine Aufgaben, die ich auf der Ranch zu erledigen hatte sehr schwergefallen, weil meine Gedanken rasten. Ich musste die ganze Zeit darüber nachdenken was ich da auf ihrem Rechner gelesen hatte.

Hatte sie mich vielleicht doch mehr durchschaut als ich zugeben würde? Manchmal wurde ich das Gefühl los, das ich mich selbst nie richtig gekannt hatte. Ich wäre früher nie der Typ Mensch gewesen, der sich mit der Polizei angelegt hätte, aber trotzdem hatte ich es getan. Wie konnte es also sein das eine Fremde Frau, die mich gerade mal einen Monat kannte so viel mehr über mich wusste als ich selbst. Sich so viel besser erklären konnte warum ich mich so verhielt als ich?

Ich hatte seit meiner Drohung an Amy das ich ihr eine Reinhauen würde wenn sie mir in diesem Moment zu nahekam kein Wort mehr mit ihr geredet. Auch das war etwas was ich von mir nicht kannte. Ich hätte nie jemanden mit Gewalt gedroht und trotzdem hatte ich es gemacht.

Es gibt da diesen Satz, den die Richter im Jugendgericht einem sagen, wenn man mal wieder vor Ihnen stand. Einen Satz der einem zu Nachdenken bringen sollte. Einen Satz für den man nachdem er ausgesprochen wurde fünf Minuten Zeit bekommen. Fünf Minuten, in denen man ihn sich durch den Kopf gehen lassen soll und dann seine Gedanken dazu aussprechen soll. Dieser Satz lautet: >Was würde das Kind, das du mal warst zu dem sagen was du heute bist? <

Ich weiß nicht was die kleine Lou von damals dazu sagen würde, denn dieses Kind hat nicht viel gesprochen aber eines weiß ich, sie wäre maßlos enttäuscht darüber das ich kurz davor gestanden hatte ins Gefängnis zu kommen, weil ich im Affekt meine kleine Schwester verletzt hatte. Einer der Menschen die mir in meinem Leben am wichtigsten waren. In einem Prozess im Jugendgericht geht es nicht darum Vorwürfe zu machen oder Strafen zu verteilen. In aller Linie geht es darum den Jugendlich zum Nachdenken zu bringen – dafür zu sorgen, dass er sowas nicht wieder tut. Ins Gefängnis zu kommen ist die letzten Schritte, wenn gar nicht mehr geht. Und offengesagt bin ich selbst etwas schockiert darüber das ich schon fast so weit war. Vielleicht hatte ich wirklich Glück mit diesem Richter gehabt, der entschied mich hierherzuschicken und jemanden zu beauftragen tief in meinem Inneren herumzuwühlen und herauszufinden warum ich mich so verhielt, denn auf die Fragen im Gericht warum ich mich so verhalten hatte konnte ich nie eine Antwort geben.

Vielleicht war mir der Grund meines Handels nie wirklich klar gewesen, aber insgeheim wusste ich genau woran es lag und das war es was Amy herausfinden sollte. Das war es das mich zu dem Menschen machte von vom mein Früheres Ich so maßlos enttäuscht gewesen wäre.

Obwohl mir das alles klar war, war ich wütend auf Amy – wütend über ihr Handeln. Ich war von der Tatsache das sie sowas tat einfach überrumpelt wurden, das hatte ich von ihr nicht erwartet. Vielleicht hätte ich diese Sachen nie lesen sollen. Aber trotzdem war Amy jetzt die jenige die meine Wut darüber abbekam obwohl so viele Menschen hinter ihrem Handeln steckten.

Seit ich die Zeilen über mich auf Amys Rechner gelesen hatte war meine innere Unruhe, jene die mich zu diesen Impulsiven Handeln trieb wieder mein Begleiter. Seit meiner Ankunft hier hatte ich sie Stück für Stück ablegen können, aber nun hatte sie mich wieder eingenommen und zerrte an meinen Kräften. Das dieses Gefühl, dieses Gefühl, das mich Launisch machte und mich zu unüberlegtem Handeln Trieb und mich deswegen in ständige Aufregung versetzte zurück war, würde auch von den Pferden bemerkt.

Wie an meinem ersten Tag hier, als ich das erste Mal mit diesen großen Tieren in Kontakt gekommen war würden sie nervös, wenn ich sie morgens auf die Koppel brachte.

Meine Beine baumelte von dem Heuballen, auf dem ich saß und die Ruhe genoss. Ich hatte mich hier im Stall verkrochen um Amy nicht zu begegnen. Sie wollte unbedingt mit mir reden und zögerte nicht mich sogar bis in mein Zimmer zu verfolgen. Ich war noch nicht bereit für dieses Gespräch.

Ich seufzte leise. Warum konnte sie nicht einsehen das sie es einfach nur richtig verschissen hatte?

Leise Schritte von kleinen Füßen die kaum den Boden zu berühren schienen rissen mich aus meinen Gedanken. Meine Augen erblickten Malea's Gesicht, welches um die Ecke in die Box schielte. Langsam kam sie noch ein paar Schritte näher und legte den Kopf in den Nacken um zu mir nach oben schauen zu können.

„Lou, Amy hat ganz deutlich gesagt, dass wir dich in Ruhe lassen sollen, aber sie hat nicht gesagt warum", brach Malea das Schweigen, das mich heute schon den ganzen Tag begleitete. Während sie das sagte kam sie näher, ihren Blick immer noch auf mich gerichtet. Sie hatte ein lächeln auf ihre Lippen gelegt und versuchte mir ebenfalls eines zu entlocken aber da hatte sie heute schlechte Karten.

„Bist du sauer auf mich?", fragte sie schließlich und ich antwortete nur mit einem Kopfschütteln. Malea konnte gar nichts dafür, sie war immer nett gewesen und hatte ihren eigenen Kopf, immerhin war sie schon wieder gegen Amy's Willen in meine Nähe gekommen.

„Aber seit meinem Geburtstag hast du kaum mit mir gesprochen", beklagte sich das blonde Mädchen während sie mühevoll die Heuballen zu mir nach oben kletterte. Heu rieselte langsam, fast schwerelos wie Schneeflocken zum Boden. Als sie fast bei mir war rutschte ihr Fuß vom Rand des Heuballens weg und sie verlor den Halt.

Reflexartig schnellte ich nach vorne und Griff etwas zu grob ihr Handgelenk. Malea stieß erschrocken einen Schrei aus und ich zog sie nach oben.

„Du musst vorsichtig sein", sagte ich knapp und sie ließ sich neben mir nieder. Ihr Blick lag unruhig auf mir. Sie kannte mich nicht so, so still, so teilnahmslos. Sie mochte es nicht, wenn sie nicht wusste was los war. Wie die meisten Menschen merkte sie schnell, wenn es einem anderen nicht gut ging und zerbrach sich nun den Kopf darüber warum das so war. Aber ich würde es ihr nicht sagen. Ich wollte keinen Keil zwischen sie und ihre Schwester treiben. Es reichte das meine Familie kaputt war, Malea's sollte ganz bleiben.

„Lou ich weiß das es dir gerade nicht gut geht", murmelte sie leise und lehnte sich gegen mich. Ihre blonden Locken legten sich über meine Schulter und kitzelten leicht in meinem Nacken. Malea schielte zu mir. „Hat das was mit dem Streit mit Amy zu tun vorgestern Morgen?", fragte sie leise.

Ich blickte zu ihr. Wieso wusste sie davon?

„Ich bin an dem Morgen aufgewacht, weil eine Diele so laut geknackt hat, ich habe mich erschreckt", erklärte sie und ich schenkte ihr den eingeforderten Blickkontakt. „Ich habe dich gesehen wie du zum Büro gelaufen bist", fügte sie hinzu. Meine Gedanken rasten schon wieder. Hatte sie mich etwa verraten? „Ich habe Amy nichts gesagt", erklärte Malea nach einer kurzen Pause als könnte sie Gedanken lesen.

„Amy ist auch wach geworden, ich habe sie von meinem Zimmer aus beobachtete, sie ist eine ganze Zeit lang in der Tür stehen geblieben und hat dich beobachtet. Ich bin dann in mein Zimmer gegangen. Ich wollte nicht das Amy mich sieht und dann habe ich euch streiten hören", schilderte das Mädchen ihre Eindrücke. Es hatte mich also doch jemand gehört.

Zwei von drei – das war eine schlechte Quote. Malea ihre Augen zuckten unruhig hin und her und erwarteten eine Antwort aber ich schwieg weiter. „Und seitdem bist du so komisch, du sprichst gar nicht. Ich dachte du wärst böse auf mich", sprach die acht Jährige ihre Sorge aus.

Ich seufzte laut auf. „Ich bin nicht böse. Ich brauche nur ein bisschen Zeit zum Nachdenken", sagte ich leise und spürte das Malea ihre Arme um mich schlang. Ich blickte an mir herunter sie hatte ihren Kopf gegen meine Brust gelegt während ihr Griff mich immer noch umschlungen hielt. Sie schielte kurz zu mir nach oben.

„Wenn es mir nicht gut geht hilft immer eine Umarmung, also kann es dir auch nicht schaden", erklärte sie mit ihrer Zuckersüßen Stimme.

Ich legte meinen Arm auf ihre Schulter und ließ sie das machen. Eigentlich mochte ich es nicht gerne, wenn mich jemand berührte oder sogar festhielt aber bei Malea war es ok und ich musste zugeben das mir das auch gerade irgendwie guttat.

Nur noch eine Chance - Am Ende der WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt