Kapitel 9 - Perspektive

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Mia lag in ihrem Bett und ließ die letzte Nacht Revue passieren. Für einen Moment hoffte sie es nur geträumt zu haben, aber tatsächlich bestand Juli darauf sie nach Hause zu bringen. Kavalier. Und ihre Eltern… Ging es noch peinlicher? Er musste so anders aussehen, dass sie ihn für irgendeinen Verbrecher oder so halten mussten. Dabei war er einer der nettesten Jungen, die Mia je kennengelernt hatte. Ihre Eltern waren jedenfalls nicht von ihm begeistert. Juli hätte noch genug Gelegenheiten ihnen das Gegenteil zu beweisen, versprach Mia ihm mit einem Kuss, der ihre Eltern die Hände über dem Kopf zusammenschlagen ließ. Arme Sehende.

“Na komm, Charly.” Charly gehorchte. Mia zog die Haustür hinter sich zu. Ihr Begleiter stand neben ihr und wartete auf ihre Kommandos, loyal als hätte er nur auf diesen Augenblick gewartet. Er hatte die Probezeit bestanden. Er und sie waren ein Team, bereit alles für den anderen zu tun. Die Leine, die die beiden Partner voneinander trennte, hing locker zwischen ihnen und bestärkte sie in ihrem gegenseitigen Vertrauen.
“Auf geht's, Charly” forderte Mia ihn auf, der treu neben ihr entlang ging, auf, in ihr neues Leben.

Charly fand Hennis Wohnungstür auf Anhieb. Wieder drang der süße Duft von Lebkuchen in Mias Nase, diesmal aber mischte er sich mit etwas anderem Wohlriechenden. Mia drückte leicht gegen die Tür. Sofort gab sie nach und ließ Mia eintreten. Sie tapste über den flauschigen Teppich und ließ Charly laufen. Er kannte sich hier ebenso gut aus, wie sie. Aus der Küche drang ein leises, vertrautes Gespräch und ein Knistern. Mia öffnete die Tür.
Henni und Adriane saßen auf dem Boden und verfolgten gespannt wie Maiskörner aufploppten und sich wie ein Feuerwerk in Popcorn verwandelten. Versöhnlich schmiegte Adriane den Kopf an Hendrikje. “Duuu, was machen wir eigentlich zu unserem Dreimonatigen?”
“Hi.” Die Begrüßung galt beiden. Vorsichtig aber selbstbewusst ging Mia auf die zwei Mädchen zu.
“Süß oder salzig?” Adriane bot Mia zwei Schüsseln an. Sie war eigentlich echt nett. Etwas unzugänglich, aber doch auf ihre Art warmherzig. Sie war Mia gar nicht so unähnlich, stellte sie fest.
“Erst mal nicht, danke. Ich wollte zu Tillian.”
“Hockt in der Booth” sagte Henni, die eine Hand voll Popcorn in ihren Mund rieseln ließ. Adriane drückte ihre Wange an Hennis um auch etwas von dem karamellisierten Gold zu abzubekommen. “Mundraub!” protestierte Henni. Beide lachten verliebt.
Etwas albern, aber süß, die beiden.

Tillian schlug seit zwei Stunden die gleichen drei Akkorde an. Da fehlte noch irgendwas. Etwas entscheidendes. Es war genau wie Henni sagte: Beliebig. Die Tür zum Musikzimmer glitt geräuschlos auf. Er betete eine Muse würde hereintreten und ihn küssen. 
“Tillian, ich mach es kurz.” Mia lehnte sich verführerisch in den Türrahmen. Tillian schaute sie mit großen Augen an. War es soweit? Er hatte sich diesen Tag immer ganz anders vorgestellt.
“Schreibst du mit mir einen Song?”

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